Schmelzendes Meereis im Polarmeer
Patrick Kelley, U.S. Coast Guard
Patrick Kelley, U.S. Coast Guard
feedback loops

Wie sich der Klimawandel selbst verstärkt

Meereis, Moore, Wüstenbildung: Im Weltklima sind selbstverstärkende Mechanismen verborgen, die das System außer Kontrolle bringen könnten. Forscher warnen: Die üblichen Klimamodelle könnten den Effekt nicht ausreichend darstellen – und seien womöglich zu optimistisch.

Das Phänomen ist grundsätzlich bekannt: Wenn das weiße Meereis schmilzt, wird die Meeresoberfläche dunkler und nimmt dadurch mehr Strahlungsenergie von der Sonne auf. Die Folge: Die Luft erhitzt sich weiter, es schmilzt noch mehr Eis, es wird noch wärmer und so fort – „amplifying feedback loop“ nennt die Wissenschaft diesen kausalen Kreisschluss mit dem Potenzial zur Verselbstständigung.

41 solcher Schleifen hat ein Forschungsteam unter Federführung der Oregon State University nun im Fachblatt „One Earth“ zu einer Gesamtschau aufgelistet. Manche davon erhöhen die Pufferkapazität des Klimas (zum Beispiel der düngende Effekt des CO2 auf Pflanzen), von einigen ist die Wirkungsweise unklar, doch bei der klaren Mehrheit (27) ist die Wirkung eindeutig destabilisierend.

Von Permafrost bis Schädlingsplage

Parallel zur Studie hat das Team auch eine Website mit Animationen ins Netz gestellt, auf der Liste befinden sich einige wohlbekannte Phänomene wie die tauenden Permafrostböden in Russland, entwässerte Moore in Europa und die um sich greifenden Waldbrände in Australien.

Grafik: Waldbrände verstärken den Klimawandel – und damit die Wahrscheinlicheit von Waldbränden
Chris Wolf, William Ripple, Peter Buschmann
Waldbrände verstärken den Klimawandel, die Folge: noch mehr Waldbrände

Auf der Liste befinden sich auch Rückkoppelungen, die in diesem Zusammenhang noch wenig beachtet wurden, das gilt vor allem für jene aus der belebten Natur – zum Beispiel die massenhafte Ausbreitung von Schädlingen, die den Baumbestand gefährden und den Ökosystemen damit die Fähigkeit rauben, CO2 aus der Luft zu binden.

Die Selbstverstärkung entsteht in diesem Fall dadurch, „dass die Klimaerwärmung vielen Schädlingen die Möglichkeit gibt, im Sommer eine zusätzliche Generation zu bilden und sich noch stärker zu vermehren. Außerdem sind auch Bäume durch die Hitze gestresst, also weniger widerstandsfähig“, erklärt Koautorin Jillian Gregg im Ö1-Interview.

System an der Kippe?

Das große Problem dabei: Diese Eskalationsspiralen könnten das Klima zum Kippen bringen. Was das bedeutet, erläutert die Umweltforscherin von der Oregon State University mit diesem Bild: Derzeit befinde sich die Menschheit quasi in einem Paddelboot und versuche, mit Hilfe halbherziger Klimaschutzmaßnahmen gegen den Strom zu schwimmen. „Doch irgendwann wird das Boot einen Wasserfall erreichen – und dann bringt das Paddeln nichts mehr. Dann können wir tun, was wir wollen, es ist letztlich egal.“

Die entscheidende Frage ist nun: Wie weit ist das Weltklima vom Wasserfall, vom Kipppunkt, entfernt? Darauf gibt es derzeit keine präzise Antwort. Auch deshalb, weil die Rückkoppelungen noch nicht vollständig in die gängigen Klimamodelle eingebaut wurden. Die Modelle des IPCC (Weltklimarates) haben also blinde Flecken, betont Gregg – und das müsse sich schleunigst ändern. Noch drängender sei der Handlungsbedarf freilich auf umweltpolitischer Seite. „Wir brauchen entschiedene Maßnahmen. Sofort.“