Illustration von Pilzen und Myzelien in einem Wald
Petr – stock.adobe.com
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Fakt oder Fiktion?

„Wood-Wide-Web“ auf dem Prüfstand

Pilzgeflechten im Waldboden werden viele wundersame Fähigkeiten zugeschrieben. Bäume sollen über sie kommunizieren und Nährstoffe mit anderen Pflanzen teilen können. Hinter vielen der auch in den Medien verbreiteten Annahmen steckt aber wenig Wissenschaft, meinen nun Forscherinnen und Forscher. Sie raten, Fiktion und Realität klar voneinander zu trennen.

Die Idee des „Wood-Wide-Web“ basiert auf Pilzen, die an den Wurzeln von Pflanzen wachsen. Von der symbiotischen Verbindung, Mykorrhiza genannt, profitieren beide Parteien – auch in der Wissenschaft ist das unumstritten.

Die feinen Hyphen der Pilze, die äußerlich dünnen Wurzeln gleichen und zusammen Myzel genannt werden, durchdringen den Waldboden weiter als eine Pflanze. Das erlaubt es ihnen, im Wasser gelöste Nährstoffe aufzunehmen und an ihre symbiotischen Partner weiterzuleiten. Der Pilz bekommt dafür im Gegenzug Zucker, den die Pflanze mittels Photosynthese in den Blättern produziert.

Fakten treffen auf Fiktion

Das Myzel eines Pilzes kann sich weit genug ausbreiten, um sich mit anderen Pflanzen oder Pilzen zu verbinden. Alle Bäume und Pflanzen in einem Wald könnten so theoretisch an einem komplex verflochtenen und unterirdischen Pilznetzwerk hängen – einem „Wood-Wide-Web“.

In populären Medien, vor allem aus der Kategorie Science-Fiction, ist die Idee bereits seit Jahren beliebt. In den Avatar-Filmen von James Cameron gibt es das Konzept des Heimatbaums, der mit allen Pflanzen und Tieren in seiner Umgebung verflochten ist. Der Wald gehört wiederum zu einem noch größeren fiktiven Netzwerk, das den gesamten außerirdischen Planeten und die darauf befindlichen Lebewesen umspannt.

In der Fernsehserie „Star Trek: Discovery“ spielt ein ähnliches Netzwerk eine wichtige Rolle, das lose auf wissenschaftlichen Ideen beruht. Darin umfasst ein myzelartiges Netzwerk das ganze Universum und lässt ultraschnelle Reisen zu. Als Navigator des Systems dient außerdem ein Charakter namens Paul Stamets, der seinen Namen mit dem realen Pilzforscher Paul Stamets teilt.

Beliebte Annahmen im Faktencheck

Die lose auf der Realität basierenden Konzepte in den Medien haben dazu beigetragen, dass den Pilznetzwerken auch im realen Leben besondere Fähigkeiten zugeschrieben werden. Ein dreiköpfiges Forschungsteam aus Kanada und den USA hat nun die meistverbreiteten Annahmen über das „Wood-Wide-Web“ genauer unter die Lupe genommen.

Die Forscherinnen und Forscher haben die bisherige Datenlage zu dem Thema analysiert, um herauszufinden, wie viel Wissenschaft hinter den vermuteten Fähigkeiten der Pilze steckt. Das Ergebnis präsentierten sie vor kurzem im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“.

Forscher halten im Labor Waldboden mit Myzel in der Hand
Kevin Bain/University of Mississippi
Die Fachleute mit Waldboden im Labor

Existenz ungewiss

Häufig wird über das „Wood-Wide-Web“ angenommen, dass alle Wälder ein derartiges Netzwerk aufweisen, erklären die drei Forscherinnen und Forscher im Gespräch mit science.ORF.at. Im Labor wurde zwar bereits bewiesen, dass sich Pilze unterirdisch verknüpfen können, in der Praxis sehe die Sache jedoch anders aus.

„Es ist in einer unkontrollierten Umgebung wirklich extrem schwer, ein solches Netzwerk nachzuweisen“, erklärt die Biologin Melanie Jones von der Universität von British Columbia (Kanada). Die Myzel-Netzwerke sind so fein, dass jede Art von Untersuchung die Verbindungen zerstören könnte. Theoretisch seien die Netzwerke zwar möglich, aber auch wenn benachbarte Bäume die gleiche Pilzart aufweisen, könnten diese von verschiedenen und voneinander getrennten Kolonien stammen.

Tatsächlich übereinstimmende Pilze von derselben Kolonie konnte man bisher nur bei zwei Baumarten nachweisen. Bei mehr als 73.000 verschiedene Arten auf der Welt sei das nicht genug, meinen die Forscherinnen und Forscher. „Uns fehlt hier einfach die wissenschaftliche Basis, um zu sagen, dass solche großflächigen Pilznetzwerke in fast jedem Waldboden vorkommen“, sagt die Pilzforscherin Justine Karst von der Universität von Alberta (Kanada). Es sei daher möglich, dass die Häufigkeit der Myzel-Netzwerke gemeinhin überschätzt wird.

Unklarheiten um Nährstoffaustausch

Unter den häufigsten Annahmen über die Pilznetzwerke ist auch, dass Bäume damit Nährstoffe an umliegende Sprösslinge weiterleiten. Auch dazu ist die Beweislage aber dünn, stellen die Forscherinnen und Forscher klar.

Ob ein unterirdisches Pilznetzwerk positive Effekte auf Sprösslinge hat, wurde bereits mehrfach und anhand verschiedener Methoden untersucht. Die Ergebnisse waren aber selten eindeutig. „Manchmal wurde festgestellt, dass die Sprösslinge von dem Netzwerk und den Nährstoffen der anderen Pflanzen profitieren, andere Male war das Gegenteil der Fall. Beim Großteil der Untersuchungen hatten die Pilze gar keinen Effekt“, erklärt Jones.

Nur bei rund 18 Prozent aller analysierten Experimente konnte ein Sprössling profitieren, wenn er anhand von Pilzen mit einer größeren Pflanze verbunden war. Auch in diesen Untersuchungen gaben die Urheberinnen und Urheber aber oft an, dass das Pilznetzwerk nur einer von mehreren möglichen Gründen sein könnte. „Hier gibt es viele verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen. Von Nährstoffen, die auf andere Weise in den Boden gelangen und sich dort ohne die Pilze ausbreiten bis hin zu mit anderen Pflanzen überlappende Wurzeln, über die auch Nährstoffaustausch stattfinden könnte“, erklärt Karst. Dass Bäume über das Pilznetzwerk das Wachstum umliegender Sprösslinge fördern, sei demnach alles andere als wissenschaftlich belegt.

This image shows a mycorrhizal fungus, Ecto mycelium, in the soil, attached to roots of pine trees in the dunes of Oregon. Photo by  Department of Biology
Jason Hoeksema/University of Mississippi
Myzel im Waldboden

“Keinerlei Beweise“ für Pilz-Warnsystem

Beliebt ist auch die Annahme, dass ein großflächiges Myzel-Netzwerk als Warnsystem für den Wald dient. Bäumen sollen damit in der Lage sein, andere Pflanzen vor Insekten und Schädlingsangriffen zu warnen. Hin und wieder wurde ein solcher Effekt in Untersuchungen zwar festgestellt, auch hier gibt es laut dem Forschungsteam aber noch zu viele Unklarheiten.

„Es gibt in diesem Bereich auf jeden Fall Arbeiten, die vielversprechend sind und weiter verfolgt werden sollten“, sagt Jason Hoeksema von der Universität von Mississippi (USA), der neben Karst und Jones die Datenlage zum „Wood-Wide-Web“ untersuchte. Aktuell gäbe es aber noch keinerlei wissenschaftliche Arbeiten, die den Signalaustausch zwischen den Bäumen im Wald tatsächlich und ohne Zweifel belegen.

Zu positive Berichterstattung

Ganz ausgeschlossen seien keine der Theorien rund um das „Wood-Wide-Web“, stellen die Forscherinnen und Forscher klar. Noch seien aber zahlreiche Untersuchungen nötig, um konkrete Aussagen in diesem Bereich zu treffen.

Dass sich die Ideen so stark verbreiteten, lag auch an einer stark verzerrten Berichterstattung, erklärt das Forschungsteam. Über die wenigen Studien, in denen Hinweise auf die positiven Effekte der Pilze gefunden wurden, wurde medial oft berichtet. In den Arbeiten aufgelistete Ungewissheiten der Autorinnen und Autoren wurden dabei mehrmals ignoriert und die Ergebnisse wurden als Fakten dargestellt.

Auch in wissenschaftlichen Kreisen war das ein Problem, meint Karst. Selbst in Studien und anderen wissenschaftlichen Arbeiten wurden die Ergebnisse früherer Untersuchungen oft in einem zu positiven Licht dargestellt.

“Fiktion von Realität trennen“

Dass das Konzept unter anderem auch deshalb bereits Einzug in populäre Medien gefunden hat, sieht Hoeksema generell aber positiv. „Wenn das dazu beiträgt, dass sich mehr Menschen mit Pilzen und dem Wald beschäftigen und anders mit der Natur umgehen, ist das auf jeden Fall etwas Gutes“, erklärt er. Dennoch sei es wichtig, Fiktion klar als solche kennzuzeichnen.

Dass das nicht immer der Fall ist, weiß auch Karst, deren Tochter sogar in der Schule gelernt habe, dass der ganze Waldboden vernetzt ist und Bäume so kommunizieren. „Das erschafft einfach ein verzerrtes Bild von unserem tatsächlichen aktuellen Wissensstand“, erklärt die Pilzforscherin. Wenn sich Dinge, die schon in den Schulen gelehrt werden, irgendwann vielleicht als falsch herausstellen, untergrabe das das Vertrauen in die Wissenschaft enorm.

Problematisch sei das auch in der Praxis, wenn die Annahmen zum Pilznetzwerk zu Maßnahmen in Wäldern führen, die eigentlich gar nicht nötig wären. „Für ein gutes Waldmanagement ist es einfach nötig, die wirklichen Fakten über den Wald zu kennen. Hier voreilig zu handeln und den Pilzen etwas Gutes tun zu wollen, könnte eventuell andere Bereiche des Ökosystems durcheinanderbringen“, erklärt Karst. Das dreiköpfige Forschungsteam geht davon aus, dass viele der gängigen Annahmen über das „Wood-Wide-Web“ in den kommenden Jahren entweder eindeutig bewiesen oder klar widerlegt werden.