Eine Frau mit roten Fingernägeln umklammert ein Bettlaken
Oleg – stock.adobe.com
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Sexualität

Pandemie war kein Lustkiller

Der Umgang mit Sex ist offener und lustvoller geworden. Menschen, die nicht der sexuellen Norm entsprechen, werden aber weiterhin stigmatisiert. Das zeigt eine aktuelle Umfrage zum Thema in Österreich. Die Pandemie war ihr zufolge kein Lustkiller – 20 Prozent gaben an, dass ihre Sexualität in der Zeit sogar lustvoller geworden ist.

Die sexpositive Revolution ist in Österreich angekommen. Vier von fünf Menschen richten ihre Sexleben danach aus. Freude, Vergnügen und sinnliche Lust sind ihnen sehr wichtig. Zu diesem Ergebnis kam die Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller. Sie ließ vor rund einem halben Jahr 3.000 Personen in Österreich zu Sexualität und sexueller Lust online befragen. Finanziert wurde das Forschungsprojekt vom Krone Verlag.

Hohe Zufriedenheit, Wunsch nach mehr Kreativität

„In meiner Studie hat sich gezeigt, dass in der Bevölkerung drei Viertel der Menschen ihre sexuelle Erregung genießen können und eine lustvolle Sexualität leben“, berichtet Rothmüller, die an der Sigmund Freud Universität forscht. Zeigten sich viele mit der Intensität ihrer Erregung und ihren Orgasmen zufrieden, sah man, was die Häufigkeit und Vielfältigkeit von Sex angeht, noch Verbesserungspotenzial.

Dabei war die Pandemiezeit kein Lustkiller: Jeder Zweite gab an, dass sich Sex und Lust durch die Pandemie nicht verändert hätten. Bei jedem Fünften wurde die Sexualität sogar lustvoller. Einige Menschen hatten in dieser Zeit weniger Stress und mehr Zeit. Andere haben bewusst an ihrer Lust gearbeitet und Neues ausprobiert. „Das hat natürlich nicht auf alle zugetroffen“, sagt die Soziologin. „Man weiß auch, dass zum Beispiel Stress sexuelle Lust verringern kann. Und die Pandemie war auch für sehr viele Menschen eine sehr stressige Zeit.“

Komplexe Lust

Sexuelle Lust kann sehr intensiv sein, sie kann aber auch vollständig verschwinden. All diese Ausprägungen seien normal, gesund und gut, meint Barbara Rothmüller. Bisher gebe es keine einheitliche Methode, wie man sexuelle Lust misst. Sie nur über die Häufigkeit von Orgasmen zu messen, greife zu kurz. So gaben rund 70 Prozent der Befragten an, dass ihnen sexuelle Erregung auch ohne Orgasmus Lust bereite.

Ob es gelingt, im Moment präsent zu sein, ohne Hemmungen und Scham, sei ebenso ein wichtiger Indikator für Lust. Beispielsweise gab eine von vier Frauen an, sich häufig für ihren Körper zu schämen und beim Sex darüber nachzudenken, wie sie aussieht. Und auch Männer können von Körperscham betroffen sein.

Pathologisierung von Lustlosigkeit

Besonders Frauen werden für ihre sexuelle Lust auch beschämt. Sowohl, wenn sie vermeintlich zu viel, als auch, wenn sie zu wenig Lust verspüren. In den 1950er Jahren wurde Lustlosigkeit pathologisiert und als Krankheit angesehen. Eine Diagnose, die bis heute nachwirkt, berichtet Barbara Rothmüller. „Noch immer werden solche Zuschreibungen benutzt, um Personen zu beschämen und manchmal auch, um sie unter Druck zu setzen.“

Lustlosigkeit sei nur dann eine Störung, wenn sie von der lustlosen Person als Problem wahrgenommen wird, sagt die Wissenschafterin. Das sei bei vielen Menschen aber nicht der Fall. Rund sechs Prozent der Bevölkerung verspüren ein dauerhaftes Desinteresse an Sex.

Pillen zur Luststeigerung

War Lustlosigkeit früher sogar erwünscht, weil Sexualität nur der Fortpflanzung dienen sollte, steht man der Lust heute offener gegenüber. Selbstbestimmte Sexualität wird als wichtiger Bestandteil allgemeinen Wohlbefindens angesehen. Die Weltgesundheitsorganisation spricht seit den 1980er Jahren von sexueller Gesundheit.

„Gleichzeitig hat in derselben Zeit eben auch eine Psycho-Medikalisierung von Sexualität stattgefunden“, sagt Barbara Rothmüller. „Durch diesen Gesundheitsfokus werden Sexualität und Lust aus der Perspektive der Medizin betrachtet, und es werden medizinische oder therapeutische Lösungen angeboten.“ Neun Prozent der Befragten gaben an, Medikamente zur Luststeigerung zu nehmen. Rund fünf Prozent ließen sich bereits von Ärzten, Psychologen oder Sexualberatern beraten.

Vielfältige Lustindustrie

Die beliebtesten Mittel zur Luststeigerung sind aber immer noch Pornos und Sexspielzeug. Auf sie greift mehr als die Hälfte der Befragten zurück. Ein Drittel trinkt Alkohol, um mehr Lust auf Sex zu bekommen. „Mir ist in der Forschung erst bewusst geworden, wie breit die Lustindustrie in Österreich aufgestellt ist“, erzählt die Soziologin. Luststeigerung sei auch ein Geschäft, weshalb man das Versprechen auf maximale Luststeigerung kritisch hinterfragen sollte.

Generationenunterschiede

Älteren Menschen wird ihre sexuelle Lust oft abgesprochen. Tatsächlich steige die sexuelle Zufriedenheit jedoch im Alter und die Häufigkeit, mit der Menschen sexuell aktiv sind; sie beginne erst mit 70 Jahren abzunehmen, sagt Barbara Rothmüller.

Gleichzeitig sei die Vorstellung, dass die Jungen heute früher sexuell aktiv sind als ältere Generationen, ein Mythos. Rund ein Drittel der Jugendlichen hatte in den letzten zwölf Monaten mit niemandem Sex. Junge reden jedoch offener mit ihren Freunden über Sexualität – für Ältere ein Tabu. Sie nehmen Sex immer noch stark als etwas Privates wahr.

Stärkere Identifikation mit LGBTIQA+

Nicht alle erleben ihre sexuelle Orientierung als stabil, berichtet Rothmüller von ihren Befragungsergebnissen. Eine von acht Personen hat angegeben, heute eine andere sexuelle Identität zu haben wie in der Jugend. Da das Wissen über sexuelle Minderheiten steigt, finden auch immer mehr Menschen die richtige Bezeichnung für ihr Begehren. Während sich 85 Prozent der Menschen über 50 als heterosexuell bezeichnen, sind es bei Jugendlichen nur rund 70 Prozent.

„Sexuelle Orientierung ist nicht beliebig veränderbar“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Es könne sich im Lebensverlauf aber eine neue Attraktion entwickeln. Nicht immer werden diese erotischen Fantasien dann auch ausgelebt. Ebenso muss eine bestimmte sexuelle Erfahrung nicht immer zu einer neuen sexuellen Identität führen. „In der mittleren Altersgruppe haben sehr viele Frauen zum Beispiel sexuelle Erfahrungen mit anderen Frauen gemacht, aber sehr viele davon identifizieren sich nicht als lesbisch oder bisexuell.“ Bei Jüngeren würden sexuelle Erfahrungen stärker in sexuellen Identitätskategorien münden als das bei älteren Generationen der Fall war.

Beschämung und Ausgrenzung

Noch immer werden Menschen für zu viel oder zu wenig Lust gemobbt. Besonders junge Menschen unter 30 Jahren sind davon betroffen: Mehr als 20 Prozent gaben an, deshalb bereits ausgegrenzt worden zu sein. Zudem bestehen weiterhin starke Vorbehalte gegen Personen, die sich als LGBTIQA+ definieren. Eine von fünf Personen gab an, sich nicht vorstellen zu können, mit einer LGBTIQA+-Person persönlich befreundet zu sein.