Blick auf Mailand
AFP/OLIVIER MORIN
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Körpergröße

Mailänder sind seit 2.000 Jahren gleich groß

Die Menschen in Europa sind in den vergangenen 2.000 Jahren abwechselnd größer und kleiner geworden. Eine Analyse von sterblichen Überresten zeigt nun, dass es wohl auch Ausnahmen von diesem Trend gab: Menschen in Mailand sind seit dem Römischen Reich im Schnitt gleich groß. Besondere Lebensumstände könnten verantwortlich sein.

Wie groß Menschen werden, bestimmen in erster Linie ihre Gene. Allerdings haben auch die jeweiligen Lebensumstände einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Körpergröße, insbesondere die Ernährung, aber auch Krankheiten und klimatische Bedingungen. Damit lassen sich etwa die weltweiten Unterschiede bei der Körpergröße erklären, zumindest teilweise. Historische Größenveränderungen dürften ebenfalls stark von der Umwelt geprägt worden sein.

Wie die Forscherinnen und Forscher um Lucie Biehler Gomez von der Università degli Studi di Milano im Fachmagazin „Scientific Reports“ ausführen, zeigen zahlreiche Studien, welche Faktoren die Menschen in Europa im historischen Rückblick statistisch schrumpfen ließen: Kälteperioden, Kriege, Religionskonflikte, Arbeitslosigkeit, Epidemien, etc. Auf die Körpergröße positiv wirkten sich hingegen Wohlstand, hohe Ernteerträge, politische Stabilität, Impfkampagnen, u.v.m. aus.

Langfristig folgt die Entwicklung der Körpergröße in Europa einer U-Form: mit recht großen Individuen im Römischen Reich und im frühen Mittelalter; im späteren Mittelalter bis zur Moderne wurden die Menschen immer kleiner. Erst im 20. Jahrhundert ging es mit der Körpergröße wieder aufwärts. Manche Orte scheinen von diesem Auf und Ab jedoch ausgenommen gewesen zu sein. Das legt zumindest die aktuelle Studie von Biehler Gomez und Co. nahe.

Gebeine aus einfachen Gräbern

Das Team hat dafür Knochenreste von 549 Männern und Frauen aus verschiedenen Ausgrabungsstätten in Mailand untersucht. Sie stammen aus der Collezione Antropologica Labanof (CAL), eine Sammlung mit Überresten von insgesamt 7.000 Individuen.

Mailänder Forscherinnen und Forscher untersuchen Knochen
Lucie Biehler-Gomez
Die analysierten Knochen

Die untersuchten Gebeine lassen sich fünf verschiedenen Epochen zuordnen: dem Römischen Reich in den ersten fünf Jahrhunderten nach Beginn der Zeitrechnung, dem frühen Mittelalter (6. bis 10. Jahrhundert), dem späten Mittelalter (11. bis 15. Jahrhundert), dem Beginn der Moderne (16. bis 18. Jahrhundert) und der Gegenwart (19./20. Jahrhundert). Grabbeigaben und historische Daten zu den Gräbern legen nahe, dass die meisten sterblichen Überreste von einfachen und eher armen Menschen stammen.

Die Körpergröße wurde anhand der Knochenmaße hochgerechnet. In den meisten Fällen wurde der Oberschenkelknochen dafür verwendet. Die Männer waren zwischen 152 und 195,4 Zentimeter groß – Durchschnittsgröße: 168,5 Zentimeter. Die Frauen zwischen 143,5 und 177,6 Zentimeter – Durchschnittsgröße: 157,8 Zentimeter. Bei beiden Geschlechtern war dieser Durchschnittswert laut den Studienautorinnen und -autoren über 2.000 Jahre fast identisch geblieben.

Ein guter Ort zum Leben

Warum aber ist die durchschnittliche Köpergröße ausgerechnet in Mailand stabil geblieben, während die Menschen in großen Teilen Europas zuerst kleiner und dann wieder größer wurden? Auch dafür finden sich in der Studie mehrere mögliche Erklärungen. Zusammengefasst: Die im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung besiedelte Gegend sei immer schon ein besonders guter Ort zum Leben gewesen, betont das Mailänder Team nicht ganz ohne Lokalpatriotismus.

Das liege unter anderem an den natürlichen Ressourcen, die reichlich vorhanden waren: Wasser in Form von Flüssen, die auch für den Handel praktisch waren, fruchtbare Böden, Wälder für Holz, Flächen zur Viehzucht, essbare Früchte und Wild. Zudem war die Stadt durch Mauern immer relativ gut vor Angreifern geschützt, der erste Kranz wurde bereits kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung errichtet.

Soziale Stadt

Aber auch in anderer Hinsicht unterschied sich das Leben in der Stadt laut den Forscherinnen und Forschern deutlich von jenem in der ländlichen Umgebung: Schon im frühen Mittelalter gab es verschiedene Gesundheitseinrichtungen in Mailand, darunter auch sogenannte Xenodochien, die Arme und Kranke betreuten und pflegten. Später – im 13. Jahrhundert – wurden daraus die ersten Krankenhäuser. Auch das für damalige Verhältnisse sehr fortschrittliche Ospedale Maggiore, das heute Teile der Mailänder Universität beheimatet, wurde bereits im 15. Jahrhundert errichtet.

Fast durchgehend gab es in der Metropole private und öffentliche Wohltätigkeit, heißt es in der Studie. Das ermöglichte auch einfachen und armen Menschen einen vergleichsweise hohen Lebensstandard. Die Unterstützung der Ärmsten – oft waren es Frauen und Menschen, die auf der Suche nach einem besseren Leben in die Stadt gezogen waren – könnte zumindest teilweise zur Stabilität der Körpergröße über die Jahrhunderte hinweg beigetragen haben, vermuten zumindest die Forscherinnen und Forscher. Abgesehen von den Lebensumständen könnten aber auch fremde Gene eine gewisse Rolle gespielt haben, immerhin wurde Mailand im Lauf der Geschichte mehrmals erobert und von Fremden besetzt.