Ein Sonnen-Halo
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Seltene Erkrankungen

Teure Medikamente bremsen Therapie

Der 28. Februar ist der Tag der seltenen Erkrankungen. Eingestuft wird eine Krankheit als selten, wenn sie weniger als eine Person unter 2.000 betrifft. Ein Beispiel ist die Schattenspringer-Krankheit: Betroffenen bereitet Sonnenlicht heftige Schmerzen, die Therapie kostet pro Jahr an die 60.000 Euro – und sie wird nicht allen Patienten und Patientinnen genehmigt.

Wenn der Steirer Patrick Mailänder seine Wohnung untertags verlässt, so muss er sich komplett vermummen. Auch an heißen Sommertagen trägt er langes Gewand, Handschuhe und einen Hut mit Stoffteilen hinten und vorne, so dass nur seine Augen zu erkennen sind. In dieser Montur muss er sogar Autofahren, beruflich tauscht er nämlich Heiz- und Stromzähler aus. Patrick leidet an einer erythropoetischen Protoporphyrie, kurz EPP, oder umgangssprachlich Schattenspringer-Krankheit genannt. Im Sonnenlicht hat er mitunter das Gefühl “von innen zu verbrennen". Die Schmerzen dauern tagelang an, wie er erzählt: “Ich habe mir auch schon einmal den Fuß gebrochen, das hat lange nicht so weh getan wie die Schmerzen, die ich von der EPP kenne."

Schmerzen bei Sonnenlicht

In Österreich gibt es vielleicht vierzig EPP-Patienten und -Patientinnen. Bei der Stoffwechselerkrankung kommt es aufgrund eines Gendefekts zu einer Fehlbildung eines Enzyms, das normalerweise dabei hilft, rote Blutkörperchen im Körper zu bilden. Aufgrund des Defekts schwirren Teilchen, die ansonsten friedlich in roten Blutkörperchen verpackt durch den Körper reisen, alleine durch die Blutbahn. Und sie reagieren heftig mit Teilen des Sonnenlichts oder mitunter auch LED-Lichts und laufen dann in den Gefäßen Amok – sie bilden freie Radikale, werden hoch aktiv, schwirren herum und sorgen für heftige Entzündungen. Sonnencreme, Bräunungsmittel oder Schmerzmittel helfen nicht – sogar Morphium ist hier wirkungslos.

Schmerzen durch Licht

Die meisten freuen sich gerade über die ersten warmen Sonnenstrahlen in einem Vorfrühling. Für manche Menschen ist das aber leider eine schlimme Vorstellung: Sie vertragen keine Sonne, das Licht bereitet ihnen heftige Schmerzen.

Psychische Belastung

Trotz der enormen Schmerzen sind Schäden an der Haut nicht immer sichtbar. Bei Patrick Mailänder werden die Gefäße mitunter jedoch so stark beschädigt, dass Rötungen, Schwellungen und Verbrennungen auftreten (siehe Foto). Wie bei vielen seltenen Erkrankungen erhielt Mailänder die Diagnose spät, und zwar erst im Alter von 16 Jahren: “Die ganze Schulzeit über wusste niemand, was mit mir los ist. Wenn man erklärt, dass man in der Sonne arge Schmerzen bekommt, glauben viele, dass man simuliert, übertreibt oder einfach komisch ist. Darum hält man die Schmerzen, so gut es geht, aus."

Hobbys wie Fußballspielen oder seine Aktivität bei der Feuerwehr musste Mailänder aufgrund der Krankheit aufgeben. Psychisch belastet ihn die EPP schwer: “Vor allem in der Pubertät war es hart, wenn die Freunde miteinander etwas unternommen haben und ich zu Hause bleiben musste. Beziehungen habe ich damals schon ausgeschlossen, denn ich hätte ja mit einer Freundin nichts unternehmen oder mit ihr auf Urlaub fahren können."

Teures Medikament

Seit zehn Jahren gäbe es aber ein Medikament, das Patrick Mailänder ein normales Leben bescheren könnte. Es heißt “Scenesse" und ist ein etwa zwei Zentimeter langes Implantat, das unter die Haut gesetzt wird. Entwickelt wurde es eigentlich als Bräunungsmittel, wie der Dermatologe Robert Gruber, Oberarzt an der Universitätsklinik Innsbruck, erklärt: “Ein Hormon sorgt unabhängig vom Sonnenlicht für eine Bräunung der Haut. Der Effekt hält etwa zwei Monate lang an, und das führt dazu, dass sich die Patienten und Patientinnen statt der durchschnittlich zehn Minuten sogar vier bis sechs Stunden in der Sonne aufhalten können."

Doch das Implantat kostet einmalig 14.500 Euro, pro Jahr läppert sich das auf ungefähr 58.000 Euro. “Scenesse" liegt mit solchen Kosten jedoch im untersten Segment der sogenannten Orphan Drugs – der Fachbegriff für Präparate, die bei seltenen Erkrankungen zum Einsatz kommen.

EPP-Symptome bei Patrick Mailänder
Privat
Symptome von Patrick Mailänder

Kostenübernahme bei Medikamenten nicht geregelt

Am Beispiel der Schattenspringer-Krankheit zeigt sich ein Problem, vor dem viele Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen in Österreich stehen: Da die Kostenübernahme der Orphan-Drugs nicht geregelt ist, werden Anträge für nötige Medikamente einfach abgelehnt. Bei “Scenesse" müssen derzeit die Kliniken, die das Implantat einsetzen, die Kosten übernehmen. Die Uniklinik Innsbruck tut das für die acht EPP-PatientInnen in Tirol. Doch Patrick Mailänder in der Steiermark bekommt es nicht genehmigt.

Der Dermatologe Robert Gruber sieht hier einen Missstand: “Es gehört meiner Meinung nach eine österreichweite Lösung her, die für alle Bundesländer gilt. Zum Beispiel, dass die Versicherungsträger dafür aufkommen. Bisher weigerten sie sich teilweise, weil die ersten Studiendaten noch nicht so klar ausgesehen haben." Mittlerweile ist die Wirkung von “Scenesse" aber durch Folgestudien gut belegt. Eine landesweit einheitliche Regelung der Kosten von Orphan Drugs ist übrigens auch eine Hauptforderung von Pro Rare, der Allianz für seltene Erkrankungen in Österreich. Das Gesundheitsministerium hat 2014 einen Aktionsplan für seltene Erkrankungen erstellt, der ein Bündel an Maßnahmen beinhaltet und die Lebensqualität der Betroffenen insgesamt erhöhen soll – die Umsetzung lässt aber auf sich warten.

Ein Leben im Schatten

Während Patrick Mailänder seit zehn Jahren erfolglos um “Scenesse" kämpft, hat es die Wienerin Cornelia Dechant per Sondergenehmigung der Krankenkasse erhalten. Sie beschreibt die Verbesserung ihrer Lebensqualität so: “Ich hab erst dadurch begriffen, was es wirklich heißt, zu leben. Davor haben Angst und Schmerzen mein Leben bestimmt, ich wusste nicht, wie ich den Tag schaffen soll." Dass anderen EPP-PatientInnen das Implantat vorenthalten wird, findet sie “unfassbar und menschenverachtend". Dechant hat daher eine EPP-Selbsthilfegruppe gegründet und versucht durch Aufklärung auf diesen Missstand hinzuweisen.

Patrick Mailänder wartet währenddessen noch immer auf den Tag, an dem er endlich “Scenesse" bekommt. Dann würde er gerne eine kleine Weltreise machen. Es wäre für ihn allerdings schon großartig, einfach einmal mit seinen Freunden ins Freibad gehen zu können.