Tunneleffekt, Manche Deuterium-Ionen (blau) durchbrechen beim Zusammenstoß mit einem Wasserstoff-Molekül (gelb) die energetische Barriere und reagieren. Nur bei einem von 100 Milliarden Zusammenstößen kommt es zu diesem sogenannten Quantentunneln.
Universität Innsbruck/Harald Ritsch
Universität Innsbruck/Harald Ritsch
Physik

Erstmals chemischer Tunneleffekt beobachtet

Was im Alltag unmöglich ist, gehört in der Quantenwelt zur Normalität: Teilchen können undurchdringliche Barrieren überwinden. Das wird als Tunneleffekt bezeichnet. Innsbrucker Physikern ist es nun erstmals gelungen, eine chemische Tunnelreaktion experimentell zu beobachten.

Wie das Forschungsteam um Roland Wester und sein Team vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck im Fachjournal „Nature“ berichtet, handelt sich dabei um die langsamste je beobachtete Reaktion mit geladenen Teilchen.

Seit knapp 100 Jahren ist bekannt, dass ein Teilchen auch dann eine Barriere überwinden kann, wenn es gar nicht die dafür notwendige Energie besitzt. Hintergrund dieses „Tunneleffekts“ ist, dass in der Quantenmechanik Position und Geschwindigkeit eines Teilchens nicht gleichzeitig exakt bestimmt werden können. Man kann nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Daher kann sich etwa ein Atom mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch hinter einer Energiebarriere aufhalten.

Technologisch wird dieser Quanteneffekt bereits vielfach genutzt, etwa im Rastertunnelmikroskop und in Flash-Speichern. Auch der Alpha-Zerfall von Atomkernen kann damit erklärt werden.

Tunneleffekt auch bei chemischen Reaktionen

Der Tunneleffekt spielt auch bei chemischen Reaktionen eine Rolle, etwa wenn dadurch chemische Reaktionsbarrieren überwunden werden. Allerdings lassen sich solche Tunnelreaktionen nur sehr schwer vorhersagen. Denn die quantenmechanisch exakte Beschreibung einer chemischen Reaktion mit mehr als drei Teilchen ist schwierig, mit mehr als vier Teilchen nahezu unmöglich.

Wester und sein Team untersuchten in ihrer Studie eine der grundlegendsten molekularen Reaktionen – und zwar zwischen geladenem atomaren Wasserstoff und molekularem Wasserstoff. Diese einfache Reaktion kann vollständig quantenmechanisch beschrieben werden. Dazu verwendeten sie Deuterium, also ein Wasserstoffisotop mit zusätzlich einem Neutron im Kern. Dieses Isotop wird negativ geladen, also zu einem Ion, in eine Ionenfalle eingebracht und auf rund minus 263 Grad Celsius abgekühlt. Anschließend wird die Falle mit Wasserstoffgas befüllt, das aus Molekülen mit jeweils zwei Wasserstoffatomen besteht.

Trotz der tiefen Temperaturen kommt es zwar zu vielen Kollisionen, allerdings fehlt den Deuterium-Ionen die Energie, um auf konventionelle Weise mit den Wasserstoffmolekülen zu reagieren. In sehr seltenen Fällen passiert das durch den Tunneleffekt aber dennoch: „Die Quantenmechanik erlaubt es, dass Teilchen die energetische Barriere durchbrechen und es zu einer Reaktion kommt“, erklärte Erstautor Robert Wild aus Westers Team in einer Aussendung. Bei dieser Reaktion entstehen negativ geladene Wasserstoff-Ionen und Wasserstoff-Deuterium-Moleküle.

Langsamste je beobachtete Reaktion mit Ionen

„Wir ließen das Experiment rund 15 Minuten laufen – das ist erheblich länger als in den meisten Laboren weltweit für diese Ionen technisch möglich ist“, so Wester. Anschließend bestimmten die Forscher die Zahl der entstandenen Wasserstoffionen, aus der man ableiten kann, wie oft es zu einer Reaktion gekommen ist. In der langen Beobachtungszeit habe weniger als ein Prozent der Teilchen chemisch reagiert – womit es sich um die langsamste je beobachtete Reaktion mit Ionen handelt.

Langsam sei allerdings relativ, da es auch davon abhänge, wie viel Wasserstoff den Deuterium-Ionen als Reaktionspartner angeboten wird, so Wester. Korrekter müsste man daher von der Reaktionswahrscheinlichkeit von einem Stoß aus 100 Milliarden sprechen – nur so selten kommt es zu einer Tunnelreaktion. Dieser Wert deckt sich mit jenem, den theoretische Physiker 2018 errechnet hatten. Damit wird den Forschern zufolge erstmals ein präzises theoretisches Modell für den Tunneleffekt in einer chemischen Reaktion bestätigt.

Von dieser erstmaligen Messung einer Tunnelreaktion, die auch theoretisch gut verstanden wird, erhoffen sich die Wissenschaftler ein besseres Verständnis für weitere chemische Reaktionen, hinter denen der Tunneleffekt vermutet wird.