Junge Maispflanzen am Feld
AFP/FABRICE COFFRINI
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Landwirtschaft

Forderung nach Umdenken bei „grüner Gentechnik“

„Grüne Gentechnik“ ist in Europa streng reguliert. In den nächsten Wochen will die EU über eine Neuregulierung gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft entscheiden. Die Molekularbiologie sieht große Vorteile in einer Liberalisierung – etwa mit Blick auf den Klimawandel – und fordert ein Umdenken.

Wie bei Mensch und Tier wird auch bei Pflanzen die Funktion einzelner Gene untersucht. Das passiert etwa am Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (GMI). Dafür benutzen die Forscherinnen und Forscher sogenannte Modellpflanzen, also Pflanzen, die etwa einen kurzen Entwicklungszyklus haben und leichter zu kultivieren sind.

MIt Hilfe der Genschere CRISPR/Cas würden einzelne Gene ausgeschaltet bzw. entfernt, erklärt die Molekularbiologin Ortrun Mittelsten Scheid vom GMI: „Mit der Genschere können wir ein Gen gezielt ansteuern, dann Pflanzen mit und ohne diesem Gen vergleichen und so Aufschluss über deren Funktion bekommen.“

Diese Grundlagenforschung sei gerade mit Blick auf Kulturpflanzen wichtig, so Mittelsten Scheid. „Grüne Gentechnik“ könne dazu beitragen, Ernährungssicherheit auch zukünftig sicherzustellen. Denn aufgrund des Klimawandels und des zunehmenden Verlustes der Biodiversität sind die Prognosen besorgniserregend.

Ernteeinbrüche bereits in 10 Jahren

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung berechnete etwa vergangenes Jahr, dass sich die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Kulturpflanzen viel früher und stärker zeigen werden als bisher angenommen. Bereits in zehn Jahren könnte es bei wichtigen Getreiden wie Mais zu starken Einbrüchen kommen.

Stella Kyriakides, EU-Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz, hat bereits angekündigt, angesichts dieser Herausforderungen einen neuen rechtlichen Rahmen für „grüne Gentechnik“ in der EU schaffen zu wollen. Und auch Mittelsten Scheid ist davon überzeugt, dass die neue Gentechnik hier einen entscheidenden Beitrag leisten könne.

„Es geht primär um Ertragssteigerung, aber es geht auch um Qualität der Produkte, um Eigenschaften wie Allergene und Inhaltsstoffe oder auch die Lagerfähigkeit“, so die Molekularbiologin. Es werde zu Pflanzen geforscht, die gegen Schädlinge, Bakterien oder Viren resistent sind, was einen geringeren Einsatz von Pestiziden notwendig machen würde. Oder zu Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen oder in versalzenen Böden überleben können.

„Sollten ganze Werkzeugkiste nutzen“

Mit der Genschere CRISPR/Cas können einzelne Gene gezielt ausgeschaltet bzw. eingeschleust werden. Das Ergebnis solcher Genome Editing Verfahren lässt sich von natürlichen Mutationen nicht unterscheiden. In der EU gelten durch Genome Editing entstandene Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen, kurz GVO. Die Rechtsgrundlage dafür ist bald 20 Jahr alt.

„Die Zunahme an Präzision in der Pflanzenzüchtung ist ein ganz entscheidender Faktor und die wird immer wichtiger, je schneller wir Kulturpflanzen an neue Bedingungen anpassen müssen“, sagt Mittelsten Scheid. Forschung und Entwicklung sollten die ganze Werkzeugkiste nutzen können, um dieses Ziel möglichst schnell und für alle zugänglich zu erreichen.

Denn die gegenwärtig strenge Regelung „grüner Gentechnik“ verhindere, dass kleinere Saatgutunternehmen in diesem Bereich forschen. Die aufwändigen Zulassungsverfahren sind kostspielig, das führe zu einer möglichen Abhängigkeit von multinationalen Saatgutriesen und deren Patenten. „Das heißt, die jetzige Regelung verhindert, dass kleinere, lokal arbeitende Züchtungsbetriebe diese Technik sinnvoll einsetzen auch für Produkte, die eben nur für bestimmte Märkte interessant sind.“

Wissenschaftlich fundierte Diskussion

Und, auch das kritisiert die Molekularbiologin, die gegenwärtige Regelung führe dazu, dass Europa in diesem Bereich hinterherhinke. Die Technologie würde weltweit eingesetzt und das könne dazu führen, dass Europa hier den Anschluss verliert. Umweltorganisationen und Konsumentenschützer befürchten allerdings, dass bei einer Liberalisierung der Gentechnikgesetzgebung in der EU das bis dato geltende Vorsorgeprinzip außer Kraft gesetzt werden könnte, also eine ausreichende Risikobewertung, Prüfverfahren vor der Zulassung, Rückverfolgbarkeit und ein Kennzeichnung dieser Produkte.

Mittelsten Scheid begrüßt den Vorstoß der EU-Kommission: Dass gerade in Bezug auf „grüne Gentechnik“ die Bedenken in Politik und Bevölkerung groß sind, kann sie nicht nachvollziehen. Bei der Herstellung von Enzymen für Waschmittel oder von Insulin für Diabetiker kämen schon lange gentechnisch veränderte Mikroorganismen zum Einsatz. Hier müssten die Unterschiede in der Regulierung überdacht und wissenschaftlich fundiert diskutiert werden.