Frauen mit rotem Handabdruck auf ihrem Gesicht
Reuters/Ivan Alvarado (Montage)
Reuters/Ivan Alvarado (Montage)
8. März

„Nie da gewesener Rückschlag für Frauenbewegung“

Selbstbestimmungsrechte, Bildungsmöglichkeiten, Gleichbehandlung: Errungenschaften wie diese stehen heute für Frauen wieder auf dem Spiel. Einen „noch nie da gewesenen Rückschlag“ für die Frauenbewegung ortet die Sozialwissenschaftlerin Edit Schlaffer – und skizziert im Ö1-Interview Strategien gegen patriarchale Strukturen.

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen gibt es weltweit in unterschiedlichen Ausprägungen – besonders drastisch in Ländern wie Afghanistan, aber auch in Österreich, wenn man an die hohe Zahl von Femiziden denkt. Als Mittel gegen Gewalt empfiehlt Edit Schlaffer schon seit vielen Jahren, auch mit Müttern zu sprechen. Mit ihrer Non-Profit-Organisation „Women without Borders“ („Frauen ohne Grenzen“) etablierte die Feministin Mütterschulen und später auch Väterschulen gegen Extremismus. Warum vertrauensvolle Beziehungen die beste Waffe gegen Gewalt und Extremismus sind, erklärt sie im Interview.

Auch in Österreich gibt es Gewalt gegen Frauen. Das nennt sich dann in Schlagzeilen oft „Familientragödie“ oder „Beziehungsdrama“. Dabei handelt es sich um Femizide, also um Morde, die an Frauen verübt werden, weil sie Frauen sind. Laut einem APA-Faktencheck aus dem Jahr 2018 liegt Österreich im internationalen Vergleich im oberen Drittel der weiblichen Mordopfer pro 100.000 Einwohner. Es gibt auch gewalttätige Frauen. Dennoch scheint Gewalt mehrheitlich männlich zu sein. Ist das so? Warum ist das so?

Ö1-Sendungshinweis

Bei dem Text handelt es sich um einen Teil des Salzburger Nachtstudios: „Frieden beginnt mit Frauen!" 12 Fragen an die Sozialwissenschaftlerin Edit Schlaffer“, 8. März 2023, 21 Uhr, Ö1.

Edit Schlaffer: Es gibt sehr interessante Daten, die von der WHO für den Zeitraum 2000 bis 2018 ausgewertet wurden. Dafür wurden in 161 Ländern zwei Millionen Frauen über dem Alter von 15 Jahren befragt. Weltweit war ein Drittel der Frauen von Gewalt betroffen. Auch die Zahlen in Österreich sprechen eine klare Sprache, sie zeigen, dass das keine Probleme sind, die auf den globalen Süden beschränkt sind, sondern dass sie auch uns betreffen. Häusliche Gewalt ist kein individuelles Problem, sondern ein systemisches. Es geht um ein Machtverhältnis, das im privaten Raum ausgehandelt wird, aber zum Glück nicht mehr im privaten Raum bleibt. Dass Österreich mit all seinen Ressourcen bei den Femiziden so weit oben steht, halte ich für eine Schande. Und die Politik scheint das nicht in dem Ausmaß zu rühren, wie es der Fall sein sollte.

Patriarchale Gewalt geht nicht ausschließlich von Männern aus. Was etwa Ehrenmord genannt wird, wird zwar meist von Männern ausgeübt, aber oft sind Frauen diejenigen, die entscheiden oder die Männer dazu ermuntern. Das ist ein System, in dem Frauen mittun – ohne weibliche Kollaboration wäre es doch sehr instabil.

Schlaffer: In jedem Fall. Wir sehen das in einer Reihe von Ländern, etwa in Indien. Die Beteiligung der Schwiegermütter an Mitgiftmorden dort ist sagenhaft. In Delhi, wo wir eine Studie dazu gemacht haben, hat man nur die Tageszeitung aufschlagen müssen und unter der Rubrik Haushaltsunfälle lesen können, dass so und so viele Frauen wieder „Küchenunfällen“ zum Opfer gefallen sind: „Der Sari ist in Flammen aufgegangen, die Schwiegermutter hat das Zündholz gezückt und die Frau ist gestorben.“ Also man hat versucht, den Reichtum der Familie zu vermehren, indem eine neue Schwiegertochter mit Mitgift eingehandelt wurde. Ich glaube, dass man das Patriarchat nicht an der Geschlechtszugehörigkeit festmachen kann, sondern es ist ein machtorientiertes Denken, das auf Konkurrenz, Übervorteilung, Wettbewerb und all diesen negativen Eigenschaften, die auch unseren Planeten an die Wand fahren, basiert. Ich glaube nicht, dass das geschlechtsspezifisch ist. Es hat einen geschlechtsspezifischen Ausdruck, weil Männer natürlich in der Machtposition sind und den Ton angeben.

Edit Schlaffer bei einem Ö1-Interview 2018
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Edit Schlaffer bei einem Ö1-Interview

Im Jahr 1991 haben Sie ein Buch mit dem Titel „Sagt uns, wo die Väter sind“ veröffentlicht. Und ich darf daraus zitieren: „Allein der moderne Voluntarismus der Familiengründung hat der Mutterschaft eine vollkommen neue Prägung gegeben. Für Frauen ist das Austragen einer Schwangerschaft eine soziale und intellektuelle Entscheidung, nicht ein biologisches Zwangsereignis. Diese Frau hat aber in der modernen Neuzeit ein großes Problem. Ihr Mann und mit ihm die Gesellschaft als Ganzes kauert noch paläolithisch am Lagerfeuer.“ Wie sehen Sie das denn heute? Haben wir die Altsteinzeit schon überwunden?

Schlaffer: Ja, ich denke schon. Das ist ja nicht mehr in Stein gemeißelt, dass Frauen für die Versorgung der Familie zuständig sind und die Männer nicht. Inwieweit die Männer das dann auch umsetzen, ist eine andere Frage. Und ich finde, dass das noch viel zu individualistisch abgehandelt wird. Es ist noch immer gesellschaftlich erlaubt, dass Männer die Wahlfreiheit haben, sich zu beteiligen oder auch nicht. Das ist ja im Grunde ungeheuerlich. Männer haben, wenn sie Väter werden, auch eine große Verantwortung für das Werden dieses heranwachsenden Menschen. Aber schon unser Wirtschaftssystem ist ganz stark patriarchal geprägt. Solange Frauen nicht dieselben Möglichkeiten haben wie Männer, Männer noch immer die Priorität des Allein- oder Mehrverdienenden haben, schaut es kritisch aus. Jetzt gibt es die jüngsten Untersuchungen, wonach ein Drittel der Frauen ja eigentlich gar nicht Vollzeit arbeiten will. Das ist lächerlich. Jetzt stehen Frauen so da, als ob sie Arbeitsverweigerer wären. Dabei sind sie sich ihrer Verantwortung bewusst, und es ist ihnen völlig klar, was das bedeutet: Sie wollen Ihr Kind nicht fremdversorgen lassen. Aber was heißt das – Fremdversorgung? Der Begriff ist ja schon verwirrend …

… wir haben einfach nicht genug und nicht genug hochwertige und auch nicht genug flächendeckende Kinderbetreuung …

Schlaffer: … genau, aber ist das alles unveränderbar? Es löst sich so viel auf. Wir haben ja durch Covid gesehen, wie sich Arbeitsrealitäten verschieben und verändern. Aber in Wirklichkeit hat sich das alles noch mehr in Richtung Frauen verschoben und nicht in Richtung einer egalitäreren Partizipation.

Also sprechen wir eigentlich von einem Backlash, von einem Rückschlag?

Schlaffer: Ja, ein hundertprozentiger Backlash. Ich glaube, wir erleben einen noch nie da gewesenen Rückschlag, nach den Errungenschaften der diversen Wellen der Frauenbewegung. Es wurde so viel erkämpft, und wir haben uns alle gedacht, das ist jetzt eine Gegebenheit, und es rollt eigentlich schon sehr zurück.

Ihre Forschung hat sich explizit mit Beziehungen auseinandergesetzt, und daraus haben sich auch Ihre Organisation „Frauen ohne Grenzen“ und Ihre Mother Schools entwickelt. Das Leitmotiv lautet quasi: Vertrauensvolle Beziehungen sind die beste Waffe gegen Gewalt und Extremismus. Was passiert denn in diesen Mother Schools?

Schlaffer: „Frauen ohne Grenzen“ habe ich mit einem Team von wirklich fantastischen Frauen gegründet – aus dem Bedürfnis heraus, aus der Forschung etwas Angewandtes zu machen. Wir haben so lange geforscht und das Gefühl gehabt, wir haben alles besprochen, jetzt ist die Zeit, auch systematisch Aktionen zu setzen. Und das ist ja auch parallel gelaufen mit 9/11,und der Art, wie die Sicherheitsfrage damals gestellt wurde: Es waren die bösen Terroristen. Wir sind überrollt worden etc. Aber wo waren die Frauen in dieser Diskussion? Da habe ich die ersten Gespräche geführt mit Müttern von Terroristen und mit Müttern von Opfern. Ich glaube ganz fest daran, dass man mit beiden Seiten sprechen muss. Und das waren für mich schon die ersten Ansatzpunkte zu überlegen: Wie kann man das zusammenbringen? Es waren immer die Mütter, die die eindringlichsten Erfahrungen hatten. Sie haben mehr gewusst als die Politiker, Gelehrten und Think-Tank-Personen, die dann die nächsten zwei Dekaden gerätselt haben: Was ist ein Terrorist, was ist Terrorismus? Wo kommt das her?

Die Mütter haben es schon am Anfang gewusst. Und da habe ich gedacht: Wenn diesen Müttern von gefährdeten Jugendlichen bewusst wird, dass da ein Problem ist, wenn sie zusammenkommen und eine Plattform haben, wo sie sich austauschen können, da können wir mehr erreichen als mit Policy Papers und Strategen. Und die Idee war dann, Mütter zu mobilisieren als eine erste Linie der Verteidigung. Und ich muss sagen, das ist uns wirklich gelungen, weil die Mütter auch bereit dafür sind. Es gibt kaum eine Gruppe, die so leidenschaftlich für die Interessensvertretung ihrer eigenen Kinder ist wie Mütter. Liebe ist eine fantastische Währung. Aber Liebe allein reicht nicht. Es braucht in erster Linie Selbstvertrauen. Vielen Frauen fehlt dieses Selbstvertrauen, gegen patriarchale Machtsysteme aufzutreten. Dafür braucht es Wissen und Kompetenz. Und da ist die Idee entstanden, diese Mother Schools zu gründen.

Edit Schlaffer mit Teilnehmerinnen einer Mother School in Indien
Women without Borders
Edit Schlaffer mit Teilnehmerinnen einer Mother School in Indien

Wir machen das jetzt seit eineinhalb Jahrzehnten, und ich werde es nie vergessen: Wir haben Workshops mit tadschikischen Frauen gemacht, und die haben erzählt, wie der Wahhabismus in Tadschikistan einzieht und wie ihre Kinder dorthinrennen und sie sie gar nicht stoppen können oder wollen. Weil, wie können sie einem Jugendlichen, der schon ein Mann ist, zwölf Jahre, widersprechen? Und dann hat unser Hauspsychologe, der uns begleitet hat, mit ihnen über die Phasen der Entwicklung im Leben von Jugendlichen geredet und wie wichtig ihre Rolle ist, ein Stoppfaktor zu sein. Und am Ende des Tages stand eine Mutter auf und sie sagte: „Ich habe eines heute gelernt in dieser Versammlung. Wir Mütter müssen zurück in die Schule.“ Und das war für uns die Initiation, da haben wir gewusst: Da geht’s lang! Und dann haben wir angefangen, die Materialien und Curricula zu entwickeln. Es ist ein sehr formeller Prozess, durch den die Frauen in den jeweiligen Gruppenworkshops gehen – über vier Monate, jede Woche vier Stunden mit ausgebildeten sogenannten Mother-Schools-Teachers und mit Notetakern, die den Prozess begleiten. Wir als „Frauen ohne Grenzen“ stellen die Materialien her, machen das Monitoring, die Begleitung und wissenschaftliche Evaluierung. Mother Schools sind ein Bestandteil der zivilgesellschaftlichen Involvierung in der Prävention von gewalttätigem Extremismus geworden.

Das heißt, ich stelle mir vor, da kommt jetzt eine verzweifelte Mutter eines Teenagerkindes und sagt: Mein Sohn ist dabei, sich zu radikalisieren, was kann ich tun?

Schlaffer: Sehr häufig ist es, dass die Frauen nicht mit dem Anliegen kommen, sondern mit einem Gefühl, dass irgendwas vielleicht nicht ganz in Ordnung ist. Aber sie trauen sich nicht, sich das einzugestehen. Es ist ein solches Tabuthema, dass eine gedankliche Barriere besteht. Aber es treibt sie dann doch aus dem Haus, und sie denken sich, bevor etwas passiert oder wenn ich nicht mehr weiter weiß, vielleicht weiß jemand anderer weiter oder eine andere. Das sind so die Szenarien, die wir erleben. Und wir haben immer wieder Beispiele gesehen, wo Mütter, deren Kinder tatsächlich falsch abgebogen sind, gesagt haben: Ich habe das nicht realisiert, dass meine Nachbarin in derselben Situation ist. Hätten wir doch miteinander gesprochen, dann müssten wir unsere Kinder jetzt nicht gemeinsam in einem Hochsicherheitsgefängnis besuchen! Hätten wir vielleicht im Vorfeld etwas gemeinsam dagegen unternommen, hätten wir uns das erspart!

Aber was hätten Sie zum Beispiel tatsächlich unternehmen können?

Schlaffer: Ein Beispiel vom westlichen Balkan, in Nordmazedonien: Mütter waren dort ein bisschen beunruhigt, dass ihr Kinder in einer Betreuungsanstalt waren und dort immer länger blieben. Und die religiösen Führer dort waren so freundlich und haben ihnen Essen gegeben und sie haben dann lange Filme geschaut. Irgendwie kam ihnen das schon nicht mehr geheuer vor. Eine einzelne wäre nie aufgestanden dagegen, hätte nie berichtet. Aber in der Diskussion in der Gruppe hat sich herausgestellt, dass da radikalisierende Elemente unterwegs sein könnten, die die Kinder in eine bestimmte Richtung drängen – und so war es dann auch. Eine allein hätte es gegenüber den Autoritäten, die ja nicht unbedingt sehr empfänglich für weibliche Beschwerden sind, schwer gehabt.

Und wie haben Sie es geschafft?

Schlaffer: Sie sind zu den jeweiligen Gemeindevertretern gegangen. Die haben sich das genauer angeschaut, haben das hinterfragt, haben das abgestellt. Das ist ja auch ein Warnsignal in der Community: Das funktioniert nicht, da müssen wir aufpassen. Es ist ganz wichtig, den Dingen nicht ihren Lauf zu lassen, sondern Sand im Getriebe zu sein. Ich glaube, die Mütter können Sand im Getriebe der Rekrutierungsinstanzen sein.

Ich werde auch nie eine Situation in Indonesien vergessen, wo wir nun wieder in größerem Ausmaß arbeiten. Dort habe ich mit einem Menschen geredet, der eindeutig Kinder für Syrien gesammelt hat. Und ich habe ihm dann erzählt, dass wir auch in sein Dorf kommen. Er war ein Soft Recruiter, kein Radikaler im klassischen Sinn, sondern eine Schalmeienstimme in der Szenerie. Wir haben uns getroffen und er hat gesagt: „Aha, sie kommen in mein Dorf. Ich merke schon, ich habe Konkurrenz.“ Er hat es auf den Punkt gebracht: Wir sind Konkurrenz für die radikalisierenden Kräfte. Und das ist ganz wichtig. Wir sind ja viele: Die Mütter sind ja dort ein Faktum, haben sehr viele Ohren und Augen. Und wenn die geschärft werden, wenn sie wissen, was Radikalisierung ist, welche Formen sie annimmt, welche Sprache die Kinder sprechen, wie sie sich verhalten – dann ist das schon ein Riesenfortschritt.

Edit Schlaffer in einer Schule in Ruanda, 2005
Xenia Hausner
Edit Schlaffer in einer Schule in Ruanda, 2005

Eine deutsche Mutter zum Beispiel hat uns in einer Mother School erzählt: Ihr Kind hat plötzlich angefangen, sehr viel zu trainieren und am Boden zu schlafen, um sich abzuhärten. Sie hat sich gedacht, na gut, er ist jetzt in Sportfreak geworden. Aber in Kombination mit den Gruppen, die er aufgesucht hat, den Freunden, die weggeblieben sind, den neuen Freunden, die gekommen sind – das wurde dann alles besprochen. Dafür braucht es aber auch ein Klima des Besprechens. Und das ist ein starkes Feature bei uns, dass die Frauen sich getrauen, ihre Geschichten zu erzählen.

Geht es dabei nur um den radikalen Islam oder auch um andere Religionen oder politische Hintergründe?

Schlaffer: Um alles, das ganze Spektrum von Gewalt. Mit dem Rechtsradikalismus ist es ein bisschen schwieriger, weil wir sehen, dass die Familien meistens sehr involviert sind. Beim islamistischen Extremismus gibt es eine große Bereitschaft der Familien, dagegen anzutreten und die Kinder zu beschützen. In der rechtsradikalen Szene ist es schwieriger. Aber da gibt es natürlich auch von uns aus Offenheit. Wir wenden das Programm jetzt auch an bei gender based violence, also geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Wir machen erstmals das Programm der Mother Schools für die Prävention von solcher Gewalt im Kosovo und in Österreich. Das ist ein Versuchsprogramm und ich muss sagen, es waren ziemlich offene Türen. Die Gruppen waren schnell gefüllt und wir implementieren das jetzt. Und ich denke, es ist auch wichtig im Spektrum der Radikalisierung anzuschauen, welche Rolle gender based violence spielt. Aus den Interviews sehen wir, dass Gewaltverhältnisse extremistische Neigungen sehr stark fördern. Das heißt, wenn wir nicht gegen häusliche Gewalt antreten, haben wir ein großes politisches Extremismusproblem.

Sie betreiben auch Father Schools, also Väterschulen. Warum kamen die viel später, und funktionieren die anders?

Schlaffer: Das Prinzip ist dasselbe, also Stärkung des Selbstbewusstseins. Das brauchen vielleicht Männer nicht in Hinblick auf allgemeine Präsentation, aber Selbstbewusstsein in der Wahrnehmung von erzieherischen Kompetenzen, Care-Kompetenzen und auch Wissen um Radikalisierungsphänomene. Das ist relativ spät gekommen, und wir haben angenommen, dass die Väter schwer erreichbar sein werden. Das war ein Bias auf unserer Seite, ganz klar. Es ist schon schwieriger, Väter zu mobilisieren, dass sie sich Zeit nehmen und zusammenkommen. Die Father Schools laufen jetzt in Deutschland und in Österreich, und sie sind anders. Die Väter reagieren anfänglich viel stärker auf Frontalunterricht. Sie stellen die Sessel wie im Theater oder im Hörsaal auf. Die Frauen bilden automatisch einen Kreis, sind aufeinander bezogener. Und das ist auch ein Prozess für die Väter.

Aber wir haben Rieseninteresse gesehen, schon vor Jahren. Wir haben im Kaschmir gearbeitet und ich kann mich an eine Sitzung erinnern. Wir waren in einem entlegenen Dorf, und eine ganze Gruppe von Männern hat sich uns genähert. Ich habe das Schlimmste befürchtet und gedacht: Jetzt werden wir konfrontiert. Aber sie sind eigentlich mit sehr freundlichen Absichten gekommen. Sie wollten sehr gerne wissen, was da passiert. Ihre Frauen, hat der Anführer erzählt, hätten sich so verändert. Sie waren interessiert, wie das passiert. Und dann waren jüngere Männer dabei, die gesagt haben: „Kann nicht meine Schwester kommen? Ich habe das Manual gelesen. Ich kann Teile auswendig. Ist das meine Eintrittskarte für die Schwester?“ Da haben wir auch gedacht: Naja, wenn das Interesse schon da ist – und es ist absolut notwendig. Weil es ist nicht einzusehen, dass auch bei der Radikalisierung die Frauen die Führung in der Prävention übernehmen müssen. Vielleicht müssen sie den Anfang machen, aber es muss unbedingt Hand in Hand gehen.