Das Gehirn-Organoid unter dem Mikroskop: Neuronen (rosa), Zellkerne (blau), Oligodendrozyten (rot), Astrozyten (grün)
Thomas Hartung, Johns Hopkins University
Thomas Hartung, Johns Hopkins University
Organoide Intelligenz

Ein Computerprozessor aus Gehirnzellen

Es klingt nach einem Science-Fiction-Film: eine Art menschliches Minigehirn, das Zentrum eines Computers werden soll. Ein Forschungsteam hat nun tatsächlich einen Fahrplan vorgestellt, mit dem dieser „Biocomputer“ in einigen Jahrzehnten Realität werden könnte.

Die Autorinnen und Autoren skizzieren im Fachblatt „Frontiers in Science“ die Entwicklung einer „organoiden Intelligenz“ (OI), die nicht nur leistungsstärkere und sparsamere Computer möglich machen, sondern auch die Entwicklung von Medikamenten voranbringen könnte. Grundlage sind Hirnorganoide – im Labor aus menschlichen Zellen gezüchtete Gewebestrukturen, die für bestimmte Hirnregionen typisch sind.

Echtes Gehirn noch unübertroffen

Bei allen beeindruckenden Fortschritten, die Computertechnologien und hier vor allem die künstliche Intelligenz (KI) in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben, gilt das menschliche Gehirn mit Blick auf seine Lern- und Erinnerungsfähigkeiten immer noch als unübertroffen. Eine neue Art biologische Computersysteme könnte die Grenzen allerdings verschieben. Denn ging es bisher vor allem bei der KI darum, Computer gehirnähnlicher zu machen, sollen nun die Hirnorganoide computerähnlicher werden.

Teamleiter Thomas Hartung von der Johns Hopkins Universität sieht drei zentrale Einsatzbereiche für organoide Intelligenz: Sie könnte dabei helfen, die Funktion des Gehirns besser zu verstehen. Zudem könnte sie die Entwicklung von Medikamenten etwa gegen neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz revolutionieren. Und schließlich könnte sie die Computertechnologie umwälzen.

Laut Hartung können Computer Daten und Zahlen zwar grundsätzlich schneller verarbeiten als der Mensch. Dieser sei aber immer noch besser, wenn es um komplexe logische Probleme gehe. Zudem könne sich ein einzelnes Neuron im Gehirn mit bis zu 10.000 anderen Nervenzellen verbinden, was eine ganz andere Art der Informationsverarbeitung und -speicherung sei, so der Wissenschaftler.

Hirnorganoide in der Petrischale

Wie die biologische Hardware aussehen könnte, veranschaulicht das Team mit Illustrationen: Eine davon zeigt einen Zellklumpen – das Organoid – der in einer Schale mit Flüssigkeit schwimmt und mit winzigen Röhrchen nach außen verbunden ist.

Für solche Organoide nutzen die Forscherinnen und Forscher Zellen aus menschlichen Hautproben, die zunächst in einen stammzellenähnlichen Zustand transformiert und dann dazu gebracht werden, sich zu Hirnzellen zu entwickeln. Jedes der so entstandenen dreidimensionalen Hirnorganoide enthält etwa 50.000 Zellen, was für die angestrebten Biocomputer noch zu wenig sei: „Um anspruchsvolle Berechnungen zu unterstützen, wollen wir diese Zahl auf zehn Millionen erhöhen“, schreibt das Team.

Grafik zu den Gehirn-Organoiden
Frontiers/John Hopkins University

Das in der Illustration abgebildete System aus Röhrchen und Flüssigkeit dient den Organoiden: Sie erhalten darüber Sauerstoff, Nährstoffe und Wachstumsfaktoren, während Abfallstoffe beseitigt werden. Zudem beschreiben die Forscher Technologien, die es erlauben, den Zellen Informationen zu senden und auszulesen, was sie „denken“. Die Autorinnen und Autoren planen, Werkzeuge aus verschiedenen Disziplinen wie Bioengineering und maschinelles Lernen zu adaptieren sowie neue Stimulations- und Aufzeichnungsgeräte zu entwickeln.

Gehirnzellkultur spielte bereits Videospiel

Hartung erläutert dazu: „Wir haben eine Gehirn-Computer-Schnittstelle entwickelt, eine Art EEG-Kappe für Organoide, die wir in einem im August veröffentlichten Artikel vorgestellt haben. Es handelt sich um eine flexible Hülle, die dicht mit winzigen Elektroden bedeckt ist, die sowohl Signale vom Organoiden aufnehmen als auch an ihn weiterleiten können.“

Dass OI grundsätzlich machbar ist, hätten frühere Arbeiten bereits belegt, so Hartung, der konkret eine Studie seines Mitautors Brett Kagan (Cortical Labs in Melbourne) nennt. Dessen Team hatte 2022 gezeigt, dass es möglich ist, Gehirnzellkulturen das Videospiel „Pong“ beizubringen, bei dem ein Punkt auf dem Bildschirm ähnlich wie beim Tennis hin und her geschlagen wird.

Viele ethische Fragen

Es könnte laut Hartung zwar noch Jahrzehnte dauern, bis die organoide Intelligenz ein System antreiben kann, das so intelligent ist wie eine Maus. Doch schon jetzt stehen komplexe ethische Fragen im Raum. Könnten Hirnorganoide etwa Leid fühlen oder gar ein Bewusstsein entwickeln? Und welche Rechte hätten die Spenderinnen und Spender der Hautzellen? Um diesen Unsicherheiten zu begegnen, schlagen die Fachleute vor, den Forschungsprozess kontinuierlich von Menschen aus Ethik, Forschung und Öffentlichkeit begleiten zu lassen, das gemeinsam entsprechende Fragen identifiziert, diskutiert und beantwortet.