Heute erscheint uns die Postkarte als ein recht triviales Objekt; selbst als Urlaubsgruß wurde sie längst von Email-Nachrichten, Instagram oder Facebook abgelöst. Aber im späten neunzehnten Jahrhundert war sie eine aufregende Erfindung. Schriftsteller*innen, Philosoph*innen und bildende Künstler*innen setzten sich mit ihr auseinander, während Politiker*innen über die Gefahren dieses neuen Mediums nachdachten. Gerade Bildpostkarten übten einen großen Reiz.

Über die Autorin
Liliane Weissberg ist Distinguished Professor in Arts and Science an der University of Pennsylvania und aktuell Senior Fellow am IFK in Wien.
Veranstaltung
Weissberg hält am 13.3.23, 18.15 Uhr, den Vortrag „Walter Benjamin sammelt Postkarten“, er findet am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften/Kunstuni Linz in Wien in hybrider Form statt.
Angeregt durch die Galeristin Rose Schapire skizzierten in Deutschland Karl Schmidt-Rotluff und andere Maler*innen der Künstlergruppe „Brücke“ ihre Werke auf Blanko-Postkarten und zirkulierten sie untereinander. Else Lasker-Schüler und Franz Marc unterhielten eine Korrespondenz, die von selbstgemalten Postkarten getragen wurden, die zum Teil wiederum in die Buchveröffentlichungen Lasker-Schülers eingingen. Franz Kafka schrieb gerne Postkarten, und schrieb und zeichnete in die vorgefertigten Bilder.
Walter Benjamin erhielt bereits als Kind eine Postkartensammlung von seiner Großmutter und sammelte weiter; er kaufte Postkarten in Paris wie auf Reisen, die ihn zu Texten wie seinen Städtebildern wie seinem Passagenwerk anregen sollten. Die Postkartenalben von Alfred Döblin, die unter anderem das Berlin um den Alexanderplatz zeigen, das geografische Zentrum eines seiner Romane, sind heute noch erhalten. Man müsste eine Philosophie der Postkarte schreiben, bemerkte Benjamin in einem Brief an Siegfried Kracauer. Dieser fotografierte mit seiner Ehefrau Lili wiederum Paris – im Postkartenformat. Doch wie sollte eine Philosophie, die sich an dieses kleine Objekt hielt, aussehen?
Eine deutsch-österreichische Geschichte
Dabei wurde die Postkarte erst 1840, mit der Erfindung der ersten Penny-Briefmarke in England möglich, denn mit ihr wurde das Porto nicht nach Erhalt des Briefes und gemessen an seiner Wegstrecke bezahlt, sondern gemäß seinem Gewicht und im Voraus. Als der preußische Postbeauftragte Heinrich von Stephan der Norddeutschen Post-Föderation 25 Jahre später die Einführung eines einfachen „Postblattes“ zur Beförderung vorschlug, zitierte er viele Gründe, die für die Einführung einer solchen Erneuerung sprachen. Ein Postblatt war leicht und damit wirtschaftlich günstig, das Briefeschreiben würde beschleunigt werden.
Die Betonung auf die Geschwindigkeit von Schreiben, Sortieren und Liefern eines Briefes berührte einen wichtigen Punkt in der Zeit der industriellen Revolution und des technologischen Fortschritts, Schnelligkeit wurde verlangt. Von Stephan hoffte aber auch, dass der limitierte Schreibraum einen konzentrierteren Schreibstil fördern würde. Dabei sollte sich das Postblatt auch als billigere und damit demokratischere Konkurrenz zur Telegrafie etablieren. Für von Stephan stand das Postblatt als letztes Glied in einer Entwicklungsreihe von Schreibtechniken, die mit den antiken Wachstafeln begann. Das konkrete Modell für das Postblatt war für ihn im Bankwesen zu finden; so verglich er es mit dem Schein der Geldüberweisung, wie er bereits seit einiger Zeit in Gebrauch war.

Leider war von Stephan mit seinem Vorschlag nicht erfolgreich. Seine so gelobte Briefüberweisung schien sich ökonomisch nicht zu rentieren. Die Regierung sorgte sich aber auch um den Erhalt des Briefgeheimnisses und um den Schutz der Privatsphäre der Korrespondent*innen; ohne schützenden Umschlag konnten unbefugte Leser*innen die verschickten Nachrichten einsehen. Doch nur vier Jahre nach der Ablehnung des deutschen Antrags versuchte es di Österreich-Ungarische Post und war mit ihrem Antrag erfolgreich. So wurde Österreich 1869 zum ersten Staat, der ein „Postblatt“, nun „Korrespondenzkarte“ bezeichnet, für den offiziellen Briefverkehr genehmigen sollte. Diesmal war es aber kein Postbeamter, sondern ein Ökonom, Emmanuel Hermann, der die richtigen Kalkulationen vorlegen konnte, und Hermann wurde fortan als der Erfinder der Postkarte gefeiert.
Damit galt die Postkarte als eine österreichische Innovation. Aber das deutsche Postwesen folgte rasch. Von Stephan wurde zum Generalpostdirektor des Norddeutschen Staatenbundes befördert und damit war der Weg zum Sieg der Postkarte frei. Im Juli 1870 wurde die Postkarte offiziell in Norddeutschland eingeführt. Die Regeln des Postkartenschreibens wurden klar kenntlich gemacht. Auf der Vorderseite sollte sie die Briefmarke zeigen und die Adresse des Empfängers; die Rückseite war für die Nachricht reserviert. Die Adresse des Absenders sollte nicht vermerkt werden. Der Inhalt der Karte sollte den Moralvorstellungen der Zeit entsprechen; Empfänger*innen wie Postbeamt*innen bedurften eines Rechtsschutzes. So wurden bald sechs genaue Anweisungen zum Schreiben von Postkarten auf der Rückseite der Karte gedruckt und kamen damit unter jeder Nachricht zu stehen.
Zwischen Krieg und Tourismus
Der Krieg zwischen Frankreich und Preußen 1870-71 half, die Popularität der Postkarte zu steigern, die gerade kurz vor Ausbruch des Krieges erfunden wurde. Für den Versand von Post während der Kriegszeit wurde das Gewicht der Briefe besonders relevant. Frankreich experimentierte mit einer Postverschickung durch Heißluftballons. So erschien die erste Bildpostkarte als französische Feldpostkarte während des Krieges. Private Firmen begannen jedoch bald, ebenfalls Korrespondenzkarten zu produzieren und diese mit Bildern zu schmücken, welche die erste Feldpostkarte an visuellem Reiz bald übertrafen.
Feldpostkarten wurden in späteren Jahren zu einem eigenen Genre. Während des Ersten Weltkrieges beispielsweise konnten Soldaten durch einfache Ankreuzungen vorgedruckter Sätze Freunden und Familien eine schnelle Nachricht über ihr Wohlbefinden geben. Das, was zunächst als Nachteil der Postkarte gewertet wurde – ihre offensichtliche Lesbarkeit – kam der Kriegszensur entgegen. So kam es auch, dass Franz Rosenzweig etwa sein philosophisches Hauptwerk, den „Stern der Erlösung“, als Soldat im Balkan auf Feldpostkarten schrieb und diese besondere Manuskriptfolge auf diese Weise nach Hause schickte.

Aber zu dieser Zeit hatte sich die Postkarte bereits gewandelt. Nach 1905, als die Adressseite geteilt wurde, konnten auch ganzseitige Bilder wiedergegeben werden, und neue Drucktechnologien machten die Abbildungen von Photographien möglich. Diese Bildwelt empfahl die Ansichtskarten für die neuen Tourist*innen der Jahrhundertwende, aber auch den Sammlern und besonders Sammlerinnen. Denn während Männer Briefmarken zu sammeln begannen, stand das Gebiet der Postkarten besonders Frauen offen. Sie konnten sie in Alben fügen, aber Frauenmagazine boten auch Anweisungen zur Verschönerung von Tapeten oder Möbelstücke durch Bildkarten.
Viele dieser neuen Bildkarten zeigten Ansichten von Ortschaften und Lokalitäten, es folgten Reklame- und Grußkarten. Dabei wurde bei diesen immer noch die Adressenseite von der Nachrichtenseite unterschieden und die Nachricht musste sich dabei den Raum mit dem Bild teilen. Der Text wurde mit der Hand unter oder neben dem lithografierten Bild geschrieben, Text und Bild sollten zusammen gesehen und gelesen werden. Neue Drucktechnologien machten dies möglich.
Das goldene Zeitalter der Postkarte
Das goldene Zeitalter der Postkarte wird heute oft zwischen dem späten neunzehnten Jahrhundert und dem Ende der 1920er Jahre angesetzt. Für Deutschland aber war gerade die Zeit zwischen dem preußisch-französischen Krieg und dem Ersten Weltkrieg bedeutend. 1871 wurde nach dem Sieg Preußens das Deutsche Reich gegründet, und die Postkarte unterstützte nun das nationale deutsche Projekt. Mit Hilfe von Ansichtskarten wurden die Orte des neuen Reichs und seine Hauptstadt bekannt gemacht.
Dabei wurden deutsche Verleger und Drucker zu den Hauptproduzenten von Postkarten überhaupt. Die alten Zentren der Buchproduktion, allen voran Leipzig, wurden zu Zentren des Postkartendrucks. Deutsche Firmen exportierten Postkarten in alle europäischen Länder und auch in die Vereinigten Staaten. Zwischen 1895 und 1920 wurden etwa 200 Milliarden Postkarten weltweit in Umlauf gebracht. Die eifrigsten Postkartenschreiber*innen kamen dabei aber ebenfalls aus Deutschland. Die deutsche Vorherrschaft auf dem Postkartenmarkt als Produzenten und Verbraucher endete mit dem Ersten Weltkrieg, einem anderen Krieg, der den Briefverkehr eingeschränkte und jeglichen Tourismus rückgängig machte, und gerade Deutschlands Niederlage setzte der Monopolstellung deutscher Verlage ein Ende. Und das goldene Zeitalter der Postkarte war wenige Jahre später ebenfalls vorbei.