Gletschertagebuch März 2023
Andrea Fischer
Andrea Fischer
Gastbeitrag

Schlechte Aussichten für heimische Gletscher

Der sehr milde Winter hat nur wenig Schnee im Hochgebirge gebracht. Die Aussichten für die Bildung einer ausreichenden Winterreserve sind somit nicht besonders gut – und das wird die Gletscher vermutlich heuer noch früher zum Schmelzen bringen als im Vorjahr, berichten die beiden Glaziologen Andrea Fischer und Hans Wiesenegger in einem Gastbeitrag.

Derzeit liegt unterdurchschnittlich wenig Schnee im Hochgebirge und damit auch auf den heimischen Gletschern. Die GeoSphere Austria (vormals ZAMG) beschreibt den bisherigen Winter als den sechstwärmsten der 256-jährigen Messgeschichte im Tiefland und reiht ihn im Hochgebirge auf Platz zwölf seit 172 Jahren.

Allgemein hat der Winter „mager“ begonnen. Besonders im Westen Österreichs (Vorarlberg, Nordtirol, Salzburg) fehlten ergiebige Niederschlagsereignisse. Insgesamt fiel um 15 bis 45 Prozent weniger Niederschlag als im langjährigen Durchschnitt. In einzelnen Tälern, wie dem Paznauntal und dem Oberen Inntal, war es mit Defiziten von 45 bis 60 Prozent noch einmal etwas trockener.

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GeoSphere Austria
Winter 2022/2023: Niederschlagssumme in Prozent der Vergleichsreihe 1991 bis 2020

Nur wenig Neuschnee

Auch die Neuschneesumme (Summe der täglichen Neuschneemenge, gemessen um 7 Uhr) lag in den meisten Regionen um ungefähr 15 bis 75 Prozent unter dem langjährigen Durchschnitt (1991 bis 2020) und an manchen Stationen, etwa der Rudolfshütte, wurde sogar ein neues Minimum erreicht.

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HYDRO Salzburg
Der bisherige Verlauf (rote Linie) der Neuschneesumme an der Station Rudolfshütte zeigt die kleinsten Werte verglichen mit der langjährigen Reihe 1991 bis 2020
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Geosphere Austria SNOWGRID
Aktuelle Schneehöhen Anfang März in Österreich

Als Folge der milden Temperaturen und der geringen Anzahl der Tage mit festen Niederschlägen blieb auch die Schneehöhe deutlich unter den langjährigen Mittelwerten zurück. Die österreichweite Übersicht zeigt, dass aktuell die größten Schneehöhen – bis zu drei Meter – in der Venediger- und Glocknergruppe sowie am Dachstein, im Toten Gebirge und im Karwendel zu finden sind.

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Andrea Fischer
Durch die geringe Schneeauflage und die Winderosion sind hochgelegene, steile Bereiche der Gletscher sowie Geländekanten und Spaltenzonen weitgehend schneefrei, wie hier am Grünauferner und Sulzenauferner in den Stubaier Alpen
Gletschertagebuch März 2023
Andrea Fischer
Die großen Gletscherspalten und Zerfallsformen, die sich im Extremsommer 2023 gebildet haben, sind auch auf dem Freigerferner (Stubaier Gletscher) deutlich sichtbar. Exponierte Teile sind durch Winderosion freigelegt.
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Andrea Fischer
Steile Gipfeleisflanken und Kammlagen, wie hier am Zuckerhütl (Stubaier Alpen), sind schneefrei
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Andrea Fischer
Die Wegfindung durch Spaltenzonen, wie hier am Sulzenauferner, gestaltet sich unter den derzeitigen Bedingungen schwierig
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Andrea Fischer
Werden die Blankeiszonen in den nächsten Wochen nicht mit ausreichend Schnee bedeckt, startet die Eisschmelze wesentlich früher als in den bisher extremsten Jahren. Das Maximum der Schneehöhe wird üblicherweise Anfang Mai erreicht.
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Andrea Fischer
Durch die offenen Spalten ändert sich die Luftzirkulation und damit die Energiebilanz innerhalb des Gletschers. Auch im Frühjahr könnte die warme Luft rasch in den Gletscher eindringen.
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Andrea Fischer
Die Gletschervorfelder sind zum Teil schneefrei, wie hier am Kesselwandferner in den Ötztaler Alpen. Der Eisrand ist ebenfalls der Sonne ausgesetzt, die Schneelage entspricht typischen Bedingungen um Pfingsten.
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Andrea Fischer
An der Weißkugel in den Ötztaler Alpen sind Teile des Gipfeleisfeldes schneefrei, die Spaltenzonen schwer passierbar
Gletschertagebuch März 2023
Andrea Fischer
Die wenigen Skitouristen erleben Bedingungen, wie sie noch vor wenigen Jahren vorwiegend im September und Oktober vorzufinden waren
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Andrea Fischer
Die Spurwahl ist durch die offenen Spalten deutlich eingeschränkt. Unter „normalen“ Bedingungen lagen in diesen Höhenzonen über vier Meter Schnee, nur wenige Spalten waren sichtbar.
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Andrea Fischer
Die im Sommer 2023 entstandenen Eiscliffs und nunmehr schnee- und eisfreien Felsstufen zwingen hier in den Stubaier Alpen zwei Tourengeher zur Umkehr
Gletschertagebuch März 2023
Andrea Fischer
Der Anteil der Blankeisflächen ist auch auf Österreichs größten Gletschern wie hier am Taschachferner in den Ötztaler Alpen hoch

Über Autorin und Autor

Andrea Fischer ist stv. Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck, Hans Wiesenegger Leiter des Hydrographischen Dienstes (HD) des Landes Salzburg.

Prognosen dämpfen Erwartungen

Der Vergleich an der repräsentativen Station Rudolfshütte (2.500 Meter über Adria) zeigt, dass die aktuellen Werte am unteren Ende des möglichen Winterverlaufes liegen. Im Vergleich mit der langjährigen Reihe (1991 bis 2020) fehlen zum durchschnittlichen Wert mindestens 60 Zentimeter. Im Vergleich zu schneereichen Wintern liegt derzeit nur die Hälfte der möglichen Schneehöhe.

Der Kurvenverlauf zeigt aber auch, dass das Schneehöhenmaximum meist Anfang bis Mitte April erreicht wird. Es besteht also noch Hoffnung für eine deutliche Verbesserung der Winterreserven. Die aktuellen Prognosen der Geosphere Austria für März lassen die Erwartungen vorerst aber nicht allzu hoch fliegen: länger anhaltende spätwinterliche Wetterlage mit wiederholter Zufuhr von polarer Kaltluft aus nördlichen Richtungen, durchschnittliche Niederschlagsmengen und etwas zu mildes Wetter in der zweiten Märzhälfte.

Gletschertagebuch März 2023
HYDRO Salzburg
Station Rudolfshütte: Die aktuelle Schneehöhe (rot) im Vergleich zu unterschiedlichen Jahren im Zeitraum 1991 – 2020
Gletschertagebuch März 2023
HYDRO Salzburg
Station Rudolfshütte: Die aktuelle Schneehöhe (rot) im Vergleich zum langjährigen Mittel (1991 – 2020)

Offene Gletscherspalten

Insgesamt liegt unterdurchschnittlich wenig Schnee auf den heimischen Gletschern. Kräftiger Windeinfluss hat mancherorts zu deutlichen Schneeverfrachtungen geführt und viele Gletscherspalten sind derzeit noch offen. Die Tourenbedingungen sind lokal sehr unterschiedlich. Auf manchen Gletschern ist die Spurwahl durch die Spaltenzonen schwierig. Und auch Geländekanten und Moränen im Gletschervorfeld sind nahezu schneefrei.

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Hans Wiesenegger
Blick zum Großvenediger mit Sulzbacher Kees
Gletschertagebuch März 2023
Hans Wiesenegger
Offene Gletscherspalten am Venedigerkees

Der bisherige Winter war schneearm, die Winterakkumulation somit bisher sehr gering. Durch die geringe Schneeauflage und die Winderosion sind steile Bereiche des Gletschers sowie Geländekanten schneefrei. Die Schneehöhen am Filleckboden liegen derzeit deutlich unter dem langjährigen Mittel.

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Foto-webcam.eu; Bearbeitung: Wiesenegger
Stubacher Sonnblickkees: Vergleich Winter 2019 und Winter 2023

Auch in den Schweizer Alpen liegt heuer noch deutlich weniger Schnee als im Vorjahr:

Auf dem Silvrettagletscher liegt nur etwa ein Drittel der Schneemenge eines Normaljahres: