Barbie- und Ken-Puppe
AFP – CHRISTOF STACHE
AFP – CHRISTOF STACHE
Wirtschaft

Verhalten ins Gesicht geschrieben

„Die Augen als Fenster zur Seele“, „das Gesicht verrät den Wicht“: Sprichwörter wie diese haben einen wahren Kern. Sehr groß ist er aber nicht, wie eine neue Studie aus der Verhaltensökonomie zeigt. Bestimmte Verhaltensweisen lassen sich ihr zufolge tatsächlich aus Gesichtern ablesen – aber nur in sehr bescheidenem Ausmaß.

Physiognomik: So nennen sich die Versuche, aus dem äußeren Erscheinungsbild von Menschen auf ihr Inneres – auf Eigenschaften oder Verhalten – zu schließen. Diese Versuche gibt es seit der Antike, Aristoteles zugeschriebene Texte gingen den Wechselbeziehungen zwischen Körper und Seele nach – und skizzierten etwa, wie die Haarpracht mutiger Menschen aussieht.

2.000 Jahre später fertigte Charles Le Brun, Hofmaler unter Ludwig XIV. in Paris, sein berühmtes Musterbuch an: verschiedene Gemütszustände von Menschen – von Erstaunen bis Wut -, die sich deutlich in ihrer Gesichtsmimik ausdrückten (er legte dann noch Mensch-Tier-Vergleiche nach). Danach folgten ungezählte Versuche, die Zusammenhänge von „Außen und Innen“ zu belegen, die unsinnigsten endeten in Rassismus und Eugenik. Als Gründer einer auch methodisch fundierten Mimikforschung gilt seit Jahren der US-Psychologe Paul Ekman. Seine Analysen zu Lügen und Gesichtsausdruck inspirierten die TV-Serie „Lie to me“ – sind in der Wissenschaft aber ebenso umstritten wie die Physiognomik im Allgemeinen.

Subjektive und objektive Messung von Attraktivität

Beiträge zu diesen Fragen liefert auch die Verhaltensökonomie. Naturgemäß steht dabei wirtschaftliches Verhalten im Mittelpunkt: etwa wie kooperationsfreudig Menschen sind oder wie gerne sie in Wettbewerb miteinander treten. Letzteres stand im Mittelpunkt einer Studie, die soeben auf dem Preprint-Server SSRN erschienen ist – also noch ohne vollständige Überprüfung durch die Fachgemeinde. „Wir haben zwei Dinge untersucht“, sagt Studienautorin Helena Fornwagner gegenüber science.ORF.at. „Erstens, ob es einen Zusammenhang zwischen Attraktivität und kompetitivem Verhalten gibt. Und zweitens, ob man von einem Gesicht ablesen kann, wie sich jemand verhält“, so die Verhaltensökonomin von der University of Exeter in Großbritannien.

Dazu teilte die Ökonomin gemeinsam mit Loukas Balafoutas von der Universität Innsbruck und Brit Grosskopf von der University of Exeter die rund 600 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer in drei Gruppen ein: Die Mitglieder von Gruppe eins nahmen an einem Experiment teil, das Wettbewerbsfreudigkeit misst – davor wurden ihre Gesichter fotografiert, und zwar ähnlich wie bei Passbildern mit möglichst neutralem Ausdruck; Gruppe zwei bewertete die Attraktivität der Personen basierend auf den Gesichtsbildern – parallel vermaß das Forschungsteam objektive Kriterien von Schönheit wie z.B. Gesichtssymmetrie; Gruppe drei schließlich schätzte die Wettbewerbsfreudigkeit von Gruppe eins aufgrund der Gesichtsbilder ein.

Gibt es eine „Schönheitsprämie“?

„Die erste Frage – gibt es einen Zusammenhang zwischen Schönheit und Verhalten? – konnten wir klar mit Nein beantworten. Wie haben da nichts gefunden, und zwar weder bei der subjektiv eingeschätzten Attraktivität noch bei der objektiv vermessenen“, sagt Helena Fornwagner.

Das klingt mäßig überraschend, für die Verhaltensökonomie ist das aber einigermaßen erstaunlich. Denn hier wird seit Langem darüber diskutiert, ob es in der Wirtschaft eine Art „Schönheitsprämie“ gibt. Als attraktiv wahrgenommene Personen würden demnach bessere Jobs bekommen und mehr Geld verdienen als andere. Die dahinter liegende Logik verläuft ungefähr so: Schöne Menschen seien produktiver, weil Kunden und Kundinnen sie anziehender finden, das gleiche gelte für die Kollegenschaft, weshalb sie auch besser Netzwerken können, letztlich seien sie wettbewerbsfreudiger.

Diese Annahmen sind umstritten, es gibt auch Studien, denen zufolge es gar keine „Schönheitsprämie“ gibt. Zumindest mit einer Annahme kann laut dem Paper von Helena Fornwagner aufgeräumt werden: Schöne Menschen sind nicht wettbewerbsorientierter als andere. Attraktivität als vermittelnder Faktor zwischen Wettbewerbsverhalten und höherem Verdienst scheint also sehr fraglich.

Im Gesicht lesen: Nicht alltagstauglich

Bei Frage zwei fanden die Fachleute hingegen einen Zusammenhang. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studie konnten nur aufgrund der Gesichtsfotos statistisch signifikant auf die Wettbewerbsfreudigkeit der Personen schließen“, erzählt Fornwagner. Heißt konkret: In 53 bzw. 52 Prozent der Fälle (je nach angewendeter Methode) lagen sie richtig. Das reicht für „statistische Signifikanz“.

Alltagstauglich ist das freilich nicht – der Ersteindruck beim Vorstellungsgespräch oder am Bartresen gebe noch keine fundierte Antwort auf die Frage, wie sich der oder die andere verhält, betont die Ökonomin. „Man sollte mit unseren Studienergebnissen vorsichtig umgehen und sich nicht so sehr darauf verlassen, was man aus einem Gesicht ablesen kann.“ Verwandte Studien, die etwa Kooperationsverhalten und Vertrauenswürdigkeit untersucht haben, seien zu ähnlichen Resultaten gekommen. Auch bei ihnen konnten die Teilnehmenden aufgrund von Gesichtsbildern statistisch eindeutig auf das Verhalten schließen – aber auch hier in einem Prozentbereich, der nur knapp über dem Zufall liegt.

Wesentlich klarere Zusammenhänge als mit der Schönheit gab es bei der aktuellen Studie übrigens mit anderen Faktoren. Allen voran mit dem Geschlecht: Männer zeigten sich darin eindeutig wettbewerbsorientierter als Frauen – und die Geschlechtszugehörigkeit ist in den meisten Fällen gut im Gesicht ablesbar.