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Seventyfour – stock.adobe.com
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Kinder & Jugendliche

Social Media bergen Risiko für Essstörungen

Nach durchtrainierten und scheinbar makellosen Menschen muss man auf TikTok und Instagram nicht lange suchen. Eine Analyse von 50 Studien aus 17 Ländern zeigt nun, dass diese sozialen Netzwerke nicht nur das Körperbild junger Menschen prägen – neben dem Einfluss auf die Psyche stellen sie auch einen ernstzunehmenden Risikofaktor für die Entwicklung von Essstörungen dar.

Selbstdarstellung – in den gängigen sozialen Netzwerken steht sie im Zentrum fast aller geteilten Inhalte. Es gibt kaum Fotos auf Instagram, die vor dem Hochladen nicht mindestens mit einem Filter bearbeitet wurden. Die eigene Fitness und Schönheit werden besonders gern gezeigt, ebenso wie der Urlaub in den Tropen oder der neue Sportwagen.

„Die Influencerinnen und Influencer werden vor allem von Kindern und Jugendlichen oft als persönlicher Freund oder Freundin und als Idol gesehen und daher eifert man ihnen natürlich nach“, sagt Barbara Buchegger gegenüber science.ORF.at. Sie ist die pädagogische Leiterin der EU-Initiative saferinternet.at und weiß, dass auch in Österreich immer mehr Kinder und Jugendliche unter den sozialen Medien leiden.

Psychische Probleme häufen sich

„Die psychischen Probleme durch den Medienkonsum sind in den letzten Jahren vor allem bei Jugendlichen sicher häufiger geworden“, so Buchegger. Einerseits habe das mit der immer längeren Zeit vor den Bildschirmen zu tun. Gerade in der Pandemie sei der Medienkonsum in einigen Haushalten stark angestiegen. Andererseits habe sich die psychische Ausgangslage vieler Jugendliche in den letzten Jahren zusehends verschlechtert. „Da kommt man natürlich auch in den sozialen Medien schneller in Situationen, die psychisch belastend sind.“

Was viele beim Surfen auf TikTok und Co. vergessen: Sie eifern auf der Plattform meist nicht einer realen Person nach, sondern deren für die sozialen Medien aufpolierten Abbild. Für viele Kinder und Jugendliche wird das irgendwann zum Problem. Die Inhalte in den sozialen Netzwerken werden zum Vorbild. Das Körperbildideal gleicht sich dem ihrer Idole an. „Wenn ich dann selbst vielleicht weniger schlank oder muskulös bin, trübt das natürlich meine Stimmung.“

Negative Gedankenspirale

Die komplexen Algorithmen der Netzwerke verschlimmern die Lage oft noch. Je mehr Inhalte zu einem gewissen Thema angeschaut werden, desto mehr vergleichbare Inhalte zum selben Thema tauchen in Folge auf. Für manche Personen führt das zu einer Art Spirale negativer Gedanken, denn mit jedem weiteren Foto und Video verschlechtert sich das Selbstwertgefühl und die Stimmung. „TikTok hat in dieser Hinsicht momentan sicher den effektivsten Algorithmus“, so Buchegger.

Dass sich die Inhalte der sozialen Medien negativ auf die Psyche junger Menschen auswirken können, zeigt auch eine aktuelle Arbeit im Fachjournal „PLOS Global Public Health“. Zwei britische Forscherinnen haben darin Daten von 50 Studien aus 17 Ländern erhoben, um aufzuzeigen, dass soziale Medien das Körperbild junger Menschen prägen und sich generell negativ auf ihre Psyche auswirken. Außerdem suchten sie nach wissenschaftlich belegten Zusammenhängen zwischen dem Konsum sozialer Medien und Essstörungen.

Die Forscherinnen erhoben Daten aus Studien zu verschiedenen Themen aus der Zeit von 2016 bis 2021. Die meisten davon stammten aus Ländern und Kontinenten mit hohem Einkommen, wie Australien, England, Italien oder Kanada. Aber auch Studien aus Sri Lanka, Malaysia und Thailand waren darunter.

Sozialer Vergleich mit anderen

In den Studien fanden die Forscherinnen Hinweise darauf, dass die Unzufriedenheit über den eigenen Körper bei Jugendlichen stieg, je mehr Zeit sie auf den Social-Media-Plattformen verbrachten. Die Gründe dafür lagen laut den Forscherinnen in erster Linie an dem ständigen Vergleich mit anderen und der Verinnerlichung eines dünnen Körperideals.

Das kann auch Buchegger bezeugen. „Es ist ja etwas sehr Menschliches, manchmal so sein zu wollen, wie die anderen. Und wenn die anderen aber nur in meiner Social-Media-Blase vorkommen, ergibt sich schnell ein trügerisches Bild.“ Eine verzerrte Wahrnehmung gehöre zu den Hauptproblemen vieler Jugendlicher in Österreich. Problematisch werde sie dann, wenn alles daran gesetzt wird, dem digitalen Vorbild nachzueifern.

Risikofaktor für Essstörungen

Die britischen Forscherinnen kamen zu dem Schluss, dass der Konsum sozialer Medien neben dem Einfluss auf die Psyche der Jugendlichen auch einen ernstzunehmenden Risikofaktor darstellt, wenn es um die Entwicklung von Essstörungen geht. Eine der analysierten Studien kam zu dem Ergebnis, dass fast 18 Prozent aus einer Gruppe Instagram-Follower des Hashtags #Fitspiration Gefahr liefen, eine Essstörung zu entwickeln.

Da Social-Media-Plattformen vor allem unter jungen Menschen extrem verbreitet sind, verdiene das Risiko mehr internationale Aufmerksamkeit, heißt es in der Analyse. Generell finde zum Thema Essstörungen und deren Ursachen noch zu wenig Forschung statt. Eine internationale Erhebung aus dem Jahr 2019 hat laut den britischen Forscherinnen etwa ergeben, dass damals global rund 14 Millionen Menschen an einer Essstörung litten. Studien danach zeigten schnell, dass dabei knapp 42 Millionen Betroffene übersehen wurden. Die tatsächliche Zahl war aufgrund der hohen Dunkelziffer wahrscheinlich aber noch viel höher, schreiben die britischen Forscherinnen in der Analyse.

“Medienkompetenz unabdingbar“

Dass der Konsum sozialer Medien das Risiko birgt, eine Essstörung zu entwickeln, kann auch Buchegger bestätigen. Sie stellt jedoch klar: „Nicht jeder Jugendliche birgt dabei das gleiche Risiko.“ Manchen mache die Konfrontation mit dem idealisierten digitalen Körperbild nichts aus. Andererseits seien aber nicht nur manche Jugendliche gefährdet. Auch Erwachsene können unter den Inhalten auf den sozialen Netzwerken leiden.

Wichtig sei, wie man auf das Risiko, das von den sozialen Medien ausgeht, reagiert. „Die Stärkung der Medienkompetenz wäre hier ganz wichtig, und zwar muss das schon früh beginnen“, erklärt sie. Wichtig sei, dass schon Kinder verstehen, warum etwas auf den sozialen Netzwerken angezeigt wird und warum sich bestimmte Inhalte von den Inhalten unterscheiden, die ein Freund sieht. Unterricht in Medienkompetenz sein einerseits in Schulen, andererseits aber auch in den Familien wichtig.

Unterstützendes Umfeld

Sehr viel für das Selbstwertgefühl von Jugendlichen geschehe bereits in der Familie. Besonders wichtig sei dabei ein positives Umfeld, vor allem, was das Körperbild betrifft. „Das kann auch einfach nur sein, dass ein bisschen positiver über das Aussehen anderer geredet wird“, so Buchegger.

Eltern rät die Expertin, sich aktiv mit den Interessen der Kinder zu beschäftigen und zu erfahren, warum sie bestimmte Fotos und Videos anschauen. Aber: „Ohne, dass ich den Medienkonsum der Kinder kritisiere, weil sie dann auf Widerstand gehen und mir nichts mehr zeigen. Wichtig wäre mit einem neugierigen Hintergrund verstehen zu wollen, was denn meine Kinder aus diesem Influencer oder dieser Influencerin beziehen, was ihnen gefällt und was sie eventuell auch daraus lernen.“

Rechtzeitig Hilfe suchen

Sollten Eltern bei ihrem Kind jedoch tatsächlich Anzeichen für eine Essstörung oder Depression feststellen, helfe oft nur der Weg zum Psychiater. „Das ist nicht immer ganz einfach, weil die Kinder- und Jugendpsychiatrien gerade überlaufen sind, aber da braucht es oft wirklich professionelle Hilfe und Unterstützung“, so Buchegger.

Auch sie hofft, dass den Folgen des digitalen Medienkonsums künftig noch mehr internationale Aufmerksamkeit geschenkt wird. So sei es vielleicht möglich, aufkommende Probleme der Kinder und Jugendlichen künftig häufiger zu erkennen und Schlimmeres frühzeitig zu verhindern.