Verschiedene bunte Tabletten und Pillen
APA/dpa-Zentralbild/Matthias Hie
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Medikamente

Wie es zum Antibiotikamangel kam

Derzeit kommt es weltweit verstärkt zu Lieferengpässen von Antibiotika. Eine Studie des neu gegründeten Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) hat nun Ursachen entschlüsselt – allen voran die zunehmende Konzentration der Produktion auf zwei Länder, China und Indien.

Investitionen in eine gut ausgebaute Dateninfrastruktur können Abhilfe verschaffen. Es brauche „Investitionen in Daten-, Planungs- und Prognoseinfrastruktur“, erläuterte Komplexitätsforscher Peter Klimek vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna. Österreich spiele in der aktuellen Situation eine zentrale Rolle, da sich in Kundl eine der wenigen europäischen Produktionsstätten für Antibiotika befindet.

Bessere Daten, Koordination und Produktion

Klimek, Forscher am CSH und Leiter des ASCII, forderte den Aufbau von Infrastruktur, „um den Bedarf an Antibiotika zu messen, zu kennen und vorhersagen zu können“. Zweite wichtige Maßnahme sei, größeren Wert auf Versorgungssicherheit zu legen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, denn ein gut gestalteter Markt sollte das Risiko einer Störung internalisieren, hieß es am Montag zur Online-Veröffentlichung der Analyse.

In Notfällen könnten zusätzliche Produktionskapazitäten Engpässe frühzeitig beheben, wurde als weiterer Ansatzpunkt vorgeschlagen. Koordinierte und stärker zentralisierte EU-Bestände sollten zudem dazu beitragen, die Sicherheitsbestände insgesamt zu verringern und Ineffizienzen zu vermeiden.

Als Bündelung der Verhandlungsmacht könnten Länder, Regionen oder Gesundheitsagenturen eine engere Zusammenarbeit in Betracht ziehen, um gemeinsame Prognosen und Beschaffungsstrategien umzusetzen, rät das Team um Klimek und ASCII-Vizedirektor Klaus Friesenbichler vom Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO).

In Österreich hergestellt, aber nicht erhältlich

Während des größten Teils des Analysezeitraums produzierte der Hersteller Sandoz den Wirkstoff Amoxicillin in Spanien und stärkte schrittweise seine Penicillin-Produktion in Kundl in Tirol. Zugleich befanden sich auf der Liste der in Österreich nicht erhältlichen Antibiotika trotz der heimischen Penicillin-Produktion mehrere Produkte, die in Österreich hergestellt werden, geht aus der Analyse hervor.

„Unsere Daten zeigen, dass Österreich und Spanien hinsichtlich der Lieferketten sehr eng verbunden sind“, berichten die Fachleute. Wenn es um Wirkstoffe und unverpackte Produkte geht, hängt Österreich am allerstärksten von Spanien ab (gefolgt von China). Bei verpackten Produkten ist Österreich am stärksten von Deutschland und Italien abhängig, wobei eine erhebliche indirekte Abhängigkeit von den USA bestehe. Die direkte Abhängigkeit von China sank zwar in den vergangenen zehn Jahren, an der indirekten Abhängigkeit änderte das allerdings nichts, wurde zur Situation hierzulande erläutert.

Phänomen verstärkt nach Pandemie

Versorgungsunterbrechungen bei Medikamenten im Allgemeinen und bei Antibiotika im Besonderen sind laut CSH und ASCII „kein neues Phänomen“. Seit 2014 haben Engpässe an Häufigkeit und Schwere jedoch stetig zugenommen. Mit den Maßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Pandemie wurde 2020 auch die Zirkulation anderer Erreger reduziert und der Verbrauch von Antibiotika ging um etwa 20 Prozent zurück.

Mit der Rückkehr „zur Normalität“ im Jahr 2022 stieg die Antibiotikanachfrage „und geografisch konzentrierte Produktionssysteme führten zu einer Verknappung von Antibiotika in weiten Teilen der Welt“, berichteten die Forschenden.

Konzentration auf zwei Länder – China und Indien

Es gebe einen klaren Trend zur Konzentration der Produktion in einigen wenigen Ländern, hieß es weiter zu den Hintergründen. Dies habe sich während der Pandemie beschleunigt. 76 Prozent der Produktionsstätten für Zwischenprodukte befinden sich in China und Indien. 59 Prozent der Hersteller von pharmazeutischen Wirkstoffen (API) sind ebenso in diesen Ländern ansässig.

Aufgrund der höheren Konzentration bei Zwischenprodukten und Wirkstoffen wirken sich Schocks in diesen Segmenten stärker aus als auf verpackte Produkte. Die geschätzte Zahl der Engpässe, die durch Ersatzprodukte behoben werden könnten, hatte sich bereits bis 2020 halbiert, betonten die Wissenschafter. Die negativen Auswirkungen auf die Patientenversorgung nahmen zu.