Bis in die späten 1950er Jahre galt der Aufenthalt an einem Flughafen vornehmlich dem Fliegen selbst. Einer Sache für reiche Leute, für Geschäftsreisende. Aber schon zeichnete sich ab, dass sich die Zeiten ändern sollten, dass Fliegen immer weniger ein Privileg der Reichen, sondern Selbstverständlichkeit für Millionen werden würde.
Über den Autor
Markus Grossbach studierte Kunstgeschichte und klassische Archäologie an der Universität Frankfurt am Main. Im Jahr 2001 kam er zur Fraport AG, der Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens, wo er 2006 den Aufbau und die Leitung des historischen Archivs übernahm.
Schon lange bevor der Flughafen Frankfurt die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreichte, machte man sich daher intensiv Gedanken darüber, wie der erwartete Ansturm auch durch neue Abfertigungsprozesse zu bewältigen sei.
Am Ende dieser Überlegungen stand das 1965 als „Neue Empfangsanlage West“ begonnene, 1972 als „Terminal Mitte“ eingeweihte und heute allgemein unter dem Namen „Terminal 1“ bekannte Gebäude des Frankfurter Flughafens. Für damalige Verhältnisse ein Bauwerk von kaum vorstellbarer Dimension, das in Verbindung mit dem Konzept einer zentralen Gepäckabfertigung sowohl die Flughafenbetreibergesellschaft und die Airlines als auch die Passagiere vor völlig neue Herausforderungen stellte.

So waren die Wege, die Passagiere mit ihrem Gepäck zurücklegen mussten, nun deutlich weiter und komplexer. Kaum vorstellbar, dass das bestehende Angebot der Gepäckträger dieses Problem allein würde lösen können, zumal an deren Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit von jeher Zweifel bestanden. Schon früh wurden daher Überlegungen angestellt, ob man deren Dienste nach dem Vorbild anderer Flughäfen durch die Bereitstellung von Selbstbedienungsgepäckwagen zumindest teilweise entbehrlich machen konnte.
Damit verbunden war jedoch ein weiteres Problem, das den Flughafen zum Handeln zwang – das der Fahrtreppen. Ihrer gab und gibt es im Terminal reichlich und sie bilden bis heute das Rückgrat der Vertikalerschließung in den öffentlichen Bereichen. So bequem sie für die Passagiere auch waren, so bildeten die Rolltreppen jedoch für die mitgeführten Gepäckwagen ein unüberwindliches Hindernis. Und da eine bauliche Lösung kaum möglich war, kam eigentlich nur eines in Frage – ein rolltreppenfähiger Gepäckwagen.
Not macht erfinderisch
Eine Herausforderung an den Erfindergeist, der sich drei Mitarbeiter des Flughafens mutig stellten, so dass bereits zum Jahreswechsel 1970/71 der Gebrauchsmusterschutz für eine erste Variante beantragt werden konnte. Nach zunächst ernüchternden Praxistests erfolgten technische Verbesserungen und im November 1972 wurde der s.g. „ESCAR“ als Mitarbeiterfindung zum Patent angemeldet.
Gleichwohl sollte es bis zur Auslieferung der ersten 600 Wagen noch bis in das Jahr 1974 dauern und bis dahin mussten sich Flughafen und Passagiere weiter mit den unzulänglichen Verhältnissen abfinden. Jedoch, auch danach änderte sich zunächst nicht viel, denn abgesehen von einer noch immer nicht ausreichenden Stückzahl gestaltete sich auch der Umlauf der Wagen schwierig, so dass diese selten da anzutreffen waren, wo sie benötigt wurden.

Risiken und Nebenwirklungen
Dass noch lange Zeit keine rechte Freude aufkommen wollte, lag keineswegs nur daran, dass die Gepäckwagenversorgung auch weiterhin nur mangelhaft funktionierte. Auch die Benutzung der Wagen und dabei insbesondere das Befahren der Rolltreppen erwiesen sich als Quell regelmäßigen Ärgernisses. Unfälle blieben trotz fortlaufender technischer Verbesserungen und des Segens der TÜV-Prüfer an der Tagesordnung. Diesbezüglich limitierender Faktor blieb der Mensch, in diesem Fall die Passagiere, der sich in Einzelfällen bis heute noch immer nicht an die Hinweise für den ordnungsgemäßen Gebrauch der Wagen halten will.
Tagung
Vom 29. bis 31.3. findet in der Aula am Campus der Universität Wien die Tagung „Alltagsgeschichten von Flughäfen“, veranstaltet vom Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuniversität Linz in Wien. Markus Grossbach hält dabei den Vortrag „Wer hat’s erfunden? Oder, können Gepäckträger und Gepäckwagen je Freunde werden?“.
Was die Sache für den Flughafen besonders unerfreulich gestaltete, waren jedoch patentrechtliche Auseinandersetzungen, die sich in den 1970er Jahren entwickelten und die das Unternehmen und die angerufenen Gerichte über Jahrzehnte hin beschäftigen sollten. Dabei ging es nicht nur um den Vorwurf der unberechtigten Schutzrechtsberühmung, sondern auch um den des unlauteren Wettbewerbs sowie um die Verletzung von Patentrechten eines bei der Vergabe des Auftrages nicht berücksichtigten Gepäckwagenherstellers.
Dessen Eigentümer führte den Streit über fast zwei Jahrzehnte und setzte ihn auch als Ruheständler fort. Ein verbittert geführter Kampf, der ihm den Ruf eines „querulatorischen Charakters“ eintrug, der aber nicht erfolglos blieb. Bereits 1977 musste der Flughafen verpflichten, auf die Erwähnung von Patentrechten bei der Bewerbung des „ESCARs“ zu verzichten. Noch dicker kam es, als sich das modifizierte Bremssystem des Nachfolgemodells „Frankfurt I“ als mögliche Patentverletzung erwies, was zur Umrüstung der bereits ausgelieferten Wagen und zu einem gerichtlichen Vergleich zwischen den Parteien führte.
Ende gut, alles gut?
Auch wenn beim Thema Gepäckwagen nie so rechte Freude aufkommen wollte, scheint heute Frieden eingekehrt. Nachdem die Terminals zwischenzeitlich mit mehr als sechstausend Gepäckwagen geflutet wurden, waren auch die Passagiere halbwegs zufriedengestellt. Dass dies auch heute und bei lediglich noch 2.500 eingesetzten Exemplaren der Fall ist, verdankt sich einem Pfandsystem, das entgegen vielfältiger Vorbehalte ohne großen Widerstand und Klagen 2012 eingeführt wurde.