Verschwommenes ChatGPT-Logo
AFP – OLIVIER DOULIERY
AFP – OLIVIER DOULIERY
Technologie

Europa braucht mehr künstliche Intelligenz

Noch betrachten viele Menschen Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) wie ChatGPT als Spiel oder Zeitvertreib. Wie eine Studie zeigt, wird KI im Wirtschaftsleben aber bald zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden. Und Europa ist dafür äußerst schlecht gerüstet.

Denn 73 Prozent der großen KI-Modelle kommen aus den USA, rund 15 Prozent aus China, der Rest bleibt für Europa. „Und das ist ein riesengroßes Problem, denn diese großen KI-Modelle werden die Welt verändern – auch wenn ich diese Ausdrucksweise normalerweise hasse“, sagt Daniel Abbou, der Geschäftsführer des deutschen KI-Bundesverbandes gegenüber Ö1 Digital.Leben.

Rasante Verbreitung

Künstliche Intelligenz entwickelt sich tatsächlich rasant zur „Disruption“ – also einer grundlegenden Veränderung von Technologien und Wirtschaft. ChatGPT hat es innerhalb von zwei Monaten auf 100 Millionen Nutzer und Nutzerinnen gebracht. Verglichen mit anderen technischen Innovationen ist dieser Zuwachs einzigartig. Das Festnetztelefon hat 35 Jahre für diese Zahl an Usern gebraucht, Handys rund 17 Jahre, Twitter etwa zwei Jahre. Und allein die generativen Sprachmodelle haben die Kraft, Berufe wie jene des Anwalts und andere mittelständische Jobs komplett zu verändern.

Digitaler Schrottplatz

Wie sehr künstliche Intelligenz die Wertschöpfung beeinflussen kann, demonstriert Daniel Abbou an einem Beispiel aus Litauen. Dort wurde ein Autoschrottplatz digitalisiert. Litauen ist neben Polen jenes Land in Europa, in dem die meisten Gebrauchtwagen zerlegt werden. Ein KI-System wurde auf Autoteile trainiert und wertet nun den Bestand am Schrottplatz aus.

„Wenn du beispielsweise einen Auspuff aus einem Auto ausbaust, dann machst du ein Foto von diesem Auspuff, das System sagt dir, das ist ein 2002-VW-Golf-Auspuff und der ist kompatibel mit dem Polo“, beschreibt Daniel Abbou den Nutzen des Systems. Darüber hinaus druckt es einen QR-Code für die Lagerhaltung aus und schlägt vor, um welchen Preis das Teil auf dem Markt zu verkaufen ist.

Chipindustrie als schlechtes Vorbild

Für Daniel Abbou hängt die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft von eigenen KI-Systemen ab. „Wenn diese großen Modelle aus den USA kommen, und die österreichische, deutsche, europäische Wirtschaft dort ihre Daten eingibt, dann fließen die ganzen Wirtschaftsdaten und damit unsere Geheimnisse auch in die USA.“

Im Gegensatz zu privaten Daten, die längst an Facebook oder Twitter gehen, liegen unsere Wirtschaftsdaten in weiten Teilen noch hier in Europa. Und hier sollen sie nach Meinung von Abbou auch bleiben, damit wir uns nicht abhängig machen von anderen Kontinenten, so wie das beispielsweise in der Chipindustrie längst passiert ist. Es fehle aber auch an Verständnis bei den Wirtschaftsbossen, welch disruptive Kraft in künstlicher Intelligenz liegt.

Europa braucht eine eigene KI-Infrastruktur

Die Machbarkeitsstudie des deutschen KI-Bundesverbandes schlägt vor, eigene europäische KI-Zentren zu schaffen, vor allem große Rechenanlagen, da künstliche Intelligenz sehr rechenintensiv ist. Die bestehenden Hochleistungs-Rechenzentren würden nicht reichen, da man dort auf die Schnelle keine Rechenzeit bekomme.

Für Deutschland beziffert die Machbarkeitsstudie die Kosten eines KI-Rechenzentrums mit 350 bis 400 Millionen Euro. Solche Zentren seien aber in ganz Europa nötig, durchaus auch übernational, sagt Daniel Abbou. „Die großen Sachen können nur europäisch gelöst werden. Die digitale Gesetzgebung findet nicht in Berlin, in Wien oder in Paris statt, sondern in Brüssel. Und wir müssen aufhören, national zu denken. Wir müssen in Fragen der digitalen Geschichten kontinental denken.“