Tomaten in Glashaus
AFP/JORGE GUERRERO
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Studie

Pflanzen „schreien“ unter Stress

Pflanzen sind nicht so stumm, wie zumeist angenommen wird. Geraten sie unter Stress, geben sie einer aktuellen Studie zufolge laute Geräusche von sich. Menschen können die „Schreie“ der Pflanzen aber nicht hören, denn ihre Frequenz liegt im Ultraschallbereich.

In der Natur kann man abschalten, entspannen und die Ruhe genießen. Ganz so still ist es aber auch abseits der Städte nicht, denn auch Pflanzen machen Lärm – vor allem, wenn sie unter Trockenstress leiden oder man ihnen ihre Stängel abschneidet. Das hat ein Team um den Pflanzenforscher Jizchak Chait von der Universität Tel Aviv bereits vor über drei Jahren auf dem Preprintserver biorXiv berichtet, nun ist die von der Fachgemeinde überprüfte Studie im Fachjournal „Cell“ erschienen.

So laut wie ein Gespräch

Die „Schreie“ der Pflanzen klingen jedoch anders, als vielleicht vermutet. Es handelt sich um Klick- oder Ploppgeräusche, die dem Platzen der kleinen Blasen einer Luftpolsterfolie ähneln. Die Pflanzen sind dabei laut Chait von der Universität Tel Aviv und seinem Forschungsteam ungefähr so laut wie ein normales Gespräch zwischen zwei Personen.

Dass uns Menschen die Geräusche der Pflanzen nicht auffallen, hängt mit der Frequenz der Töne zusammen. Sie liegt im Ultraschallbereich und ist damit für das menschliche Gehör zu hoch und nicht wahrnehmbar. Aber: „Die Geräusche könnten von bestimmten Säugetieren und Insekten aus einer Entfernung von drei bis fünf Metern wahrgenommen werden“, nehmen die Forscherinnen und Forscher in der Studie an.

Ob die Pflanzen die Töne tatsächlich erzeugen, um mit anderen Pflanzen und Tieren zu kommunizieren, ist unklar. Weitere Untersuchungen seien nötig, um das eindeutig zu klären. Frühere Studien haben aber bereits gezeigt, dass etwa Bäume bei Durst Ultraschallwellen aussenden sowie Pflanzen auf Geräusche von Bestäubern reagieren und die Zuckerkonzentration in ihrem Nektar erhöhen können. Das Potenzial, dass die Pflanzen selbst mit anderen Organismen kommunizieren, sei also durchaus gegeben.

Töne häufen sich unter Stress

Die Forscherinnen und Forscher untersuchten im Rahmen der Studie Paradeiser- und Tabakpflanzen unter verschiedenen Stresssituationen. In einem der Experimente hatten die Pflanzen zu wenig Wasser, in einem anderen wurden ihnen die Stängel geschnitten. Zum Vergleich schaute sich das Team auch Kontrollpflanzen an, denen es gut ging. Mit speziellen Mikrofonen wurden die Geräusche sowohl in einem schallgedämpften Labor als auch in einem etwas lauteren Gewächshaus aufgenommen.

Tomatenpflanzen bei der Geräuschaufnahme im Labor
Ohad Lewin-Epstein
Das Team nahm die Geräusche der Pflanzen neben dem Labor auch direkt im Gewächshaus auf

Dabei zeigte sich, dass die gestressten Pflanzen auffällig mehr Geräusche von sich gaben als die gesunden Exemplare. Unter Stress erzeugten sie rund 30 bis 50 Töne pro Stunde. „Wenn Tomaten überhaupt nicht gestresst sind, sind sie sehr leise“, wird die an der Untersuchung beteiligte Evolutionsbiologin Lilach Hadany in einer Aussendung zitiert. Mithilfe von maschinellem Lernen und speziellen Algorithmen konnte das Team sogar erkennen, dass sich die Geräusche der Pflanzen je nach Stressart ein wenig unterschieden.

Auch andere Pflanzen „ploppen“

Paradeiser- und Tabakpflanzen wurden von den Forscherinnen und Forschern deshalb genauer untersucht, weil sie leicht anzubauen und generell bereits recht gut erforscht sind. Die Ergebnisse konnten so im Labor schnell standardisiert und verglichen werden. Das Team konnte in weiteren Experimenten aber auch zeigen, dass andere Pflanzen wie Weizen, Mais, Wein und Kakteen vergleichbare Geräusche erzeugen, sobald sie gestresst sind.

Platzende Luftblasen in den Gefäßen

Die genauen Mechanismen hinter den Tönen sind noch unklar, die Forscherinnen und Forscher vermuten aber, dass sie in den Gefäßen im Inneren der Pflanzen entstehen. Sie gehen davon aus, dass ein Phänomen namens Kavitation für die Klick- und Ploppgeräusche verantwortlich ist. Dabei bilden sich im Gefäßsystem der Pflanzen kleine Luftblasen, die sich ausdehnen und wieder platzen.

Nützlich für die Landwirtschaft

Für manche Naturliebhaber klingt es vielleicht erschreckend, dass Pflanzen bei Trockenheit und anderen Stressfaktoren Geräusche produzieren. Das Forschungsteam sieht in ihren Ergebnissen aber auch einen potenziellen praktischen Nutzen – etwa in der Landwirtschaft.

Anhand der Töne könne man unter anderem schnell erkennen, wenn eine Pflanze nicht richtig bewässert wurde – und das auch schon bevor sich das äußere Erscheinungsbild der Pflanzen verändert. Mit speziellen Mikrofonen könnte daher künftig zum Beispiel die Bewässerung auf dem Feld überwacht und verbessert werden.