Künstlerische Darstellung eines Asteroiden im All, im Hintergund Planet Erde
ESA – P. Carril
ESA – P. Carril
Impact

Wie man einen Asteroiden ablenkt

Die Asteroidenabwehr ist das Forschungsfach von Michael Küppers. Im ORF-Interview spricht der deutsche Astrophysiker über die Wahrscheinlichkeit einer globalen Katastrophe, mögliche Gegenmaßnahmen – und unrealistische Himmelskörper aus Hollywood.

science.ORF.at: Herr Küppers, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für einen verheerenden Asteroideneinschlag – etwa so wie am Ende der Kreidezeit, als die Dinosaurier ausstarben?

Michael Küppers: Solche globalen Katastrophen passieren grob gerechnet alle 100 Millionen Jahre. Die Wahrscheinlichkeit dafür in diesem Jahrhundert ist also sehr niedrig.

Aber nicht null?

Küppers: Nicht null.

Das beruhigt mich jetzt nur bedingt.

Küppers: Man muss das auch mit anderen Risiken ins Verhältnis setzen, mit denen wir im Alltag zu tun haben. Ganz grob gerechnet: Wenn so ein Ereignis alle 100 Millionen Jahre auftritt, dann ist die Wahrscheinlichkeit eins zu einer Million, dass es in den nächsten 100 Jahren dazu kommt. Also ein sehr niedriges Risiko.

Andererseits: Einen Lottosechser zu machen ist noch unwahrscheinlicher.

Küppers: Das stimmt. Den gewinnen aber auch nur deshalb alle paar Wochen Leute, weil da eben Millionen von Menschen spielen. Unsere individuelle Wahrscheinlichkeit hier zu gewinnen, ist sehr niedrig.

Astrophysiker Michael Küppers
privat

Zur Person

Michael Küppers ist seit 2007 als Forscher für die Europäische Raumfahrtagentur ESA tätig – aktuell für die Missionen HERA und Comet Interceptor.

Weiß man eigentlich, wie groß der Dino-Killer-Asteroid war und woher er kam?

Küppers: Er war ungefähr zehn Kilometer groß, wurde irgendwann durch Störungen aus dem Asteroidengürtel abgelenkt und kam dadurch der Erde nahe. Wir wissen: Es gibt zurzeit keinen Asteroiden dieser Größe, der in nächster Zeit mit der Erde zusammenstoßen könnte. Die einzige Möglichkeit für einen Einschlag dieser Größenordnung wäre ein interstellares Objekt oder ein langperiodischer Komet.

Das bedeutet?

Küppers: Langperiodisch nennen wir Kometen, die eine Umlaufbahn größer als 200 Jahre haben. Also im Wesentlichen solche Kometen, die wir nie zuvor gesehen haben. Warum ist das die einzige Möglichkeit? Weil wir die kurzperiodischen Kometen dieser Größe – die meisten davon haben ihren erdfernsten Punkt irgendwo im Bereich des Jupiter – alle gut kennen.

Es schadet jedenfalls nicht, für den Ernstfall vorbereitet zu sein – was uns zu ihrem Forschungsbereich, zur Asteroidenabwehr führt: Ich nehme an, hier gibt es unterschiedliche Größen- und Risikoklassen?

Küppers: So ist es, als „Ernstfall“ würde ich Asteroiden bezeichnen, bei denen wir uns überlegen, einen Einschlag zu verhindern. Das beginnt ab einer Größe von etwa 100 Metern. Solche Einschläge passieren statistisch betrachtet alle 1.000 bis 10.000 Jahre.

Künstlerische Darstellung: Asteoird schlägt auf der Erdoberfläche ein
@nt – stock.adobe.com
Die Doppelmission DART (NASA) und HERA (ESA) soll die Menschheit vor Asteroideneinschlägen bewahren

Wie kann man so einen Einschlag verhindern?

Küppers: Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten. Wo wir derzeit versuchen die technologische Machbarkeit unter Beweis zu stellen, ist diese relativ einfache Idee: Man lässt einen Satelliten auf dem Asteroiden einschlagen. Der Impulsübertrag ändert den Orbit des Asteroiden geringfügig – wenn man das früh genug macht, fliegt er an der Erde vorbei. Eine andere Möglichkeit ist der Gravitationstraktor: Man nimmt einen möglichst schweren Satelliten und versucht durch die Schwerkraft Einfluss auf den Orbit des Satelliten zu nehmen. Eine riskante Möglichkeit wäre noch eine nukleare Explosion in einer gewissen Entfernung vom Asteroiden. In diesem Fall würde also die Stoßwelle dafür sorgen, dass sich der Orbit ändert.

Variante eins – also der Satelliteneinschlag – wurde letzten September im Rahmen der DART-Mission am Asteroiden Dimorphos getestet. Welche Erkenntnisse hat man bisher gewonnen?

Küppers: Hier handelt es eigentlich um einen Doppelasteroiden, nämlich um Didymos und Dimorphos, wobei der kleine Dimorphos um den größeren Didymos kreist. Und genau diesen Orbit haben wir durch den Satelliteneinschlag zu ändern versucht. Vor dem Einschlag lag die Umlaufperiode bei knapp 12 Stunden, jetzt liegt sie bei 11 Stunden und 25 Minuten. Dementsprechend liegt die Umlaufbahn auch ein bisschen näher am Hauptasteroiden dran. Das ist nicht unbeträchtlich. Ein anderes Ergebnis: Man hat zusätzlich zum Impulsübertrag des Einschlages auch einen Effekt durch den Auswurf von Material. Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist der sogar größer als der direkte Effekt – also der Einschlag des Satelliten.

Das sollte jedenfalls dazu führen, dass ein auf diese Weise getroffener Asteroid seine Bahn ändern und die Erde verfehlen würde?

Küppers: Ganz genau. In diesem Fall lag die Geschwindigkeitsänderung im Bereich von Millimetern pro Sekunde. Man kann sich also ausrechnen: Um die Bahn um den Erdradius zu verschieben, würde es Jahrzehnte an Vorwarnzeit brauchen. Wenn man aber mehrere oder stärkere Einschläge als bei dieser Demonstration zur Verfügung hat, dann reichen 10 bis 20 Jahre.

Nun zeigen Forschungen am Asteroiden Ryugu, dass dieser sehr porös, also von der Dichte mit Braunkohle vergleichbar ist. Würde ein Einschlag auf so einem Asteroiden nicht verpuffen?

Küppers: Bei sehr hoher Porösität ist das ein gewisses Problem. Die Energie würde das Ziel also vor allem komprimieren – und weniger Material auswerfen. Was bedeutet, dass der sekundäre Effekt sehr viel geringer wäre. Bei Dimoprhos war das aber nicht der Fall.

Nach DART plant nun die ESA die Folgemission HERA, an der auch Sie beteiligt sind: Was wollen Sie und Ihre Kollegen herausfinden?

Küppers: Der Einschlag war sehr effizient, aber wir können das bisher nur mit einer großen Unsicherheit beziffern. Was vor allem daran liegt, dass wir die Masse des Asteroiden nicht kennen. Eine Aufgabe von HERA ist es, in einem Ren­dez­vous mit Dimoprhos dessen Masse zu messen. Zweitens ist uns noch nicht klar, ob das ein klassischer Einschlag mit einem Krater war oder ob sich dabei die ganze Form des Asteroiden geändert hat. Und drittens wollen wir auch Eigenschaften wie Porösität und Materialfestigkeit messen, damit wir im Ernstfall in der Lage sind, das Ergebnis auf andere Asteroiden zu übertragen.

Es gibt wohl nicht viele Forschungsfächer, die in Hollywood solche Präsenz erfahren haben wie das Ihre. Sehen Sie sich Filme wie „Armageddon“ an?

Küppers: Ja, klar. „Don’t Look Up“ fand ich auch gut.

„Armageddon“ weniger?

Küppers: Das ist schon eine Weile her. „Deep Impact“ fand ich besser. Aber das sagt vermutlich wenig über das Filmische aus. Mit meinem Hintergrund haben mich an „Armageddon“ Dinge wie der Texas-große Asteroid gestört. Denn Texas ist mehr als 1.000 Kilometer lang bzw. breit. Zum Vergleich: Ganymed, der größte Asteroid in Erdnähe, ist ca. 40 Kilometer groß. Und der größte „potentially hazardous asteroid“ bzw. PHA, wie man auf Englisch sagt – das sind Objekte, die der Erde nahe kommen und nicht nur der Erdbahn – ist ca. sieben Kilometer im Durchmesser.

Zurück zur Wissenschaft: Es gibt eine Hypothese, der zufolge das Leben nicht auf der Erde entstanden ist, sondern von Asteroiden oder Kometen hierhergebracht wurde. Was halten Sie davon?

Küppers: Importiertes Leben, im Sinne von: dass hier Bakterien oder andere Lebensformen quasi eingeflogen wurden – das halte ich für unwahrscheinlich. Auch deshalb, weil man diesen Einschlag zunächst einmal überleben müsste. Aber es ist gut möglich, dass die Chemikalien, aus denen das Leben entstanden ist, von außen gekommen sind. So wird zum Beispiel immer wieder diskutiert, ob das Wasser von Asteroiden oder Kometen stammen könnte oder auch bestimmtes organisches Material, wie zum Beispiel Formaldehyd – wo nicht so ganz klar ist, wie sich das in der Erde gebildet haben sollte. Man hat auch Aminosäuren in Kometen und Meteoriten gefunden. Dass solche Zutaten von außen gekommen sind, halte ich also für plausibel. Aber nicht das Leben selbst.