Graureiher steht vor einem Fluss
AFP – NICOLAS TUCAT
AFP – NICOLAS TUCAT
Chemikalien

Verschmutzung bedroht Artenvielfalt

Die Verschmutzung der Umwelt durch Chemikalien stellt eine wachsende Bedrohung für die Artenvielfalt dar, schreiben Wiener Ökologinnen und Ökologen in einer aktuellen Studie. In einigen Lebensräumen seien von Menschen erzeugte Chemikalien mittlerweile der größte Stressfaktor.

Klimaerwärmung, Artenvielfaltverlust und Verschmutzung durch Chemikalien stürzen die Lebewelt des Planeten in eine „Dreifachkrise“, erklären Wiener Ökologen. Vor allem die chemische Verschmutzung habe viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, dies sollte sich ändern.

„Die meisten Studien, die sich mit dem globalen Wandel von Ökosystemen und Biodiversität (Artenvielfalt, Anm.) beschäftigen, ignorieren chemische Verschmutzung als wichtigen Einflussfaktor“, so Gabriel Sigmund vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien in einer Aussendung: „Zahlreiche hochproblematische Chemikalien bedrohen aber die Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten sowie der Mikroorganismen.“

Drittstärkster Antreiber für Verlust von Artenvielfalt

Es gibt fünf Ursachen für den Verlust an Artenvielfalt weltweit, so die Forscher in dem Fachartikel, der nun im Fachjournal „Global Change Biology“ veröffentlicht wurde: Lebensraumzerstörung (zum Beispiel Abholzungen), übermäßiges Ausbeuten natürlicher Ressourcen (Überfischen), Klimawandel, das Überhandnehmen invasiver Arten und Verschmutzung. „Traditionell haben sich die Ökologen auf die ersten vier Ursachen konzentriert“, so das Forschungsteam.

Die chemische Verschmutzung wäre nur in wenigen Fällen untersucht worden, etwa bei Überdüngung durch Stickstoff und einzelnen Substanzklassen wie Pestiziden. Sie sei aber nicht der schwächste Antreiber der Biodiversitätsverluste, sondern als Nummer drei von fünf einzustufen. Von 83.669 Tierarten auf der „Roten Liste“ gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) sind mehr als 11.500 durch Verschmutzung beeinträchtigt. In manchen Lebensräumen sind Chemikalien sogar der größte Stressfaktor, zum Beispiel Pestizide in den Flussebenen Deutschlands.

Kein einziges „unberührtes“ Ökosystem

„Eine Vielzahl an von Menschen verursachten Chemikalien“ verschmutze die Umwelt. Dazu gehören Metallverbindungen (die zum Beispiel Quecksilber enthalten), Pestizide, Pharmazeutika, Lösungsmittel, per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS – giftige, krebsverdächtige Fluorverbindungen), polychlorierte Biphenyle (PCB – giftige, krebsauslösende Chlorverbindungen), Plastikzusätze und Substanzen unbekannter Zusammensetzung. Oft seien Mixturen davon in der Umwelt zu finden.

Es gibt viele Quellen und kein einziges „unberührtes“ Ökosystem, das von Menschen stammenden Chemikalien frei wäre, so die Forscherinnen und Forscher. Teils handelt es sich dabei um Ewigkeitschemikalien, die in der Umwelt sehr persistent sind, wie etwa PFAS, die dort zumindest Jahrhunderte überdauern. Manche Substanzen reichern sich speziell in der Lebewelt an, und oft sind es die Tiere an der Spitze der Nahrungskette, die am meisten davon abbekommen.

Antidepressiva machen Flussbarsche aktiver

Die Effekte sind ebenso vielfach: Die Chemikalien können direkt tödlich sein, Nahrungsnetze verändern, die Reproduktion hemmen, sowie Missbildungen und Verhaltensänderungen verursachen, erklären die Forscher. So sind Antidepressiva nicht nur für Menschen psychoaktiv, sondern machen auch Flussbarsche aktiver, dadurch werden die Fische öfter von Fressfeinden erwischt. Wenn sich einzelne genetische Varianten wiederum an die Veränderungen durch Chemikalien anpassen, schränkt das die genetische Vielfalt innerhalb der Arten ein, so das Forschungsteam. Schließlich würden manche Chemieprodukte wie das „Unkrautvernichtungsmittel“ Glyphosat auch nachgewiesenermaßen die Mikrobenwelt verändern.

Risikoabschätzungen werden in der Regel nur mit ein paar Spezies durchgeführt, kritisieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, und die Auswirkungen der Chemikalien seien viel besser in den Ökosystemen der reichen Länder analysiert, als in den Weltregionen mit niedrigen und mittleren Einkommen. In der Forschung gäbe es Aufholbedarf, herauszufinden, welche komplexen Wirkungen die Chemikalien in der Lebewelt haben, so das Forschungsteam. Derzeit sei es nur eine kleine Fraktion aus der Ökologie, die sich mit Verschmutzung beschäftigt und Studien darüber publiziert. In der Vergangenheit sei es teilweise auch schwierig gewesen, die komplexen Zusammenhänge aufzudröseln.

„Besorgniserregender Trend“

Doch neue Methoden machen dies einfacher: Etwa „Umwelt-DNA-Barcoding“, wo man das Erbgut (DNA) aus Umweltproben analysiert und Organismen identifiziert. Auch die analytische Umweltchemie habe „grundlegende Fortschritte“ gemacht. Man könne etwa mit Massenspektrometrie bekannte und unbekannte Chemikalien in sehr niedrigen Konzentrationen in Umweltproben messen. Ökotoxikologen hätten wiederum neue Methoden entwickelt, um im großen Maßstab die biologischen Effekte von einzelnen Chemikalien und Mixturen zu bestimmen.

Nicht zuletzt würden Fortschritte in der Computerbiologie, in den Datenwissenschaften und im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) die Auswertungen erleichtern. „Diese Wissenschaftsfelder sind nun bereit, die komplexen Auswirkungen der Chemikalienverschmutzung auf die Biodiversität greifbarer zu machen“, so die Forscherinnen und Forscher.

„Da sich der Verlust der biologischen Vielfalt in einem beispiellosen Tempo beschleunigt, sollte die wissenschaftliche Gemeinschaft auf diesen besorgniserregenden Trend durch gemeinsame Anstrengungen reagieren, und sich mehr mit der Bedrohungen der biologischen Vielfalt durch chemische Verschmutzung befassen.“ Berücksichtigt man die Verschmutzungseffekte zu wenig, würden Artenschutzarbeiten unterminiert. An der Universität Wien wollen sich die Forscherinnen und Forscher verstärkt der Problematik widmen und zum Beispiel untersuchen, wie Schadstoffe aus Mikroplastik und Nanopartikel die Mikrobenwelt in verschiedenen Umweltsystemen beeinflussen.