Junge und alte Hand
Dmytro/stock.adobe.com
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Lebensuhr

Biologisches Alter lässt sich zurückdrehen

Krankheiten, Operationen und Umwelteinflüsse können Organismen schneller altern lassen. Bis jetzt hielt man solche Effekte für unumkehrbar. Eine Studie mit Mäusen und Menschen macht nun neue Hoffnung: Vielleicht lässt sich die Lebensuhr doch wieder ein Stück zurückdrehen.

Wenn ein Organismus altert, baut er stetig ab: Zellschäden häufen sich, Funktionen gehen verloren, und die Krankheitsanfälligkeit steigt. Das Tempo, in dem der Verfall vonstattengeht, ist aber weitaus weniger gleichförmig, als lange angenommen wurde. Heute weiß man, dass das biologische und das chronologische Alter nicht unbedingt im Gleichschritt gehen. Mal tickt die Lebensuhr schneller, mal langsamer.

Umwelteinflüsse, Krankheiten oder Lebensstil können dazu führen, dass manche Menschen körperlich älter oder jünger sind, als der Kalender nahelegt. Die Alterung lässt sich also bis zu einem gewissen Grad beschleunigen oder bremsen, aber lässt sie sich auch zurückdrehen? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer soeben im Fachmagazin „Cell Metabolism“ erschienenen Studie.

Beschleunigte Mäusealterung

Gemessen wird das biologische Alter mit epigenetischen Uhren. Sie erfassen bestimmte chemische Veränderungen am Erbgut: die DNA-Methylierung. Durch die Anlagerung von Methylgruppen können Genabschnitte weniger gut oder gar nicht mehr ausgelesen werden.

Wie der US-amerikanische Biomathematiker Steve Horvath von der University of California, Los Angeles vor etwa zehn Jahren festgestellt hat, lässt sich an solchen chemischen Signalen recht zuverlässig ablesen, wie alt Zellen und Organe wirklich sind. Seitdem wurde weiter an der Methode gefeilt. Für die aktuelle Arbeit hat das Team um Jesse Poganik von der Harvard Medical School, dem auch Horvarth angehörte, verschiedene Varianten von DNA-Uhren zur Messung des biologischen Alters verwendet.

Ob die Uhren auch wieder zurückgedreht werden können, haben die Forscherinnen und Forscher im ersten Schritt anhand eines Mausmodells untersucht. Dabei wurden drei Monate alte Mäuse mit 20 Monate alten chirurgisch verbunden und drei Monate später wieder getrennt. Wie erwartet hat die drastische Operation die Alterung der jungen Tiere deutlich beschleunigt, das zeigten etwa genetische Veränderungen im Herz, der Leber und im Gehirn. Aber schon zwei Monate, nachdem die Tiere voneinander getrennt worden sind, waren all diese Alterserscheinungen wieder verschwunden.

Operationen und Schwangerschaft

Anschließend hat das Team untersucht, ob der Effekt auch in „natürlicheren“ Situationen bei Menschen auftritt, etwa bei kurzfristig sehr belastenden Ereignissen. Zu diesem Zweck wurden mehrere Blutproben von älteren Personen analysiert, die eine größere Notoperation nach einem Hüftbruch machen mussten: vor dem Eingriff, unmittelbar danach und vier bis sieben Tage später.

Tatsächlich hatten die Operationen die Alterung schon binnen eines Tages enorm beschleunigt. Die gute Nachricht: Eine Woche danach waren die Patientinnen und Patienten wieder so jung wie zuvor, zumindest gemessen an ihrer DNA-Uhr. Bei geplanten Operationen konnten die Forscher und Forscherinnen übrigens keine vergleichbaren Effekte nachweisen.

Grafik zur Studie zeigt, wie sich der Alterungsprozess wieder umkehrt
Cell Metabolism/Poganik et al.
Die Grafik zur Studie zeigt, wie sich der Alterungsprozess wieder umkehrt

Eine Beschleunigung der Alterung ließ sich auch bei schwangeren Mäusen und Frauen feststellen, die Veränderungen waren kurz nach der Geburt ebenfalls wieder verschwunden.

Schwere Krankheiten

Auch schwere Erkrankungen dürften Menschen kurzfristig schneller altern lassen. Das ergaben weitere Blutanalysen, in diesem Fall von Covid-19-Patienten und -Patientinnen, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Wie die Autoren und Autorinnen in ihrer Studie schreiben, war es hier aber nicht ganz so eindeutig und abhängig von der verwendeten Messmethode, ob die Alterung nach der Genesung wieder völlig aufgehoben war. Das könnte daran gelegen sein, dass die Betroffenen und ihr allgemeiner Gesundheitszustand sehr unterschiedlich waren. Bei Frauen war eine völlige Wiederherstellung häufiger nachweisbar.

Begünstigt wurde der Regenerationsprozess laut Poganik und Co. durch eine Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Tocilizumab. Ob sich das Medikament vielleicht generell für Anti-Aging-Interventionen eignet, müsste aber erst untersucht werden.

Kurzzeitige Effekte

Wie die Forscherinnen und Forscher betonen, beziehen sich die vorliegenden Analysen immer nur auf einen sehr kurzen Lebensabschnitt. Es bleibe daher vorerst unklar, ob auch langfristige Veränderungen wieder reversibel sind.

Dennoch mache die Studie deutlich, dass die biologische Alterung von Mäusen und Menschen prinzipiell nichts Statisches ist, wie Koautor James White von der Duke University School of Medicine in einer Aussendung ausführt: „Der Befund eines veränderlichen und formbaren Alters stellt die Vorstellung eines einseitig gerichteten Verlaufs infrage.“ Die Fähigkeit, sich von belastenden Lebensereignissen komplett zu erholen, könnte für gesundes Altern und ein langes Leben entscheidend sein.