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vectorfusionart – stock.adobe.co
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Hirntumore

Chemotherapie überwindet Blut-Hirn-Schranke

Mit einem neuen Verfahren ist es einem Forschungsteam gelungen, ein hochwirksames Medikament zur Chemotherapie direkt ins menschliche Gehirn zu bringen: Die Blut-Hirn-Schranke wurde dabei mittels Ultraschall geöffnet – und die Wirkung der Behandlung von aggressiven Hirntumoren dadurch deutlich verstärkt.

Ein großes Hindernis bei der Behandlung von Glioblastomen war bisher, dass die wirksamsten Medikamente zur Chemotherapie den aggressiven Hirntumor nicht erreichen, weil sie die Blut-Hirn-Schranke nicht durchdringen können. Dieser hochwirksame Filter zwischen den Flüssigkeitsräumen des Blutkreislaufs und dem Zentralnervensystem schützt das Gehirn vor Krankheitserregern und Giftstoffen, schirmt es aber auch vor der überwiegenden Mehrheit von Medikamenten ab.

Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren können daher mit den meisten Medikamenten, die bei anderen Krebserkrankungen wirksam sind, nicht behandelt werden. Das neue Verfahren soll laut der Studie, die nun im Fachjournal „The Lancet Oncology“ veröffentlicht wurde, eine vier- bis sechsfache Erhöhung der Medikamentenkonzentration im Gehirn ermöglichen.

Vorgang dauert vier Minuten

Um die Blut-Hirn-Schranke zu öffnen und die Chemotherapie zu verabreichen, verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Northwestern University in den USA ein in den Schädel implantierbares Gitter aus neun Ultraschallsendern, das von dem französischen Biotechunternehmen Carthera entwickelt wurde. Damit können große Regionen des Gehirns wiederholt durchdrungen werden, die Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke wird dadurch vorübergehend erhöht. Das Medikament zur Chemotherapie wird zuvor intravenös verabreicht und kann durch die Beschallung in den Bereich des Tumors eindringen.

Der Vorgang dauert vier Minuten, die Patientinnen und Patienten sind dabei wach und können bereits nach einigen Stunden wieder nach Hause gehen. Die Ergebnisse zeigen laut dem Forschungsteam um den Neurochirurgen Adam Sonabend, dass die Behandlung sicher und gut verträglich ist.

Einsatz von hochwirksamen Medikamenten möglich

Bisher gebe es mit Temozolomid nur ein Medikament zur Chemotherapie für Glioblastome, dieses überwinde zwar die Blut-Hirn-Schranke, sei aber „ein schwaches Medikament“, so Sonabend in einer Aussendung. Die Erhöhung der Medikamentenkonzentration im Gehirn um das vier- bis sechsfache konnte bei zwei hochwirksamen Medikamenten beobachtet werden: Paclitaxel und Carboplatin.

Diese beiden Medikamente wurden bisher nicht zur Behandlung von Glioblastomen eingesetzt, weil sie unter normalen Umständen die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden können. Paclitaxel sei im Rahmen von bisherigen Studien zwar direkt in in das menschliche Gehirn injiziert worden, hier sei aber ein Zusammenhang mit Gehirnhautentzündungen beobachtet worden.

Laut dem Neurochirurgen könnte die klinische Studie einen großen Fortschritt für Glioblastom-Patientinnen und -Patienten darstellen. Und mehr noch: „Wir haben uns zwar auf Hirntumore konzentriert, das Verfahren öffnet aber die Tür zur Erforschung neuer Behandlungen für Millionen von Patientinnen und Patienten, die an unterschiedlichen Hirnerkrankungen leiden.“

Schranke schließt sich nach einer Stunde wieder

Die Forschungsergebnisse bilden die Grundlage für eine laufende klinische Studie der Phase 2, die das Forschungsteam um Sonabend derzeit durchführt: Die Patientinnen und Patienten erhalten mit dem neuen Verfahren eine Kombination aus Paclitaxel und Carboplatin. Ziel der Studie ist es, zu untersuchen, ob diese Behandlung das Leben der Menschen verlängert.

In der Studie beschreiben die Forscherinnen und Forscher auch, wie schnell sich die Blut-Hirn-Schranke nach dem Ultraschall wieder schließt. Der größte Teil der Wiederherstellung der Blut-Hirn-Schranke findet demnach in den ersten 30 bis 60 Minuten nach dem Ultraschall statt. „Es gibt ein kritisches Zeitfenster nach der Beschallung, in dem das Gehirn für Medikamente durchlässig ist, die im Blutkreislauf zirkulieren“, so Sonabend. Diese Erkenntnis soll es ermöglichen, den Zeitpunkt der Medikamentenabgabe und der Aktivierung des Ultraschalls zu optimieren.