Menschenmenge in Mumbai
AFP – PUNIT PARANJPE
AFP – PUNIT PARANJPE
Ländervergleich

Ungleichheit spiegelt sich im Frauengehirn

Noch immer sind Frauen in vielen Ländern benachteiligt, etwa bei der Bildung, im Beruf und beim Einkommen. Die Ungleichheit lässt sich laut einer neuen Studie mit Daten aus 29 Ländern sogar im Gehirn nachweisen. Die Veränderungen im Gehirn könnten das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen.

Denken und fühlen Frauen anders als Männer? Gibt es ein typisch weibliches bzw. männliches Gehirn? Diese Fragen sind umstritten. Manche halten Unterschiede für naturgegeben, andere sprechen gar von Neurosexismus. Fest steht: Das Gehirn ist ein höchst formbares Organ. Das heißt, nicht nur Gene und Hormone, sondern alles, was ein Mensch – ob Mann oder Frau – im Lauf seines Lebens erlebt, hinterlässt Spuren.

Allein deswegen sind manche Debatten über vermeintliche Geschlechterunterschiede grundsätzlich schwierig. Denn, sofern nachweisbar, müssen sie nicht automatisch in die Wiege gelegt, sondern könnten auch eine Folge von Rollenbildern, Erlebnissen und gesellschaftlichen Strukturen sein.

Prägung durch Umwelt

Vor drei Jahren zeigte etwa eine Metastudie, wie sehr das Sozialleben Gehirnstrukturen prägt und so zu messbaren Geschlechtsunterschieden in einigen Regionen führt. Dass das Gehirn gewissermaßen ein Spiegel der äußeren Verhältnisse ist, war auch Ausgangspunkt einer kürzlich im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Arbeit. Wie das Team um Andre Zugman vom US-amerikanischen National Institute of Mental Health (NIMH) schreibt, könnten Umwelteinflüsse – von schlimmen Kindheitserlebnissen bis zu schlechter Ernährung – zu den vielen Inkonsistenzen bei Studien zu Geschlechterdifferenzen beitragen.

So machen etwa Frauen in Ländern, in denen die Geschlechtergerechtigkeit noch nicht so weit fortgeschritten ist, häufiger negative Erfahrungen, z. B. in Zusammenhang mit Gewalt, mangelnder Bildung und Gesundheitsversorgung. Das könne sich auch auf ihr Gehirn auswirken, so die Annahme von Zugman und Co.

Messbare Unterschiede

Ob es einen derartigen Zusammenhang tatsächlich gibt, haben die Forscherinnen und Forscher nun auf Basis von Daten aus 29 Ländern untersucht. Der Großteil stammte aus den USA und China, auch aus Österreich waren Daten dabei. Verglichen wurden insgesamt mehr als 7.800 Gehirnbilder (MRI), etwas mehr als die Hälfte davon von Frauen. Als Maßstab für die Gerechtigkeit wurden der Gender Gap Report 2021 und der Gender Inequality Index herangezogen.

Im Fokus der Analyse stand die Dicke der Großhirnrinde in insgesamt 68 Bereichen. Das Team fand tatsächlich Unterschiede, die in einem statistisch signifikanten Zusammenhang mit der Geschlechtergerechtigkeit in einem Land stehen: Drei Regionen der rechten Gehirnhälfte sind bei Frauen dünner, wenn sie in einem weniger gleichberechtigten Umfeld leben. Ist die Gleichberechtigung hingegen weit fortgeschritten, ist die Großhirnrinde dort gleich dick oder bei Frauen sogar etwas dicker.

Psychische Probleme

Wie die Studienautoren und -autorinnen vermuten, könnten die messbaren Unterschiede in Frauengehirnen unter anderem das Risiko für psychische Probleme erhöhen. Wie man aus früheren Arbeiten wisse, stehen Veränderungen in den betroffenen Hirnregionen in Zusammenhang mit emotionaler Kontrolle, Stress, Depressionen und posttraumatischen Störungen.

Wenn Mädchen in einer ablehnenden Umwelt aufwachsen, in der Frauen weniger wert sind und weniger Chancen haben, hinterlasse das auch Spuren im Gehirn. Das könnte auch erklären, warum etwa Mädchen häufiger unter Depressionen leiden als Buben.

Ob hinter den Korrelationen tatsächlich ein kausaler Zusammenhang steht, muss laut dem Team um Zugman aber noch weiter untersucht werden, etwa in Form von Langzeitstudien oder in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, um die vielen Einflüsse, denen ein menschliches Gehirn ausgesetzt ist, genauer zu analysieren. Die Studie liefere jedenfalls ein erstes neurowissenschaftliches Argument für mehr Geschlechtergerechtigkeit.