3D-Illustration einer HIV-infizierten T-Zelle, Immunzelle
Lee – stock.adobe.com
Lee – stock.adobe.com
40 Jahre Aids

Vom Todesurteil zum Leben mit HIV

Genau vor 40 Jahren, am 20. Mai 1983, hat die Welt erfahren, was jene mysteriöse Immunschwäche, Aids, auslöst, die zwei Jahre zuvor durch Todesfälle junger Homosexueller aufgefallen war: ein Virus, das heute HIV heißt. Zunächst breitete sich Aids weltweit aus – erst die Kombinationstherapie brachet 1996 den Umschwung.

1981: Erster Alarm

Am 5. Juni 1981 meldet die US-Gesundheitsbehörde CDC eine seltene Form der Lungenentzündung bei jungen Homosexuellen in Kalifornien. Zwei der fünf zuvor gesunden Männer sind gestorben. Es ist die erste offizielle Warnung vor Aids – damals weiß allerdings noch niemand, dass es sich um eine neue Krankheit handelt.

Bald tauchen dieselben Infektionen auch in anderen Gruppen auf: Ende 1981 bei Menschen, die Drogen via Spritze konsumieren, Mitte 1982 bei Menschen mit Bluterkrankheit, die Bluttransfusionen erhalten, und bei Menschen, die aus Haiti in die USA eingewandert sind.

So wird zunächst von der „4H“-Krankheit gesprochen, was für Homosexuelle, Heroin-Abhängige, Haitianer und „Hemophiles“, also Bluter, steht. Der Name Aids wird 1982 geprägt und ist die Abkürzung von „acquired immune deficiency syndrome“, also erworbenes Immunschwäche-Syndrom.

1983: Entdeckung des Virus

Im Jänner 1983 isolieren am Pariser Institut Pasteur die Forscherin Françoise Barré-Sinoussi und ihr Kollege Jean-Claude Chermann unter der Leitung von Luc Montagnier ein neues Virus, das sie LAV nennen und das aus ihrer Sicht an Aids „beteiligt sein könnte“. Ihre Entdeckung wird am 20. Mai – vor genau 40 Jahren – in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Am 23. April 1984 verkünden die USA, dass der US-Virologe Robert Gallo den „wahrscheinlichen“ Aids-Erreger, ein HTLV-III getauftes Virus, gefunden hat. LAV und HTLV-III erweisen sich schließlich als derselbe Erreger, der 1986 den Namen „Humanes Immundefizienz-Virus“ erhält, kurz HIV.

1987: Erste Behandlung

Am 20. März 1987 wird in den USA die erste Therapie gegen das Retrovirus HIV zugelassen. Doch sie ist kostspielig und verursacht durch ihre hohe Dosierung gravierende Nebenwirkungen wie Blutarmut.

Frankreich und die USA legen ihren Streit über die Entdeckung des HI-Virus bei: Gallo und Montagnier werden als „Co-Entdecker“ bezeichnet. Der Medizin-Nobelpreis 2008 geht allerdings nur an Montagnier und Barré-Sinoussi.

1985-95: Aids zieht immer weitere Kreise

Der US-Schauspieler Rock Hudson ist im Oktober 1985 der erste Star, der an Aids stirbt. Es folgen Queen-Frontmann Freddie Mercury im November 1991 und Ballettstar Rudolf Nurejew im Januar 1993. Im Jahr darauf wird Aids zur häufigsten Todesursache bei Menschen in den USA zwischen 25 und 44 Jahren.

1995–96: Beginn der Kombinationstherapien

Sie sind die Game Changer in der Aids-Therapie: Proteasehemmer und Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (RTI). Die antiretroviralen Kombinationstherapien erweisen sich als sehr wirksam gegen HIV: Ein Mix aus verschiedenen Wirkstoffen unterdrückt die Vermehrung des Virus, und die Person ist auch nicht mehr ansteckend.

1996 geht die Zahl der Aids-Opfer in den USA erstmals zurück. Heute hat eine HIV-infizierte Person, die früh mit der antiretroviralen Therapie beginnt, eine ähnliche Lebenserwartung wie der Rest der Bevölkerung.

2001: Generika

Die UNO, die Welthandelsorganisation WTO und fünf Pharmariesen einigen sich darauf, dass Entwicklungsländer kostengünstige Nachahmer-Produkte von Aids-Medikamenten herstellen dürfen.

2006: Ursprung entdeckt

Ein internationales Forscherteam entdeckt den Ursprung des HI-Virus in einer Schimpansenpopulation in Kamerun. Es könnte bereits in den 1920er Jahren auf Jäger übertragen worden sein, die mit Schimpansenblut in Kontakt kamen.

2010: „Berliner Patient“

Der aus den USA stammende Timothy Brown wird von HIV geheilt, als ihm wegen einer Leukämie-Erkrankung Knochenmark eines Menschen transplantiert wird, der genetisch gegen HIV immun ist. Dem Fall des sogenannten Berliner Patienten folgen weitere derartige Heilungen, unter anderem im Februar 2023 jene des „Düsseldorfer Patienten“.

Etwa ein Prozent der europäischen Bevölkerung sei auf natürliche Weise so gut wie immun gegen HIV, sagt Guido Kobbe vom Universitätsklinikum Düsseldorf. Bei ihnen könne das Virus nicht in die Immunzellen eindringen, weil sie die Rezeptoren dafür nicht haben. Eine reguläre HIV-Therapie lässt sich laut Kobbe dadurch aber nicht entwickeln, weil die Erfolge auf dem Austausch des gesamten Immunsystems beruhen – eine riskante Therapie, die man nur dann einsetzt, wenn Chemotherapien nicht ausreichen.

2012: Erste Vorbeugungsbehandlung

Am 16. Juli 2012 wird in den USA eine erste Vorsorgebehandlung gegen HIV zugelassen. Eine Tablette mit einer Mischung aus antiretroviralen Medikamenten hat sich seither bei Menschen mit hohem HIV-Ansteckungsrisiko als wirksame Vorbeugung etabliert.

2017: Therapie für gut 50 Prozent der Infizierten

2017 wird erstmals mehr als die Hälfte der Trägerinnen und Träger von HI-Viren weltweit antiretroviral behandelt. 2021 sind es nach UN-Schätzungen drei Viertel der 38,4 Millionen Infizierten.

2020/21: Auswirkungen der CoV-Pandemie

Aufgrund der Covid-Maßnahmen gibt es mehr HIV-Neuinfektionen und Aids-Todesopfer, als die Zielvorgaben der UNO vorsehen. Die UN-Organisation UNAIDS hält dennoch an ihrem Ziel fest, Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030 auszuschalten.

2023: Hausaufgaben für Österreich

In Österreich scheint das theoretisch machbar: Laut Modellrechnungen der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit AGES sind deutlich mehr als 90 Prozent der HIV-Infizierten auch diagnostiziert. Von jenen Betroffenen, die in Kontakt mit einem der österreichischen HIV-Zentren stehen, erhalten 99 Prozent die Kombinationstherapie.

Um das Ziel zu erreichen, müsste aber laut AGES das Vorbeugungsmedikament PrEP stärker eingesetzt werden, und es sollte weniger Spätdiagnosen geben. In der zeitlichen Lücke zwischen eigener Ansteckung und Diagnose werde die Krankheit weitergegeben. In Österreich werde sehr viel getestet, doch ein Viertel käme bereits mit Immunschwäche zum Test. Ein höheres Risiko für eine späte Diagnose haben Menschen über 50 Jahren, Heterosexuelle, männliche Benutzer von Drogenspritzen und Personen, die nicht aus Österreich stammen.