Künstlerische Darstellung des Schwarzen Loches in der Galaxie Messier 87: Im Zentrum ein heller Strahl extrem heißer Materie
ESO/M. Kornmesser
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Kosmos

Neue Hypothese zur Dunklen Materie

Die erfolglose Suche nach der Dunklen Materie im Weltall könnte einen einfachen Grund haben: Möglicherweise sind Schwarze Löcher und Dunkle Materie ein und dasselbe. Die Hinweise, dass an dieser Hypothese etwas dran ist, mehren sich, so der Astrophysiker und ehemalige Forschungsdirektor der Europäische Weltraumorganisation (ESA), Günther Hasinger, im Ö1-Interview.

Die Leerstelle im Kosmos bereitet der Wissenschaft schon seit einem knappen Jahrhundert Kopfzerbrechen. Der Schweizer Physiker Fritz Zwicky war der erste, dem auffiel, dass Galaxienhaufen aus überraschend wenig Materie bestehen und infolgedessen eigentlich auseinanderbrechen müssten – was sie nicht tun.

Das Problem ließ sich später auch mit genaueren Teleskopen nicht aus der Welt schaffen, im Gegenteil: Die US-amerikanische Astronomin Vera Rubin wies in den 1970ern nach, dass der Mangel auch auf kleineren Skalen besteht. Spiralgalaxien weisen zu wenig an sichtbarer Materie auf, als dass sich ihre Bewegungen mit Newtons und Keplers Theorien in Übereinstimmung bringen ließen.

Gesucht: Materie

Und weil man die Klassiker der Wissenschaftsgeschichte nicht so leicht über Bord wirft, lautete die Schlussfolgerung: Da draußen muss es noch eine andere, unsichtbare Materieform geben. Eine, die sich bloß über die Gravitation zu erkennen gibt, aber ansonsten im Dunkel des Alls verborgen bleibt.

An dieser Ansicht hat sich bis heute nichts geändert, bis auf die Tatsache, dass von Theorieseite allerlei Erklärungen vorgeschlagen wurden. Da wurde die Existenz neuer Teilchen postuliert, etwa der sogenannten Axionen oder der WIMPs („weakly interacting massive particles“) und anderer mehr. Nur blieb es bislang beim Postulat. Denn wo auch immer die Astronominnen und Teilchenphysiker ihre Detektoren hingerichtet haben: Von exotischen, „Dunklen“ Teilchen fand und findet sich keine Spur. Die Stimmung in der Fachgemeinde sei mittlerweile „fast schon verzweifelt“, sagt der deutsche Astrophysiker Günther Hasinger.

„Schwarze Löcher sind Dunkle Materie“

Der Gründungsdirektor des derzeit im Aufbau befindlichen Deutschen Zentrums für Astrophysik hat für die Erfolglosigkeit bei der Suche nach der Dunklen Materie eine erstaunlich einfache Erklärung parat: Man habe schlicht an der falschen Stelle gesucht und das Offensichtliche übersehen. Hasinger zufolge könnte sich die Dunkle Materie in urzeitlichen Schwarzen Löchern verborgen halten, wobei man zwischen diesen genau genommen gar nicht unterscheiden könne. „Die Schwarzen Löcher bestehen nicht aus Dunkler Materie, sie sind die Dunkle Materie“, sagt der ehemalige ESA-Forschungsdirektor im Ö1-Interview.

Astrophysiker Günther Hasinger bei einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
ÖAW/Elia Zilberberg
Letzte Woche stellte Günther Hasinger seine Hypothese an der Akademie der Wissenschaften vor.

Dadurch würde sich nicht viel an den bisherigen Vorstellungen ändern. Die Dunkle Materie bliebe wie gehabt aufgespannt als riesengroßer Halo rund um die Milchstraße und alle anderen Galaxien. Auch die Massenbilanz bliebe die gleiche, nur dass es sich bei der Masse eben in Wirklichkeit um eine Schar Schwarzer Löcher handelt oder handeln würde. Unsichtbar bzw. „Dunkel“ wären sie natürlich ebenso – denn Schwarze Löcher halten auch Licht in ihrem Inneren gefangen.

Primordial: Relikt des Urknalls

Die Schwarzen Löcher, von denen Hasinger spricht, sind allerdings nicht die typischen stellaren, aus kollabierten Sternen entstandenen, sondern vielmehr „primordiale“ Schwarze Löcher, die sich unmittelbar nach dem Urknall gebildet haben.

Der Vorteil dieser Hypothese ist, dass sie keinerlei neue Theorien benötigt, es reichen die beiden bestens bewährten Weltmodelle des Großen und Kleinen, die Relativitätstheorie und das Standardmodell der Elementarteilchen. So gesehen ist Hasingers Vorstoß fast schon bescheiden in einer Zeit, da an vielen Forschungsfronten von einer „neuen Physik“ die Rede ist.

Die Erde im Weltraum, im Hintergrund: die Galaxis
Public Domain

Nach Ockhams Rasiermesser, demzufolge von allen möglichen Lösungen für ein Problem stets der einfachsten der Vorzug zu geben ist, könnte die Schwarze-Loch-Hypothese mit dem Charme der Sparsamkeit punkten. Gleichwohl bleibt auch die Existenz der primordialen Schwarzen Löcher ein Postulat. Zwar gibt es auch andere Gründe an ihre Entstehung zu glauben – ansonsten wäre es zum Beispiel schwierig, die Wachstumskurve der supermassiven Schwarzen Löcher jenseits von Millionen Sonnenmassen in die Modelle einzupassen. Doch wie gesagt: Direkt nachgewiesen wurden auch die primordialen Schwarzen Löcher noch nicht.

James-Webb muss nun liefern

Genau in dieser Frage bahne sich nun eine Wende an, sagt Hasinger. Lichtablenkungen an sogenannten Gravitationslinsen und die Vermessungen von Quasaren geben Hinweise, dass die primordialen Schwarzen Löcher tatsächlich existieren. „Es ist noch nicht bewiesen, aber das Puzzle vervollständigt sich langsam.“ Existenz allein ist freilich zu wenig, ein entscheidender Punkt in dieser Frage wird sein, ob die primordialen Schwarzen Löcher auch die richtige Massebilanz für die Galaxien und Galaxienhaufen liefern können. In dieser Hinsicht gab es in den letzten Jahren einige pessimistische Bescheide, etwa eine Vermessung des Andromedanebels durch den japanischen Astrophysiker Hiroko Niikura oder auch das EROS- und das MACHO-Experiment.

Hasinger bereitet das kein allzu großes Kopfzerbrechen, denn all diese Ansätze gingen von einer bestimmten Größenklasse der primordialen Schwarzen Löcher aus, betont er. Arbeite man mit einem Modell, in dem sie vom Tennisball bis zur Größe eines Sonnensystems alles abdecken, was physikalisch möglich ist, dann sei auch die Massebilanz kein Problem. Ob Hasinger Recht hat, sollte sich innerhalb der nächsten Jahre durch Himmelsbeobachtungen der neuen Generation entscheiden lassen.

Vor allem das 2021 ins All gestartete James-Webb-Weltraumteleskop sollte Antworten liefern. Ganz so ausgefallen, wie die Hypothese fürs Erste klingen mag, ist sie übrigens nicht. Schon Stephen Hawking hatte in den 1970ern vermutet, dass es sich bei der Dunklen Materie in Wahrheit um kleine Schwarze Löcher handeln könnte.