Seegurke bei Koh Tao Insel
AFP/LILLIAN SUWANRUMPHA
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Tiefseebergbau

Tausende Arten in künftigem Abbaugebiet

Im Meer zwischen Hawaii und Mexiko gibt es viele wertvolle Minerale. Die Region ist daher das Ziel zahlreicher Abbauvorhaben. Forscher und Forscherinnen möchten davor aber die Auswirkungen des Tiefseebergbaus besser verstehen. Ein britisches Team hat nun erhoben, welche Tiere dort leben. Sie fanden über 5.500 Arten – rund 90 Prozent waren sogar für die Wissenschaft neu.

Immer mehr Länder möchten klimaneutral werden. In Angesicht der fortschreitenden Klimaerwärmung ist das lobenswert, aber auch die Umstellung auf erneuerbare Energiesysteme und klimafreundlichere Technologien braucht bestimmte Rohstoffe. Kobalt kommt etwa in aufladbaren Batterien zum Einsatz – der weltweite Bedarf nach dem Mineral steigt daher stetig.

Wertvolle Minerale am Meeresboden

Große Abbaugebiete für Kobalt liegen beispielsweise im Kongo oder in Australien, aber auch auf dem Meeresboden kommt das Metall und viele andere wertvolle Minerale vor. „In vielen Unterwasserregionen gibt es polymetallische Knollen am Meeresboden, die potenziell abgebaut werden könnten“, erklärt Muriel Rabone vom Naturhistorischen Museum London gegenüber science.ORF.at. In den Knollen ist neben Mangan und Eisen unter anderem auch oft Kobalt, Nickel und Kupfer enthalten.

Künftiger Abbau-Hotspot im Pazifik

Eine Meeresregion, die aufgrund ihrer vielen polymetallischen Knollen für die Industrie besonders interessant ist, ist die Clarion-Clipperton Zone (CCZ). Dabei handelt es sich um ein rund 7.000 Kilometer langes Gebiet im Zentralpazifik, das zwischen Hawaii und Mexiko liegt.

Derzeit ist es der Industrie nicht gestattet, Rohstoffe in Regionen abzubauen, die keiner nationalen Hoheitsgewalt unterliegen. Da das in der CCZ der Fall ist, werden Abbau-Vorhaben von der internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) reguliert. Tatsächlich abgebaut wird dort derzeit noch nichts, in den kommenden Jahren könnte sich das aber ändern.

Die ISA hat mittlerweile bereits 17 Verträge abgeschlossen, die es bestimmten Unternehmen erlauben, die Mineralvorkommen in rund 1,2 Millionen Quadratkilometern der Region zu erkunden. „Diesen Sommer könnte es sogar dazu kommen, dass ein Unternehmen tatsächlich eine Abbaulizenz erhält“, erklärt Rabone. Auch dann werde es zwar noch eine gewisse Zeit dauern, bis der Rohstoffabbau startet, Teile der CCZ könnten aber schon in wenigen Jahren zu richtigen Abbau-Hotspots werden.

Unbekanntes Ökosystem

Befürworter des Tiefseebergbaus argumentieren laut Rabone oft mit der potenziell geringeren Belastung für die Umwelt im Vergleich zum Rohstoffabbau an Land. Dass der Tiefseebergbau ebenfalls schädlich für die Umwelt und insbesondere das dortige Ökosystem ist, werde zwar meist eingesehen, oft aber als weniger relevant dargestellt. Dabei ist es laut der britischen Forscherin in vielen Fällen gar nicht klar, welche Folgen die industriellen Eingriffe am Meeresboden nach sich ziehen könnten. Zum Teil sei das auch in der CCZ der Fall.

Erkundungen der Mineralvorkommen gab es dort bereits in den frühen 1970er-Jahren. Seit damals werden die Bodenschätze regelmäßig analysiert und untersucht, erklärt Rabone. Im Gegensatz dazu gebe es aber erst seit wenigen Jahren auch Bemühungen, die Artenvielfalt und Biodiversität in der CCZ zu untersuchen. „Umfangreiche Studien und Analysen wurden dazu erst in den vergangenen fünf bis zehn Jahren publiziert“, so die Expertin.

5.500 Arten entdeckt

Rabone war nun Teil eines Forschungsteams, das die bisher gesammelten Informationen zur Artenvielfalt in der CCZ untersuchte und zusammenfasste. Ihre Resultate präsentieren die Forscherinnen und Forscher aktuell in einem Bericht im Fachjournal „Current Biology“. „Die Idee dahinter war es, einmal konkret zu erheben, was wir über die Tiere in der Region bisher bereits wissen“, erklärt sie.

Das Team nutzte sieben Datenbanken und analysierte über 100.000 Aufzeichnungen von Lebewesen, die in den früheren Expeditionen in der CCZ angetroffen wurden. Insgesamt fanden die Forscherinnen und Forscher dabei Hinweise auf mehr als 5.500 verschiedene Tierarten. „Einerseits kann es sein, dass nicht alle Aufzeichnungen korrekt betitelt waren und manche Arten mehrfach gezählt wurden, andererseits gehen wir aber auch davon aus, dass die von uns gefundenen Arten nur einen Teil der gesamten Vielfalt in der CCZ darstellen“, sagt Rabone. Laut ihr sei es wahrscheinlich, dass es dort insgesamt rund 6.000 bis 8.000 Tierarten gibt.

Würmer und Schwämme

Besonders stark waren Gliederfüßer, Würmer, Stachelhäuter und Schwämme vertreten. Die Forscherinnen und Forscher fanden aber auch zahlreiche Fisch- und Seegurkenarten. „Die Biodiversität in der CCZ ist wirklich beeindruckend und unglaublich schön“, so Rabone.

Die Expertin war dabei besonders von bestimmte Arten von Glasschwämmen angetan. Dabei handelt es sich zwar um Schwämme, aber: „Unter dem Mikroskop haben sie die gleiche chemische Struktur wie Glas und ich finde es faszinierend, wie sie in so kalten Regionen wie dem Meeresboden entstehen können, während man für normales Glas sehr hohe Temperaturen braucht“, erklärt Rabone.

Tausende Neuentdeckungen

Nur sechs der ohnehin bereits bekannten Tierarten in der CCZ kamen auch in anderen Gebieten vor – darunter etwa bestimmte Seegurkenarten. Was die britische Forscherin überraschte: Rund 90 Prozent aller gefundenen Tierarten waren auch der Wissenschaft komplett neu. „Der Großteil der dortigen Biodiversität ist aus wissenschaftlicher Sicht noch komplett unbeschrieben“, erklärt Rabone.

Grundlage für weitere Untersuchungen

Dass die Forscherinnen und Forscher so viele neue Tierarten finden konnten, zeigt laut Rabone klar, dass in diesem Bereich noch zu wenig Forschung betrieben wurde. Die anstehenden Abbauvorhaben würden die Biodiversität in der CCV zwar klar gefährden, bisher gebe es aber noch zu viele Unklarheiten, um die Auswirkungen des Tiefseebergbaus tatsächlich vorherzusagen.

Die Forscherin hofft daher, dass auch andere Expertinnen und Experten zur Vervollständigung der CCZ-Biodiversitätsliste beitragen. Das britische Forschungsteam arbeitet etwa bereits daran, die Tierarten anhand der bisher gesammelten Daten noch genauer bestimmen zu können. Außerdem müsse unter anderem noch geklärt werden, wie sehr die verschiedenen Tiere an eine bestimmte Region gebunden sind. Eventuell wären viele von ihnen dazu in der Lage, dem Tiefseebergbau in der CCZ einfach auszuweichen.