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candy1812 – stock.adobe.com
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Sicheres und gerechtes Leben

Sieben von acht Grenzen überschritten

Die Klimaerwärmung, der steigende Bedarf an Ressourcen und die Umweltverschmutzung machen der Erde und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern zunehmend zu schaffen. Ein Forschungsteam hat nun acht Grenzwerte bestimmt, die auch künftigen Generationen ein sicheres und gerechtes Leben ermöglichen sollen. Das Problem: Fast alle Grenzen sind mittlerweile bereits überschritten.

Nicht nur die Erwärmung des Klimas bedroht das Leben auf der Erde, auch andere vom Menschen beeinflusste Entwicklungen könnten künftig zu weitreichenden Problemen führen. Dazu gehören unter anderem knapper werdende Süßwasserreserven, die Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden und der stetige Rückgang im Bereich der natürlichen Artenvielfalt.

Um Lösungen für aktuelle und künftige Probleme auf der Erde zu finden, wurde vor wenigen Jahren die „Earth Commission“ ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um einen internationalen Zusammenschluss namhafter Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Gemeinsam haben sie das Ziel, eine sichere und auch möglichst gerechte Zukunft für die Erde und all ihre Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten.

Internationale Zusammenarbeit

Rund 50 Forscherinnen und Forscher der „Earth Commission“ untersuchten in einer aktuell im Fachjournal „Nature“ präsentierten Studie, was für eine derartige Zukunft nötig wäre. Sie ermittelten laut eigenen Angaben erstmals „sichere und gerechte“ Grenzen des Erdsystems und fassten diese in Zahlen.

Das Team um Johan Rockström, einem der Direktoren des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PiK) in Deutschland, entwickelte das Konzept der Planetaren Grenzen weiter. Bisher wurden dabei meist nur die Belastungsgrenzen der Erdsysteme berücksichtigt, die Forscherinnen und Forscher quantifizierten in ihrer aktuellen Arbeit aber zusätzlich auch, wie stark die Menschheit durch die künftigen Veränderungen unter Druck geraten könnte.

Acht Grenzwerte

Das Forschungsteam ermittelte so insgesamt acht Grenzwerte, die in Hinblick auf eine möglichst sichere und gerechte Zukunft nicht überschritten werden sollten. Dazu gehört die Beschränkung der Klimaerwärmung auf ein Grad oder weniger und die Forderung, möglichst viel Naturflächen unberührt zu lassen (weltweit 50-60 Prozent) und so viel natürliche Vegetation wie möglich zu erhalten (20-25 Prozent jedes Quadratkilometers).

Die Erde aus Satellitenperspektive, „Blue Marble“
NASA/Apollo 17 crew
Die Belastungsgrenzen der Erde sind teils überschritten

Auch die Grundwasserreserven sollen in Zukunft nicht versiegen. Laut den Forscherinnen und Forschern muss der Grundwassernachschub dafür aber mindestens so groß sein wie der Verbrauch. Flüsse, Seen und andere Gewässer müssten darüber hinaus besser geschützt werden. Messbar sei das anhand von Strömungsänderungen – für eine sichere und gerechte Zukunft sollten die Veränderungen laut den Forscherinnen und Forschern weltweit unter monatlichen 20 Prozent liegen.

Die restlichen von dem Team ermittelten Grenzwerte befassen sich mit der Nutzung von Düngemitteln (Stickstoff- und Phosphordünger) in der Landwirtschaft und der Beschränkung der weltweiten Luftverschmutzung.

Strengere Limits

Unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren fielen die ermittelten Grenzwerte strenger aus als bei vielen bisherigen Ansätzen. Die im Pariser Klimaabkommen beschlossene Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad verhindere demnach zwar die schlimmsten Auswirkungen auf den Planeten, nicht aber schwerwiegende Schäden wie zum Beispiel den Verlust von Menschenleben oder Lebensräumen. Die sichere und gerechte Klimagrenze liegt laut den Forscherinnen und Forschern daher eher bei einem Grad Erwärmung oder weniger.

Ein Einhalten der Grenzwerte wird künftig aber alles andere als einfach, wie die Fachleute am Dienstag vor Journalistinnen und Journalisten erklärten. Vor allem, weil sieben der acht ermittelten Grenzen bereits überschritten wurden. Schon das 1,5 Grad-Ziel ist aus heutiger Sicht kaum zu erreichen – die Klimaerwärmung auf unter einen Grad zu beschränken scheint sogar fast unmöglich.

Auch im Bereich der Artenvielfalt sehen die Studienautorinnen und -autoren bereits zwei wichtige Grenzen überschritten: 50 bis 60 Prozent der Landfläche müssten naturbelassen sein oder zumindest nachhaltig bewirtschaftet werden, damit die natürlichen Leistungen der dortigen Ökosysteme erhalten bleiben. Derzeit trifft das aber nur auf 45 bis 50 Prozent der Landfläche zu. Die Forderung, dass 20 bis 25 Prozent jedes Quadratkilometers von weitgehend natürlicher Vegetation bedeckt sein sollten, wird nur auf einem Drittel aller vom Menschen beeinflussten Flächen erfüllt.

Wenige Daten zur Luftverschmutzung

Die vom Menschen verursachten Aerosole in der Luft bilden laut den Forscherinnen und Forschern den einzigen Bereich, bei dem die sichere und gerechte Grenze des Erdsystems wahrscheinlich noch nicht überschritten wurde. Lokal werde die Grenze zwar schon oft übertroffen, auf globaler Ebene gebe es aber noch zu wenige Daten. Weitere Erhebungen seien daher nötig, um allgemein gültige Aussagen über die weltweiten Auswirkungen der Luftverschmutzung treffen zu können.

Potenzial und Schwächen

Auch andere Expertinnen und Experten sehen im Ansatz des internationalen Forschungsteams Potenzial. In einer Reaktion auf die Studie erklärt etwa der an der Untersuchung nicht beteiligte Sozialökologe Helmut Haberl von der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien: „Nach meinem Dafürhalten ist die Einbeziehung von Gerechtigkeitskriterien ein wichtiger und sinnvoller Schritt, auch wenn die Implementierung auf globaler Ebene extrem schwierig ist.“

Gegenüber dem deutschen „Science Media Center“ fügt er hinzu: „So wichtig das Aufzeigen globaler ökologischer Grenzen ist, der Ansatz hat aus meiner Sicht auch Schwächen beziehungsweise benötigt komplementäre Zugänge. (…) Die Definition der Gerechtigkeitskriterien in der aktuellen Studie beruht im Wesentlichen darauf, wie stark unterschiedliche soziale Gruppen von Umweltveränderungen betroffen sind. Das ist zweifellos eine sehr wichtige Frage, es trägt aber nur wenig dazu bei, Lösungen für die angesprochenen Probleme zu finden.“

„Gute Grundlage“ für weitere Untersuchungen

Auch wenn das Einhalten der Grenzwerte mit sehr großen Anstrengungen verbunden ist, sei es noch nicht zu spät, entsprechende Maßnahmen dafür zu setzen. Wie diese aussehen könnten, wissen die Forscherinnen und Forscher derzeit aber selbst noch nicht genau.

Rockström sieht in der aktuellen Studie jedenfalls eine gute Grundlage, um die Grenzwerte der Erdsysteme künftig noch genauer zu untersuchen. Das Team arbeitet bereits an weiteren Studien, in denen es unter anderem konkrete Maßnahmen vorschlagen möchte. So wollen die Forscherinnen und Forscher auch künftigen Generationen ein möglichst sicheres und gerechtes Leben auf der Erde ermöglichen.