Waage, BMI, Gewicht
Rostislav Sedlacek – stock.adobe
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Teufelskreis

Wie Übergewicht und Depressionen zusammenhängen

Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie kann extremes Übergewicht das Risiko für psychische Erkrankungen erhöhen, vor allem für Depressionen. Hinter dem Zusammenhang könnten Entzündungen stecken, aber auch soziale Faktoren. Durch die Stigmatisierung landen Betroffene oft in einem Teufelskreis, aus dem sie kaum herausfinden.

Frauen, die stark übergewichtig sind, haben ein dreifach erhöhtes Risiko, auch psychisch krank, vor allem depressiv zu werden, und bei Männern ist dieses Risiko doppelt so hoch, fasst der Psychiater Alexander Kautzky von der Medizinuni Wien die Ergebnisse der Studie zusammen, die vor Kurzem veröffentlicht wurde (science.ORF.at berichtete). Die Datenanalyse des Complexity Science Hub und der Medizinuni Wien beruht auf einem Datensatz aller Österreichinnen und Österreicher, die zwischen 1997 und 2014 mindestens einen stationären Krankenhausaufenthalt verzeichneten.

Depression folgt Übergewicht

Dabei zeigte sich, dass in den meisten Fällen zuerst die Diagnose Übergewicht gestellt und erst einige Jahre später die Depression diagnostiziert wurde. Die Forschenden gehen deshalb davon aus, dass Adipositas – also extremes Übergewicht – die Entwicklung von Depressionen begünstigt – und darüber hinaus auch andere psychische Störungen wie etwa Psychosen, Angstzustände, Ess- und Persönlichkeitsstörungen.

Die Gründe für diesen Zusammenhang zwischen Körper und Psyche seien vielfältig, unter anderem könnten genetische und biologische Faktoren eine Rolle spielen.

Entzündungen können Depression auslösen

So sei bereits länger bekannt, dass Übergewicht eine erhöhte allgemeine Entzündung im Körper hervorruft, meint Alexander Kautzky. Diese „systemische Inflammation“ entsteht, weil ein chronischer Überhang an Energie zur Verfügung steht, das führe zu Zellstress und zum Anstieg von Entzündungsfaktoren, die dann wiederum auch zu psychischen Erkrankungen führen können.

Auch manche Medikamente für psychische Erkrankungen machen dick, doch das sei nicht der wesentlich Faktor für den Zusammenhang zwischen Adipositas und Übergewicht, das zeigte die Studie ebenfalls.

Stigmatisierung führt zu Isolation

Psychische Erkrankungen und Adipositas wirken sich laut den Forschern und Forscherinnen zudem wechselseitig aufeinander aus: Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, hat häufig mit wenig Antrieb zu kämpfen und bewegt sich noch weniger, für gesunde Ernährung habe man oft nicht die Energie, man nimmt leichter an Gewicht zu. Und wie die Studie nahelegt, geht es in die andere Richtung sogar noch häufiger: Wer übergewichtig ist, bei dem führen verschiedene Faktoren leichter zu Depressionen.

Eine große Rolle spiele auch die soziale Ächtung. Adipositas ist zwar eine chronische Krankheit, aber als solche in Österreich nicht anerkannt. Viele Betroffene fühlen sich abgewertet, das bestätigt auch die Psychotherapeutin Barbara Andersen, die sich auf die Behandlung von Adipositas-Patienten und -Patientinnen spezialisiert hat. Die Stigmatisierung setze einen Teufelskreis in Gang.

Zusammenreißen funktioniert meist nicht

Adipositas führe bei vielen zu einem verminderten Selbstwert und das löse bei vielen Betroffenen einen sozialen Rückzug aus. Das wiederum fördere die Depression, man fühle sich der Situation und der Krankheit Adipositas hilflos ausgeliefert.

Betroffene würden von ihren Mitmenschen als willensschwach wahrgenommen und sich auch selbst so empfinden. Dabei können sie oft nur beschränkt etwas ändern, denn ihr Körper ist auf vielen Ebenen aus dem Lot geraten und braucht eine medizinische oder Psychotherapie.

Adipositas sei eine hochkomplexe, lebenslange Erkrankung, so Andersen. Rund 250 verschiedene Einflussfaktoren kenne man bereits, die man selbst schwer oder gar nicht unter Kontrolle halten kann.

Körpereigene Programmierung steht im Weg

Beispielsweise versuche der Körper stets, das Gewicht, das er einmal hatte, zu halten. Bei Menschen, die mehr Gewicht haben, sendet der Körper erst dann Sättigungsmerkmale, wenn das Gewicht gehalten werden kann. „Jemand der 70 Kilo wiegt, hat schneller ein Sättigungsgefühl als jemand, der 100 Kilo wiegt“, so Andersen.

Daneben spielen Wechseljahre, Schilddrüsenerkrankungen und vieles andere eine Rolle, und natürlich auch psychische Faktoren wie das bekannte „Frustessen“, bei dem man schlechte Gefühle mit Essen auszugleichen versucht.

Speziell Frauen betroffen

Frauen sind besonders betroffen: Sind sie adipös, steigt ihr Risiko für Depressionen um das Dreifache. Auch hierfür gibt es verschiedene Gründe.

„Frauen haben für viele psychische Erkrankungen ein doppelt so hohes Risiko wie Männer“, so Alexander Kautzky. Wenn Frauen adipös sind, steigt dieses Risiko nochmals an. Adipositas beeinflusst nämlich den schützenden Effekt von weiblichen Sexualhormonen, ähnlich wie in den Wechseljahren oder während einer Schwangerschaft sind Frauen dann anfälliger für Depressionen.

„Andererseits liegt auf Frauen ein viel höherer gesellschaftlicher Druck, gut auszusehen, auch das kann ein Grund für Depressionen bei Adipositas sein“, so Kautzky.

Weg aus der Negativ-Spirale

„Ich würde sagen, eins der ersten Dinge ist, dass man aufklärt, und zwar darüber, dass Adipositas eine Erkrankung ist. Das nimmt einem die Schuld an der Krankheit“, meint Barbara Andersen.

Anknüpfen an frühere Hobbies und Leidenschaften sind ein Weg aus dem Teufelskreis Adipositas und Depression, doch das gelinge nur, so Andersen, wenn Betroffenen die Scham vor dem Körper genommen und Adipositas als Krankheit und nicht mehr als persönliches Versagen wahrgenommen werde. Damit das auch gesellschaftlich passiere, fordert die Österreichische Adipositas Allianz bereits seit langem, Adipositas auch offiziell als chronische Krankheit anzuerkennen. Denn das sei auch bei vielen Ärzten immer noch nicht angekommen, hier brauche es mehr Aufklärung, warnt Barbara Andersen.