Die Häuser, in denen wir wohnen, die Möbel, auf denen wir sitzen, die Kleidung, die wir tragen – das moderne Leben basiert auf der menschlichen Fähigkeit, die Welt zu vermessen und sich die Dinge passend zu machen. Viele technische Entwicklungen wären ohne Messungen nicht denkbar. Heute werden für die Vermessung weltweit überwiegend metrische Systeme genutzt, mit dem Meter als Basiseinheit. Das erleichtert den internationalen Austausch, außerdem ist das Dezimalsystem rechnerisch einfach zu handhaben.
Als es noch keine derartigen überregionalen Systeme gab, hat man sich am menschlichen Körper orientiert, um räumliche Dimensionen zu erfassen. So entstanden Maßeinheiten, die einen körperlichen Bezugspunkt hatten. Ein bekanntes Beispiel ist die Elle. Vorbild dafür ist die Länge des menschlichen Unterarms, vom Ellbogen bis zur Spitze des Mittelfingers. Die Einheit wurde schon in Mesopotamien verwendet und im Alten Ägypten gab es die Königselle. Andere sehr bekannte Maße sind der Fuß und die Handspanne.
Weltweite Sammlung
Für die soeben im Fachmagazin „Science“ erschienene Studie hat das Team um Roope O. Kaaronen von der Universität Helsinki nun am Körper orientierte Maße aus 186 heutigen und vergangenen Kulturen verglichen und beschrieben sowie ihre praktische Anwendung analysiert. Die Daten stammen aus den Human Relations Area Files, dafür wird von einer internationalen Non-Profit-Organisation seit den 1950ern ethnographisches Material gesammelt. Standardisierte Formen wie das britische „foot“ bzw. „feet“ wurden nicht in die Analyse inkludiert.
Laut den Forschern haben sich viele alte Messmethoden lange parallel zu den neuen Standards gehalten, manche bis in 20. Jahrhundert, einige sogar bis heute. Womöglich sind die „Körpermaße“ für bestimmte Anwendungen einfach praktischer, so eine Mutmaßung des Teams. Vermutlich haben sie sich deswegen auch an vielen Orten unabhängig voneinander entwickelt und etablieren können.
Weltweit am häufigsten sind Maße, die sich auf die Armspanne – in unserem Breiten entsprach das dem Klafter -, die Handspanne und den Unterarm beziehen. Neben den am Körper orientierten Längenmaßen stießen die Forscher auch auf Maße, die sich auf körperliche Aktivitäten beziehen: etwa ein Tagesmarsch für eine bestimmte Entfernung oder ein „Pflügtag“ für ein bestimmte Fläche.
Praktische Anwendung
Verwendet werden die „Körpermaße“ meist für sehr spezifische Anwendungen, besonders für die Konstruktion von Gebrauchsgegenständen. Als Beispiel nennen die Forscher etwa die Kajaks der Yup’ik, ein Volk in Alaska. Zur Konstruktion des Paddelboots haben sich letztere im 19. Jahrhundert am Körper orientiert: Für die Länge nahmen sie zweieinhalb mal die Armspanne plus eine Unterarmlänge mit einer zur Faust geballten Hand.
Auch beim Skidesign – insbesondere bei der Länge – orientiert man sich vielerorts bis heute am Körper der Besitzer. Ein historisches Beispiel, das in der Studie genannt, ist das finno-ugrische Volk der Karelier: Eine Armspanne plus sechs Handspannen galten dort im frühen 20. Jahrhundert als optimale Skilänge. Auch für Waffen wie Pfeil und Bogen sowie für Kleidung dient der Körper häufig als Maßstab für den Entwurf.
Ergonomisch und praktisch
Wie die Forscher ausführen, sind „Körpermaße“ für ein ergonomisches Design oft viel geeigneter als abstrakte Maßeinheiten. Denn so sind die Gebrauchsgegenstände wirklich für die Person gemacht, die sie später auch benutzen wird.
Außerdem sei es im Alltag recht praktisch, damit zu arbeiten – unter anderem weil der Körper immer zur Hand und für manchen Anwendungen weniger sperrig ist. Um etwa die Länge bzw. Größe von Seilen und Fischernetzen zu vermessen, sei es viel einfacher mit Armspannen zu arbeiten, als sich mit einem Zollstab abzumühen.
Gobalisierung braucht Standards
Laut den Forschern könnten diese Vorteile erklären, warum man sich manchmal bis heute an körperlichen Maßstäben orientiert – fast fünf Jahrtausende nachdem es die ersten standardisierten Systeme gab.
Der Druck zur Standardisierung sei aber zunehmend größer geworden, je größer und vernetzter die Staaten und Gesellschaften wurden. Besonders für die heutige globale Wirtschaft und die Industrie sind ungenaue Faustregeln nicht brauchbar. Sie profitiert von überregionalen Standards, ohne die eine Massenproduktion nicht denkbar wäre. Wie Kaaronen und Co. abschließend schreiben, seien traditionelle Messsysteme daher zunehmend in Gefahr, obwohl sie für viele Dinge so praktisch sind.