Wissenschaftskommunikator und Autor Martin Kugler vom Austrian Institute of Technology (AIT) hat in dem Jahrbuch Beiträge von Expertinnen und Experten gesammelt, die aktuelle Entwicklungstrends und Möglichkeiten zur Gestaltung die „Twin Transition“ beleuchten.
Planung und ihre Grenzen
Innovationsforscher Matthias Weber vom AIT glaubt nicht, dass man Transformationsprozesse gezielt und im Detail steuern kann. Denn sie seien viel zu komplex, es könnten viel zu starke unerwartete, nichtlineare Entwicklungen auftreten, und durch neue Technologien und Innovation würden sich völlig neue Möglichkeiten eröffnen, die zu Beginn des Prozesses nicht einmal zu erahnen waren.
„Mit einem planerischen Zugang stößt man dabei schnell an Grenzen, erforderlich wäre eine offenere Form der Steuerung, eine rahmensetzende, korrigierende Steuerung unter Einbindung der Betroffenen“, sagte Weber. Notwendig sei dabei eine „gewisse Offenheit, ohne allen Entwicklungen sämtliche Möglichkeiten aufzumachen“.
Beispiel Verkehr
Auch die AIT-Mobilitätsforscherin Alexandra Millonig plädierte bei der Transformation des „Sorgenkinds Verkehr“ für diese Offenheit, man müsse dabei über Systemgrenzen hinausdenken. Seit 30 Jahren versuche man Änderungen im Verkehrsbereich zu erzielen, „aber bisherige Lösungsansätze haben nicht funktioniert“.
Es habe viele technologische Entwicklungen gegeben, „aber wir haben die Rechnung ohne Wirt gemacht, nämlich das menschliche Verhalten“. Wenn Motoren effizienter werden und weniger Sprit verbrauchen, würden größere Autos gekauft, wenn Verkehrssysteme schneller und die Reichweite vergrößert werden, würden immer größere Distanzen zurückgelegt, etwa um einzukaufen.
Die Lösung liegt für Millonig darin, das System nicht zu eng zu sehen, etwa auch den Alltag mit zu berücksichtigen und zu schauen, wie und warum wir unterwegs sind. „Es geht nicht darum zu verbessern, wie ich von A nach B komme, sondern zu schauen, warum muss ich überhaupt nach B“, so die Expertin.
Es sei sehr schwierig, dieses über Jahrzehnte aufgebaute System zurückzuführen, aber nicht unmöglich. Es gehe darum, die Abhängigkeit von der Motorisierung zu reduzieren, also Dinge erreichbarer zu machen, damit nicht so lange Distanzen zurückgelegt werden müssen. Investiert werden sollte deshalb nicht in Verkehrssysteme, „sondern in die Verteilung von Einrichtungen, damit die besser erreichbar werden“.
Androsch gegen Deindustrialisierung Europas …
Für den Industriellen und ehemaligen AIT-Aufsichtsratschef Hannes Androsch sind die „Twin Transition“ „sehr unterschiedliche Zwillinge“: Das eine sei eine Defensivmaßnahme, beim anderen handle es sich um neue Technologien. „In einem Fall braucht es globales Handeln und ein Mindestmaß der Zusammenarbeit der wichtigsten Player, wovon wir weit entfernt sind. Im anderen Fall geht es darum, die Chancen neuer Möglichkeiten zu nutzen und die beträchtlichen Gefahren einzuhegen“, so Androsch.
Voraussetzung für die Gestaltung sind für Androsch eine gesunde Wirtschaft und neue Technologien, die auch umgesetzt werden müssten. „Dafür brauchen wir Industrie, die – Stichwort Deindustrialiserung – nicht blindwütig zerstört werden darf. Da sind wir in Europa auf einem schlechten Weg.“
… und für Ausgleichszahlungen
Androsch sieht ein globales Verteilungsproblem: „Die westlichen Industriestaaten haben seit Mitte des 18. Jahrhunderts die planetare Allmende (Gemeingut, Anm.) überbeansprucht.“ Sie seien bis auf einige löbliche Ausnahmen, zu denen Österreich nicht gehöre, nicht sehr weit beim Kurswechsel, würden aber von jenen, die weit hinten liegen, Einsparungen verlangen. „Das ergibt ein unglaubliches Spannungsverhältnis und machtpolitische Rivalitäten“, weshalb Androsch Ausgleichszahlungen für notwendig hält. „Was wir bisher als Entwicklungshilfe almosenhaft gegeben haben, war sicher nicht die Lösung.“