Randgänge des Denkens

Mythos und Metapher - das waren die bestimmenden Themen im Werk von Hans Blumenberg. Der deutsche Philosoph liebte das Abseitige und Periphere, seine Randgänge des Denkens bleiben bis heute aktuell. Am 28. März jährte sich sein Todestag zum 20. Mal.

Blumenbergs Oeuvre kann als Patchwork von Erzählungen angesehen werden. Die Vorliebe für periphere Themen der Philosophie und für die Erzählungen teilte Blumenberg mit postmodernen Philosophen wie Jacques Derrida und Jean-François Lyotard. Blumenberg errichtete kein pyramidales Gebäude der Philosophie, sondern ein Rhizom - ein Wurzelgeflecht von Erzählungen, die das komplexe Gefüge der Welt - „das Zwiebelschalenuniversum“ beschreiben.

Den Menschen vergleicht Blumenberg mit einem winzigen Punkt im Kosmos. Um diese „absolute Wirklichkeit“ erträglich zu machen, wurde in der Frühzeit der Menschheit der Mythos erfunden; er sollte das maßlose Entsetzen angesichts der unheimlichen, fremden, namenlosen Realität mildern. Durch den Mythos wurde die Welt freundlicher, postulierte Blumenberg; das Gefühl des Vertrauten, Heimatlichen stellte sich ein; Angst- und Ohnmachtsgefühle wurden eingedämmt.

Biografie

Geboren wurde Hans Blumenberg am 13. Juli 1920 in Lübeck. 1939 begann er ein Studium an der Erzbischöflichen Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn. Wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter musste er das an Studium abbrechen und wurde zum Arbeitsdienst eingezogen. Nach dem Krieg beendete Hans Blumenberg das Studium der Philosophie, Germanistik und Klassischen Philologie in Hamburg, promovierte und habilitierte sich in Kiel. Ab 1960 lehrte er als ordentlicher Professor in Gießen, Bochum und bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1985 in Münster.

Blumenbergs Rückzug aus der Betriebsamkeit des universitären Alltags führte ihn in die Höhle der Gelehrsamkeit seiner Wohnung in Münster, wo er in intensiver Nachtarbeit an seinen umfangreichen Studien arbeitete. Blumenberg entzog sich weitgehend der Öffentlichkeit; so gibt es - im Zeitalter der Bilderflut wohl ein einzigartiges Paradox - kaum Photos, keine Interviews und nur wenige Tondokumente. Am 28. März 1996 starb Blumenberg an einem Herzinfarkt.

Publikationen von Hans Blumenberg

Arbeit am Mythos, Suhrkamp Verlag
Paradigmen zu einer Metapherologie. Mit einem ausführlichen Kommentar von Anselm Haverkamp, Suhrkamp Verlag
Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Bibliothek Suhrkamp, Band 1263
Höhlenausgänge; suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 1300
Die Legitimität der Neuzeit, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 1268
Die Genesis der kopernikanischen Welt, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 352
Das Lachen der Thrakerin, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Band 652
Hans Blumenberg/Jacob Taubes: Briefwechsel 1961 - 1981, Suhrkamp Verlag

Der Mythos

In seinem 1979 erschienenen Monumentalwerk „Arbeit am Mythos“ entwarf Blumenberg die Genese der mythischen Weltsicht, die sich nicht- wie es häufig von Philosophen gefordert wurde - in ein logisches Begriffskorsett übertragen und einzwängen lässt. Der Mythos, der „zum Unbestimmtesten der philosophischen Tradition gehört“, wie der Ethnologe Claude Lévi-Strauss bemerkte, fungiert dabei als Gegenspieler der instrumentellen Vernunft, weil er andere Darstellungen der Wirklichkeit ermöglicht.

Die Vorstellung, der philosophische Logos habe den vorphilosophischen Mythos überwunden, hat uns die Sicht auf den Umfang der philosophischen Terminologie verengt; neben dem Begriff im strengen Sinne gibt es ein weites Feld mythischer Transformationen, die sich in einer vielgestaltigen Metaphorik niedergeschlagen haben.

Dieses Vorfeld des Begriffs ist in seinem ‚Aggregatszustand‘ plastischer, sensibler für das Unausdrückliche, weniger beherrscht durch fixierte Traditionsformen. Hier hat sich oft Ausdruck verschafft, was in der starren Architektonik der Systeme kein Medium fand. (Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit)

Die Metapher

Neben der „Arbeit am Mythos“ befasste sich Blumenberg vornehmlich mit Studien der Metaphorologie. In der antiken Tradition hatte erstmals Aristoteles die Metapher definiert: Sie ist die Übertragung eines fremden Wortes und liegt dann vor, „wenn die Bezeichnung für eine Sache auf eine andere übertragen wird“. Weitaus anschaulicher klingt die Definition des römischen Rhetorikers Quintilian: „Die Metapher wirkt so erfrischend und strahlend, dass sie ein eigenes Licht verbreitet.“

Diese positive Bewertung der Metapher wurde von den Philosophen keineswegs geteilt. Sie wiesen der Metapher - ähnlich wie dem Mythos - einen geringen Stellenwert im Vorfeld der Begriffsbildung zu. Die Eigenschaft des Metaphorischen, sich nicht in das logische Begriffsdenken übersetzen zu lassen, war für die traditionelle Philosophie eine skandalöse Sichtweise.

Blumenberg interessierte sich weniger für die Wortübertragungen, sondern für sprachliche Bilder, die in der Philosophie -und Kulturgeschichte eine wesentliche Rolle gespielt haben. Er betonte die Eigenbedeutung der Metapher und verlieh einigen Leitmetaphern den Rang des Absoluten. „Absolute Metaphern geben einer Welt Struktur; sie repräsentieren das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“, schrieb Blumenberg in seinem Werk „Paradigmen zu einer Metapherologie“.

Ausfahrt ins Ungewisse

Ein Beispiel für absolute Metaphern - als spezifische Sichtweisen der Welt - ist die Schifffahrt, die seit der Antike als Inbegriff der Ausfahrt ins Ungewisse angesehen wird. Das dramatische Auf- und Ab des menschlichen Daseins wird mit einer riskanten Seefahrt verglichen, die stets von der Gefahr des Schiffsbruchs bedroht wird.

Der französische Schriftsteller Arthur Rimbaud beschrieb in seinem Gedicht „Le Bateau ivre“ / „Das trunkene Schiff“ solch ein Scheitern eines experimentellen Lebens, das sich zu weit von den sicheren Ufern des Hafens entfernt hatte:

Wen du umschmiegt hast, Woge, um den ist es geschehen,/der zieht nicht hinter Frachtern und Baumwollträgern her!/Nie komm ich da vorüber, wo sich die Fahnen blähen,/und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr!

Die Höhle

Eine andere, „absolute Metapher“ hat Blumenberg in seinem über 800 Seiten umfassenden Opus magnum „Höhlenausgänge“ thematisiert: Hier steht die Höhle im Mittelpunkt von mäandernden Reflexionen, die um die unterschiedlichen Funktionen der Höhle kreisen.

Die Höhle bietet Sicherheit und Schutz für die Menschen; sie hat den Charakter „des Umhüllenden“, „Umgebenden“ und „Hegenden“. Inmitten einer feindlichen Umwelt ist die Höhle eine „Stätte der Geborgenheit“, in die sich die Menschen zurückziehen können. Sie dient als „Zufluchtsort“, als „Notunterkunft“ und bietet eine Entlastung von der brutalen Wirklichkeit, die außerhalb der Höhle als anonyme Macht vorherrscht.

Die Höhle fungiert auch als Entstehungsort von Erzählungen und Geschichten. Diejenigen, die sich nicht an der Jagd und am Überlebenskampf, der außerhalb der Höhle stattfand, beteiligten, leisteten Kompensationsarbeit. Ihre Aufgabe war es - so Blumenberg - Geschichten zu erfinden und die Abenteuer derjenigen zu verklären, die für den Lebensunterhalt der Höhlenbewohner sorgten.

Die Höhle war also der Raum der Muße. Abgetrennt von der gefährlichen Außenwelt, entstand eine community der Erzähler, Dichter und Sänger. Mit dieser Aufteilung der Funktionen begann die Dichotomie der Hand-und Kopfarbeit, die bis heute die abendländische Kultur geprägt hat.

In der Substruktur des Denkens

In der philosophischen Tradition des Abendlandes wurde die Höhle nicht immer positiv gesehen. Für Platon stellte die Höhle den Aufenthaltsort von unmündigen Menschen dar, die sich an den Inszenierungen von Schattenbildern erfreuen, die ihnen in der Höhle geboten werden.

Laut Platon leben sie in der künstlichen Welt der Doxa - jene Meinung, die mit der Realität außerhalb der Höhle wenig zu tun hat. Theodor W. Adorno sprach in diesem Zusammenhang von einer präparierten Wirklichkeit, von einem „Verblendungszusammenhang“, der den Troglodyten ein „glückliches Bewusstsein“ vermittelt.

Blumenbergs philosophische Leistung besteht darin, dass er versucht hat, „an die Substruktur des Denkens heranzukommen“; also jene Bereiche aufzusuchen, in denen das „Ich denke“ nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Damit hat Blumenberg - ähnlich wie Sigmund Freud - die traditionelle Philosophie revolutioniert und erweitert.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft

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