Gegen Geschichtsschizophrenie und Moralismus

Braucht Österreich ein „Haus der Geschichte“? Darüber wird heute bei einer Enquete in Wien diskutiert. Einer der Teilnehmer ist der Historiker Michael Hochedlinger. Vorab zeigt er sich skeptisch. Er befürchtet, dass das geplante Museum am Wiener Heldenplatz in einen „Moralismus“ verfallen könnte.

Vor allem aber ortet er in einem science.ORF.at-Gastbeitrag eine „Geschichtsschizophrenie“, bei der die lange Geschichte vor der Gründung der Republik ausgespart wird.

Hilfswissenschaft des Moralismus?

Von Michael Hochedlinger

Die Freude des öffentlichkeitsentwöhnten Historikers über die neue „Wertschätzung“ der Geschichte in Politik und Gesellschaft wird getrübt durch den Verdacht, dass die Disziplin (wieder einmal) außerwissenschaftlichen Zwecken dienen soll: der moralpädagogischen Zurichtung und Belehrung des (Staats-)Bürgers, der doch nur Konsument sein möchte. Geschichte kehrt also in den öffentlichen Raum zurück als „Hilfswissenschaft“ eines gesamtgesellschaftlich beherrschend gewordenen Moralismus und Humanitarismus.

Portrait von Michael Hochedlinger

Böhlau Verlag

Michael Hochedlinger ist Archivar und Historiker am Österreichischen Staatsarchiv. Sein Gastbeitrag ist eine persönliche Meinungsäußerung und steht in keiner Beziehung zu seiner dienstlichen Stellung am Staatsarchiv.

In Deutschland und Österreich ist Geschichte aus naheliegenden Gründen weitgehend gleichbedeutend mit Zeitgeschichte. Dies bedingt nicht nur eine bedauerliche Verengung des Zeithorizonts und somit eine echte historische Verarmung; die Belastung, ja Traumatisierung durch die jüngere Vergangenheit hat sich in unseren Breiten vielmehr längst auf die Beschäftigung mit Geschichte insgesamt übertragen. Von einer „Hitlerisierung der Geschichte“ (Pascal Bruckner) war berechtigterweise die Rede.

„Hehre Traditionen“ und der angestammte „Wertekanon“ wurden durch den Nationalsozialismus besudelt und fortgespült; „68er Revolte“ und Konsumerismus haben den Rest erledigt. Dem heutigen Betrachter und leider auch vielen Historikern fehlt daher (ganz abgesehen vom handwerklichen Rüstzeug) das Koordinatensystem für die adäquate Entschlüsselung weiter zurückliegender Zeitepochen, für die hier eine Lanze gebrochen werden soll.

Eine Zeit „aus sich selbst heraus“ zu verstehen ist so natürlich nicht möglich. Im Gegenteil: Fachhistoriker wie Laien erliegen immer häufiger der Versuchung, heutige Wertvorstellungen auf die Vergangenheit zu projizieren, ungehemmter, manchmal aggressiver „Anachronismus“, die Todsünde des Historikers, und ein unwissenschaftlicher Drang zu Werturteilen sind die Folge. Schuldsuche und Anklage erreichen mittlerweile auch die entferntesten Winkel der Vergangenheit. Von der „guten alten Zeit“ spricht längst niemand mehr!

Chronologische Scheuklappen

Vor diesem Hintergrund hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch die Einstellung zur Geschichte Österreichs vor 1918 deutlich geändert. Touristisch weiterhin in einem unappetitlich klebrigen Zuckerguss ertränkt und obsessiv verkitscht, zählt die Habsburgermonarchie offensichtlich nicht mehr zu unserem eigentlichen historischen Erbe.

Angesichts des omnipräsenten Kulturerbes der Großmachtzeit, einer sichtbar überdimensionierten Kulisse, muss diese „Verdrängung“ eine Art alpenrepublikanische „Geschichtsschizophrenie“ erzeugen, die auch das Projekt „Haus der Geschichte“ befallen kann – inhaltlich und baulich. Bleibt man in der Substanz bloßes „Republikmuseum“, was den identitätspolitischen Absichten entsprechen dürfte und durchaus nicht ohne Berechtigung ist, so scheint zum einen die vereinnahmende Bezeichnung „Haus der Geschichte“ kaum gerechtfertigt.

Zum anderen drohen die kitschig-imperialen Räume der Neuen Hofburg jede reine Zeitgeschichteschau regelrecht zu „verzwergen“. Die inszenatorische Öffnung „des Balkons“ wieder weckt die Befürchtung, hier könnte die Reise in die Vergangenheit am Ende Aspekte einer sensationsheischenden Geisterbahnfahrt annehmen.

Viel Museum – wenig Inhalt

Mit der gegenwärtig modischen „Gedächtnis- und Erinnerungsgeschichte“ findet Geschichte Anschluss an die „Gesellschaft des Spektakels“. Zu dieser gehören insbesondere auch unsere Museen oder besser: Ausstellungshallen. Sie sind keine „Musentempel“ oder gar „Lernorte“ mehr, sondern meist Bühnen einer gefährlich oberflächlichen Eventkultur, auf denen es in erster Linie um wirtschaftlich messbaren Erfolg (Besucherzahlen!) geht. Der Kulturturbokapitalismus hat seinen Preis.

Die inhaltlichen Planungen zum „Haus der Geschichte“ sind derzeit noch relativ unkonkrete Absichtserklärungen. Die entscheidende Frage wird sein, ob sie informativ und didaktisch ausgereift umgesetzt werden können. Lässt man die historischen Ausstellungen der letzten Jahre Revue passieren, besteht allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Ausstellungsmacher begnügen sich üblicherweise mit vordergründiger „Inszenierung“, die an Architekten und Planungsbüros ausgelagert wird, und vernachlässigen sträflich die Vermittlung von Information und Zusammenhängen; sie „fetischisieren“ Objekte und wollen sie (in Wahrheit wohl aus schierem Zeitmangel) kontextlos „für sich sprechen lassen“.

Eine historische Ausstellung ist aber keine Kunstausstellung. Die Erarbeitung eines handfesten Ausstellungskonzepts für das „Haus der Geschichte“ wäre ein willkommener Testfall, um eine ebenso selbstgefällige wie undidaktische Ausstellungspraxis endlich zugunsten wirksamer Vermittlungsstrategien zu verabschieden. Der vielgerühmte Einsatz moderner Technik sollte sich nicht in banaler audiovisueller Dauerberieselung erschöpfen.

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