Nobelpreisträger Walter Kohn gestorben

Der aus Österreich stammende Physiker und Chemienobelpreisträger Walter Kohn ist nach Angaben der University of California am Dienstag im Alter von 93 Jahren in Santa Barbara gestorben.

Der 1939 vor den Nazis aus Österreich geflüchtete jüdische Wissenschaftler war 1998 für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Mit dem Gewinn des Chemienobelpreises rief er Österreich als Erster den Verlust wissenschaftlicher Exzellenz durch den Nationalsozialismus ins Gedächtnis.

Kohn war seit 1957 amerikanischer Staatsbürger. Er engagierte sich unter anderem für zahlreiche jüdische Projekte wie etwa die Etablierung eines Programms für jüdische Studien an der University of California und trat im Rahmen der Pugwash-Bewegung gegen die Vereinnahmung wissenschaftlicher Erkenntnisse für militärische Zwecke und Atomwaffen ein.

„Enemy Alien“

Kohn wurde am 9. März 1923 als Sohn des Inhabers des Postkartenverlags Brüder Kohn in Wien geboren. Er besuchte fünf Jahre lang das Akademische Gymnasium, bevor er im April 1938 ins Jüdische Gymnasium „umgeschult“ wurde. Dort weckten zwei Lehrer seine Leidenschaft für Physik und Mathematik - am Akademischen Gymnasium war noch Latein sein Lieblingsfach gewesen.

1939 - drei Wochen vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges - gelang Kohn gemeinsam mit seiner Schwester Minna mit einem Kindertransport die Flucht nach Großbritannien, von wo aus er als „Enemy Alien“ nach Kanada gebracht wurde. Zwei Jahre später kämpfte er für Kanada mit den Alliierten. Seine Eltern Salomon und Gittl Kohn blieben in Wien und kamen später im KZ Auschwitz unter nicht geklärten Umständen ums Leben.

„Falscher“ Nobelpreis

Seine wissenschaftliche Karriere startete Kohn 1945 an der University of Toronto, wo er zunächst seinen Bachelor in Mathematik und Physik machte und später einen Masterabschluss in Angewandter Mathematik anschloss. Das Chemiegebäude, wo auch militärische Forschung betrieben wurde, durfte der spätere Chemienobelpreisträger aufgrund seiner damals deutschen Staatsbürgerschaft nicht betreten.

Sein Doktorat in Theoretischer Physik absolvierte Kohn bereits in Harvard. Seine weitere wissenschaftliche Laufbahn führte ihn unter anderem an die Carnegie Mellon University in Pittsburgh, nach Kopenhagen, Paris, San Diego und schließlich nach Santa Barbara, wo er von 1979 bis 1984 der erste Direktor des Institute for Theoretical Physics an der University of California at Santa Barbara war. An dieser Hochschule war der emeritierte Professor später auch als Research Professor tätig.

Audio: Walter Kohn zur Linie zwischen Chemie und Physik, 2013

Den Chemienobelpreis erhielt Kohn 1998 für die Entwicklung der Dichtefunktionaltheorie (DFT), deren Grundlagen er später in seinen Arbeiten zur elektronischen Struktur von Legierungen zu Beginn der 1960er Jahre sah. Grob gesprochen handelt es sich bei der DFT um ein Näherungsverfahren, das auf atomarem Niveau beschreibt, was in Festkörpern und Molekülen vor sich geht.

Mit seinen Arbeiten habe es der Physiker ermöglicht, das Wissen über die Naturgesetze, nach denen chemische Reaktionen ablaufen, auch praktisch zu nutzen, begründete die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm die Nobelpreisvergabe an Kohn. Dass er als Physiker mit dem „falschen“ Nobelpreis ausgezeichnet wurde, grämte ihn nicht: „Also, das war nie ein Problem“, meinte er.

Ambivalentes Verhältnis

Nach der Nobelpreisvergabe wurde Kohn auch in Österreich mit zahlreichen Ehrungen bedacht. 1999 wurde er etwa mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, 2009 mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ausgezeichnet. 2011 wurde der Forscher, der seit 1963 Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und seit 1969 der National Academy of Sciences war, auch Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), 2012 erhielt er das Ehrendoktorat der Universität Wien.

Audio: Walter Kohn zu Wien, 2013

Zu Österreich hatte Kohn nach wie vor ein ambivalentes Verhältnis. „Reparation ist unmöglich“, betonte er in einem APA-Interview im Dezember 2012. „Ich spreche nicht von Reparation für mich, ich schulde Österreich etwas. Ich habe etwa im Akademischen Gymnasium eine ausgezeichnete Erziehung gehabt. Aber meine Eltern wurden von hier verschleppt und in Auschwitz ermordet - das kann und soll man nicht reparieren“, sagte Kohn und sprach vom Antisemitismus als „furchtbarem Gift“.

science.ORF.at/APA

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