Wie subversiv Disneys Hexen sind

Unschuldige Prinzessinnen gegen Hexen und böse Schwiegermütter: „Disney“-Filme galten lange als Musterbeispiele konservativer Frauenbilder. In den vergangenen Jahren hat sich das geändert – wie subversiv man Disney lesen kann, beschreibt die Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl in einem Gastbeitrag.

2014 fügte Disney dem Klassiker “Sleeping Beauty“ (1959; dt. „Dornröschen“) ein Postskriptum hinzu und verfilmte die Geschichte neu – diesmal aus der Perspektive der bis dato bösen Fee Maleficent (Malefiz). Auf diesem Wege wird sie von einer eindimensional bösen Figur zu einem komplexe(re)n Charakter, dessen Geschichte und Beweggründe dargelegt werden. Maleficent ist nun also kein bloßes Monster mehr, sondern befindet sich in der Grauzone zwischen Bösewichtin und Heldin.

Porträtfoto der Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl

IFK

Die Autorin

Beatrice Frasl ist Doktorandin an der Universität Wien, arbeitet im Bereich Gender/Queer Studies und Cultural Studies und ist derzeit Junior Fellow am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Kunstuniversität Linz. Sie schloss ihr Diplomstudium Anglistik und Amerikanistik 2013 mit einer Diplomarbeit zum Fernsehcartoon „SpongeBob SquarePants“ ab. In ihrem Dissertationsprojekt vertieft sie ihre Arbeit im Bereich Animationsfilme und Queer-Theorie und schreibt zu Konstruktionen von Gender, Sexualität und Otherness sowie der Funktion heteronormativer Narrative in Disney-Filmen.

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Monströse Weiblichkeit

Das ist bemerkenswert, denn das monströse Weibliche war bei Disney lange Sammelbecken verworfener Inhalte. Vor dem Hintergrund feministischer Theorie ist dies nicht weiter verwunderlich. Schon Simone de Beauvoir führte 1950 in Le Deuxième Sexe aus, dass in phallogozentrischen Zeichensystemen „Frau“ als Signifikant absoluter Andersheit fungiert, in welchen sowohl Wünsche und Ideale, aber auch Ängste eingeschrieben werden, die aus dem rationalen, erwachsenen, männlichen Subjekt verbannt und auf dieses Andere projiziert werden.

So entstehen zum einen idealisierte und überhöhte und zum anderen monströse und angstbesetzte Frauenfiguren. Beide sind patriarchale Konstruktionen, welche „Frau“ die Komplexitäten von Subjekt und Person absprechen und sie zur Projektionsfläche machen. Julia Kristeva wiederum erörterte in “Powers of Horror“ mit Hilfe des psychoanalytischen Abjektbegriffes die Festschreibung weiblicher Körperlichkeit als monströs.

Abjekt ist hier zum einen körperlich Ausgeschiedenes, zum anderen in der Subjektwerdung des Individuums als Vorbedingung intelligibler Subjektivität und Sozialität psychisch Verworfenes. Die Begegnung mit dem Abjekten ist von Schrecken oder Ekel, aber auch Faszination und Begehren geprägt. Wie bei Beauvoir ist bei Kristeva also patriarchale Konstruktion von Weiblichkeit ein dichotomes Phantasma.

Dichotome Weiblichkeitskonstruktionen

Diese phantasmatische Konstruktion findet sich auch in zahlreichen Disneyfilmen, allen voran in jenen aus Walt Disneys Wirkphase (1937-1967). Meist steht die schöne, junge, passive Prinzessin der alten, mächtigen, aktiven Hexe gegenüber. Während erstere Hoffnungen eines heteronormativen Fortschritts- und Fortpflanzungsparadigmas in sich versammelt, ist zweitere auch deshalb böse, weil sie sich gegen eben jenen reproduktiven Futurismus wendet, und als Antagonistin die heteroromantische Erfüllung der Protagonist_innen zu vereiteln sucht.

Mächtige Weiblichkeit wurde in Disney-Filmen bis vor Kurzem also lediglich als Negativum dargestellt. Dies macht zwar subversive Räume auf, da die weibliche Machtfigur Ordnung und Normen destabilisierend entgegen wirkt, es schreibt aber auch die misogyne Erzählung des monströsen Weiblichen fort.

Die Wiederkehr des Verdrängten

Was, wenn dieses verworfene Weibliche, die Bösewichtin, als Heldin zurückkehrt und ihre Geschichte erzählt? Diese Frage wird in Filmen wie „Maleficent“ (dt. „Die dunkle Fee“) – in Ansätzen – beantwortet. Der Film, der mit dem Satz „Let us tell an old story anew and we will see how well you know it“ beginnt, ist aber nicht nur eine Neuerzählung von „Sleeping Beauty“, sondern eine Subversion.

Die Geschichte nimmt die Perspektive des verworfenen Weiblichen ein, der bösen Fee Maleficent. Dies stellt die patriarchale Logik des Disney’schen „Originals“ auf den Kopf. Anders als frühe Disneyproduktionen erzählt der Film nicht primär eine heteroromantische Liebesgeschichte, sondern die Geschichte einer platonischen Liebe zwischen zwei Frauen. Der „Kuss der wahren Liebe“ ist, wie auch schon in „Frozen“ (dt. „Die Eiskönigin“), ein Kuss zwischen zwei weiblichen Figuren.

Die Schauspielerin Angelina Jolie im Vordergrund, dahinter eine Einblendung des Films Maleficent, in dem sie eine böse Fee spielt

Weng lei - Imaginechina

Angelina Jolie vor dem Plakat zum Film „Maleficent“, in dem sie die Hauptrolle spielt

Zudem, und auch das ist neu für Disneyfilme, findet sich in „Maleficent“ eine positive stiefmütterliche Figur, denn im Laufe der Geschichte entwickelt sich eine Freundschaft zwischen Aurora und Maleficent und letztere nimmt ersterer gegenüber eine mütterliche Rolle ein. „Maleficent“ ist zum einen mit dem Schulterschluss zwischen der bösen Fee und der guten Prinzessin und zum anderen in der Figur der Maleficent selbst eine Geschichte der Versöhnung zweier Weiblichkeitskonstruktionen, welche von Disneynarrativen bisher als nicht vereinbar, gegensätzlich und gegnerisch festgeschrieben wurden.

„Not quite as you were told“

Anders als Disney-Filme der 1990er folgt „Maleficent“ aber keinem postfeministischen Empowerment-Narrativ, das Emanzipation zu einer individuellen Verantwortung macht. Aurora und Maleficent, und damit zwei als einander ausschließend konstruierte Weiblichkeiten, treten gemeinsam gegen die dargestellte gewaltvolle Herrschaft auf. Eine Herrschaft, welche, daran lässt „Maleficent“ keinen Zweifel, seine Repräsentanten korrumpiert.

In einer besonders eindrücklichen Szene, welche ihren Wandel zur dunklen Fee begründet schneidet ihr der wichtigste und oberste Vertreter desselbigen, der zukünftige König, nach der Verabreichung eines Schlaftrunkes die Flügel ab - es ist dies eine symbolische Vergewaltigungsszene. In der Folge übt Maleficent, gemeinsam mit Aurora, Rache an ihm.

Das unterdrückte Weibliche kehrt also zurück und die alte Dichotomisierung des Weiblichen wird aufgehoben. Dieses Mal ist Frau aber nicht mehr bloße Projektionsfläche in monströser Form, sondern sie spricht. Und: die „böse“ Frau kehrt Seite an Seite mit der „guten“ Frau zurück. Gemeinsam besiegen sie König Stefan, den Repräsentanten eines patriarchalen Systems.

„The story is not quite as you were told“, sagt Aurora am Ende des Filmes und das wirft die Frage auf, ob dies nur für diesen Film gilt, oder für alle Disney-Filme oder grundsätzlich für Narrative, die aus patriarchaler Sicht über Frauen und ihre fiktionalen Repräsentationen konstruiert werden. Diesen gilt das, was auch Maleficent dem König entgegenschmettert: „You are no king to me!“

Schade, dass Walt dies nicht mehr sieht.

Beatrice Frasl, IFK

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