Runde Sache - Migration im Fußball

In Deutschland wird die Kritik des AfD-Politikers Alexander Gauland am deutschen Spieler Jerome Boateng heftig diskutiert. Auch in Österreich äußerten in der Vergangenheit Politiker Zweifel, dass Spieler mit Migrationshintergrund die Nation vertreten können.

Seit den 1920er Jahren spielten Fußballer aus verschiedensten Ländern in Österreich. Korkmaz, Arnautovic, Dragovic, Junuzovic, Alaba sind die jüngste Generation. Alle sind österreichische Staatsbürger.

Der Politikwissenschaftler Georg Spitaler von der Uni Wien und Barbara Liegl von ZARA (Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) haben umfassende Daten über Legionäre im österreichischen Profifußball in ihrer Gesamtheit erhoben. Dabei werden im Rahmen des vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekts nicht nur über 50 Jahre österreichische Fußballgeschichte aufgearbeitet, sondern auch aktuelle Debatten reflektiert.

Gauland versus Boateng – Mölzer versus Alaba

Der aktuelle Fall in Deutschland, bei dem der AfD-Politiker Alexander Gauland sich abwertend über den geborenen Berliner und deutschen Nationalspieler Jerome Boateng geäußert haben soll, ist übrigens kein Einzelfall. Schon immer nutzten gewisse politische Kreise Begriffe wie Überfremdung und Überflutung, um die Bedeutung der „identitätsstiftenden“ Nationalität zu unterstreichen – auch im Fußball.

Jerome Boateng

AFP PHOTO / dpa / Andreas Gebert

Jerome Boateng

Und auch in der Causa Boateng sieht der Politikwissenschaftler Spitaler Parallelen zu Vorkommnissen in Österreich. So habe der FPÖ-Politiker Gerald Mölzer zurücktreten müssen, da in der von ihm betreuten Zeitschrift „Zur Zeit“ David Alaba als „pechrabenschwarz“ bezeichnet wurde und bezweifelt wurde, dass Alaba für Österreich stehen kann. Die Geschichte spricht für sich: Arnautovic, Dragovic, Junuzovic, Alaba – allesamt waschechte Österreicher haben das Team zur Euro 2016 geführt.

„Überfremdung“ – Gefahr wird zu Erfolg

Schon in den 1920er Jahren spielten Spieler aus anderen Ländern in den österreichischen Ligen, sagt Georg Spitaler: „Dieses Zusammenspiel von Transnationalität und lokalem Stil hat den Fußball schon damals ausgemacht – und ihn auch sehr erfolgreich gemacht. Und das ist eigentlich im Prinzip bis heute der Fall.“

Allerdings war die Haltung der Gesellschaft – zumindest von Medien und Politik – auch zwiespältig. Einerseits wurden die ausländischen Spieler als Verstärkung, Bereicherung und auch als Attraktion empfunden. Andererseits hieß es, diese Entwicklung würde dem österreichischen Fußball schaden. Deswegen gab es Limits, wie viele ausländische Spieler pro Team beschäftigt werden durften.

Bosman – ein Urteil verändert alles

Vor 20 Jahren kippte der Europäische Gerichtshof das gesamte Transfersystem im Fußball. Das nach dem Kläger Jean-Marc Bosmann, einem belgischen Fußball-Profi, genannte Urteil ermöglichte es Spielern, nach Auslaufen ihres Vertrags ablösefrei den Klub zu wechseln. Zudem erklärte das Gericht die Beschränkung der Klubs bei der Beschäftigung von Nicht-EU-Ausländern für obsolet. Damit änderte sich die Position der Spieler ihren Vereinen gegenüber schlagartig – und viele Spieler aus allen Ländern der Welt wurden in den europäischen Ligen verpflichtet.

Doch auch aus dieser gewerkschaftlichen Befreiung und der Globalisierung des Spielermarktes wurde politisches Kleingeld geschlagen, sagt Georg Spitaler: „Das wurde von den Medien stark diskutiert und dann von der Politik aufgegriffen. Vor allem nach 2000 während der schwarz-blauen Regierung und Sportministerin Riess-Passer wurde das Thema instrumentalisiert. Sie argumentierten, der österreichische Nachwuchs würde sich nicht durchsetzen können und letztlich auch die Qualität der Nationalmannschaft leiden.“

Spitaler und Liegl behandelten das Thema mit wissenschaftlicher Akribie. Erstmals wurden alle wichtigen Daten der Legionäre der obersten Spielklasse sowie von aus dem Ausland kommenden Trainern vollständig gesammelt. Diese Informationen bilden die Grundlage für die weiteren Projektschritte: die biografische Aufarbeitung ausgewählter Migrations- und Karriereverläufe von Spielern, eine Fragebogenerhebung unter aktuellen Profispielern sowie eine Analyse der Medienberichterstattung zur Frage von Repräsentation und Identität im österreichischen Fußball.

Der Tradition verpflichtet

Diese Trends spiegeln teilweise die allgemeinen Phasen der Zuwanderung auf nationaler Ebene wider, wie Georg Spitaler ausführt: „Kamen Anfang der 1990er Jahre verstärkt die Migranten und Migrantinnen aus Osteuropa, so folgte schon bald die Zuwanderung aus immer unterschiedlicheren Herkunftsländern. Diese beiden Trends sind auch im Fußball bemerkbar. Darüber hinaus kam es im europäischen Fußball - auch aufgrund des vorher erwähnten Bosman-Urteils - zu einer Deregulierung und Globalisierung des Arbeitsmarktes. Als Konsequenz sind heute im österreichischen Fußball Spieler aus allen Kontinenten vertreten.“

Doch auch vor den 1990er Jahren, als Spieler aus den EU-Ländern durch das EuGH-Urteil freien Zugang erhielten, spielten fast immer Migranten in heimischen Teams. Auch über deren Herkunft liefern die Daten, die bis in die 1950er Jahre zurückgehen, erste Auskünfte. So kamen die damaligen Spieler, wie viele Flüchtlinge, etwa aus Ungarn und später nicht zuletzt aus Jugoslawien nach Österreich.

Integriert und diskriminiert

Mit der steigenden Anzahl der in Österreich spielenden Legionäre wurden diese auch immer wieder Gegenstand heftiger Diskussionen, wie begleitende Literaturrecherchen im Rahmen des Projekts zeigen. Barbara Liegl: „Vor allem Anfang der 1960er Jahre kam es in den Sportmedien zu heftigen Beschwerden über eine ausländische Invasion. In den 1980er Jahren, als viele österreichische Spieler selbst für große europäische Klubs spielten, wurden die Legionäre hingegen offenbar freundlicher aufgenommen.“

Durch die Biografiearbeit in Erinnerung rufen will das Projekt auch Legionäre, die von der heimischen Fußballgeschichte vergessen wurden. So erinnert sich heute kaum noch jemand an Saleh Selim, den ersten afrikanischen Kicker in Österreich nach 1945, der in seinem Heimatland Ägypten zu den bekanntesten Sportlern zählte.

Josef Glanz, science.ORF.at

Mehr zum Thema: