„Tuntig wäre nicht konsensfähig“

Wenn Stefan Heissenberger Fußball spielt, wohnt jedem Pass und jedem Schuss ein Quäntchen Wissenschaft inne. Der österreichische Kulturanthropologe untersucht die „Ethnologie des Schwulenfußballs“ - als teilnehmender Beobachter im Fußballtrikot.

In einem Interview berichtet Heissenberger über seine Erfahrungen als Mitglied des Fußballvereins Vorspiel Berlin: eine Feldanalyse zwischen „straight acting“ und „tuntigen“ Klischees.

science.ORF.at: Herr Heissenberger, man könnte sagen: Sie spielen forschend und sie forschen spielend, nämlich als Wissenschaftler auf dem Platz. Was fasziniert sie am Soziotop der Fußballer?

Stefan Heissenberger: Ich mag die Heterogenität der sozialen Milieus im Fußball. Was ich auch mag, ist die Tatsache, dass sich im Fußball die Hierarchien umkehren. Hier kann der Arzt oder Anwalt schon mal der Wasserträger vom Arbeitslosen oder ethnisch Marginalisierten werden. Weil hier das Leistungsprimat zählt - wer besser spielt, der ist in der Hierarchie weiter oben.

Was fällt Ihnen als Anthropologe auf, wenn Sie auf den Fußballplatz gehen?

Stefan Heissenberger

Stefan Heissenberger

Stefan Heissenberger promoviert demnächst am Wiener Institut für Kultur- und Sozialanthropologie bei Andre Gingrich, Titel seiner Dissertation: „Schwuler* Fußball. Eine Ethnografie“.

Für die Dissertation hat er als Spieler-Trainer 16 Monate bei einem schwulen Berliner Fußballverein geforscht.

Heissenberger war u.a. Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und hat Lehraufträge an der HU Berlin sowie an der FU Berlin. Wissenschaftliche Publikationen v.a. zu Fußball, Geschlecht, Männlichkeit, Humor und Methodik.

Ein wesentlicher Aspekt ist - und der wird in der Öffentlichkeit eher wenig thematisiert, dass hier eine gewisse Lust an der Gewalt vorherrscht. Sei es jetzt verbal oder auf einer physischen Ebene. Zweikampfbetonte Sportarten wie Eishockey oder Fußball gehören zu den letzten Bereichen unserer Gesellschaft, in denen Gewaltanwendung bis zu einem gewissen Grad legitim ist. Diese starke Körperlichkeit, die Möglichkeit, aggressiv sein zu können, ist ein wesentlicher Anziehungspunkt für viele Spieler. Das ist etwas, wo auch ich - als defensiver Spieler - eine gewisse Affinität habe.

Wodurch unterscheiden sich schwule Fußballteams von den herkömmlichen, also Hetero-Mannschaften?

Ein offensichtliches Kennzeichen dieser Teams ist, dass sie sich sehr humorvolle und/oder zweideutige Namen geben. Das Team, das ich untersucht habe, heißt z.B. Vorspiel Berlin. In München gibt’s die Streetboys, in Kaiserslautern gibt’s die Rosa Teufel, dann gibt’s Warminia Bielefeld - es werden oft Wortspiele gemacht mit den ansässigen Profivereinen in der Stadt.

Was Hetero-Teams von schwulen Teams unterscheidet, ist, dass letztere ein einen sehr inklusiven Ansatz verfolgen. Bei schwulen Teams gilt die Prämisse: Jeder, der will, kann zu uns kommen, egal ob er sehr gut oder sehr schlecht ist. Die nicht so guten Spieler werden zwar nicht die gleichen Einsatzzeiten bekommen, aber sie dürfen mittrainieren und werden in der Liga auch eingesetzt. Da steht ein sozialer Aspekt dahinter, denn meistens gibt es nur ein schwules Team in jeder Stadt.

Auch in Österreich?

In Österreich und der Schweiz gibt es meines Wissens nach keine schwulen Teams, die stärkste Tradition haben in dieser Hinsicht wohl Deutschland und England. Was man diesem Zusammenhang auch noch erwähnen kann: In einem schwulen Team spielen nicht nur Schwule, da spielen auch Heteros mit, teilweise bis zu 30, 40 Prozent.

Fußball: Deutsche Nationalspieler beim Torjubel

AP Photo/Peter Klaunzer

Pionier im Profifußball: Thomas Hitzelsperger (rechts) bekannte sich 2014 offen zu seiner Homosexualität

Spielen schwule Fußballer anders?

An dem Klischee, dass Schwule besonders schlecht im Fußball wären oder mit Bällen nicht umgehen können - da ist nichts dran. Sie sind auch weder besonders elegant oder besonders kreativ, noch besonders wehleidig. Genauso wie in jedem Hetero-Team finden sich auch hier alle Aspekte vom Wadlbeisser bis zum Verspielten, vom robusten Schnörkellosen bis zum Kreativen - und alles dazwischen.

Ich kann da eine Anekdote erzählen: Ein schwuler Spieler von Vorspiel hat einmal einen Arbeitskumpel zu einem Turnier mitgenommen und ihm nicht gesagt, dass Vorspiel ein schwules Team ist. Er hat bis zum Ende des Turniers nicht mitbekommen, dass er in einem schwulen Team spielt. Das zeigt, wie „normal“ der Verein ist. Gleichzeitig gibt es natürlich ein paar schwule Aspekte: etwa, dass es die eine oder andere Paarbeziehung im Team gibt, oder dass man sich auch mal darüber unterhält, welcher Gegenspieler attraktiv gewesen ist oder nicht.

Sie haben sich im Rahmen Ihrer Forschungen auch mit dem Thema Outing beschäftigt. Werden Schwule im Fußballsport mittlerweile akzeptiert?

Ich kann das negative Bild, das viele Medien entwerfen, nicht bestätigen. Natürlich gibt es negative Beispiele, ein Spieler hat mir etwa erzählt, dass er nach seinem Coming-out vom Trainer aus der Mannschaft geworfen wurde - aber die meisten schwulen Spieler hatten in ihren Amateurvereinen neutrale bis positive Erfahrungen. Auch die meisten Hetero-Spieler haben mir glaubhaft versichert, dass sie mit einem Coming-out von Teamkollegen kein Problem hätten.

Ich glaube jedoch - und das ist die Einschränkung, dass das nur für solche Schwule gilt, die ein „straight acting“ betreiben, das heißt: die sich wie durchschnittliche Hetero-Männer verhalten. Alles, was in Richtung „tuntig“ geht, wäre sicher nicht konsensfähig im Hetero-Fußball.

Und im Profibereich?

Da gibt es keine Daten, sondern nur die Rechnung: Fünf bis zehn Prozent der männlichen Bevölkerung sind schwul, also muss das im Fußball auch so sein. Ich bin mir nicht sicher, ob man das so rechnen kann, denn es könnte ja sein, dass sich viele von vornherein ausschließen, weil sie meinen, das sei ein besonders homophober Bereich.

Ich glaube aber, dass sich Spieler mittlerweile auch im Profibereich - vor allem durch das Coming-out von Thomas Hitzlsperger - offen bekennen könnten. Vorausgesetzt, man möchte das überhaupt. Ich weiß nämlich nicht, ob das der goldene Weg sein muss. Aber es wäre aus meiner Sicht möglich, sofern man das gut vorbereitet.

Wie stehen Schwule zu diesem Thema?

Kurz vor dem Coming-out von Hitzlsperger war ich bei einer Diskussionsveranstaltung - dabei kam die hypothetische Frage auf: Was wäre, wenn sich ein Philipp Lahm, ein Lukas Podolski, ein Manuel Neuer oder wer auch immer outen würde? Wer würde das gut oder nicht gut finden? Und die einhellige Meinung war: Wenn sich der damalige dritte Torwart des deutschen Nationalteams, Tim Wiese, als erster Fußballprofi geoutet hätte - das hätten alle ganz furchtbar gefunden.

Warum?

Weil sie ihn als tuntig hypermaskulin empfanden. Mit Hitzelspergers Coming-out waren dann alle recht zufrieden, weil das ein normaler, seriöser Typ ist. Bei Wiese wäre der Vorwurf im Raum gestanden, dass man mit Hypermaskulinität etwas kompensieren muss.

Akrobatische Zweikampfeinlage von Zinedine Zidane

AP Photo/Darko Vojinovic

Das ist Schönheit: das Spiel von Zinedine Zidane

Was ist Schönheit im Fußball?

Wenn man Fußball als ästhetische Kategorie begreift, finde ich vor allem jenen Aspekt interessant, der Gewalt und Eleganz in ein Naheverhältnis rückt. Der Literaturwissenschaftler Hans Gumbrecht hat darauf hingewiesen, dass die Eleganz der größten Spieler davon abhängt, die potenzielle Gewalt derer, die sie aufhalten wollen, zu vermeiden oder ihr auszuweichen.

Das heißt: Wenn man Widerständen auf dem Platz mit einer gewissen Leichtfüßigkeit aus dem Weg geht - dann wird das oft als kunstvoll erlebt. So ein Spieler wäre zum Beispiel ein Zinedine Zidane, der seinen hartnäckigsten Gegenspielern mit einer großen Leichtigkeit ausgewichen ist.

Und jetzt die ganz große Frage: Was passiert, wenn Österreich Europameister wird?

Ich glaube, ich würde mich freuen - und mir dann die Frage stellen, warum ich mich eigentlich freue. In so einer Extremsituation würde wohl ein äußerst latenter Patriotismus manifest werden, zumindest während der KO-Spiele.

Und wenn ich mir diese Begegnungen mit den Mitgliedern meiner Berliner Fußballmannschaft ansehen würde, dann würde das dem Ganzen eine spezielle Dynamik geben. Weil man ja nie so sehr Österreicher ist wie im Ausland - beziehungsweise von den anderen im Ausland zum Österreicher gemacht wird.

Als Kulturanthropologe würde mich interessieren, wie im öffentlichen Raum Gemeinschaft hergestellt wird. Wie macht sich ein Österreich-Gefühl breit, wie konstituiert und feiert sich die Gemeinschaft? Was wird getan, was wird gesagt, was wird gesungen? Welche Helden werden besonders bejubelt? Und dabei wäre auch zu achten, welche Symbole eine große Rolle spielen.

Während andere Disziplinen eher Medienanalyse betreiben oder mit vorgefertigten Fragebögen an diese Thematik herangehen, würde sich der Kulturanthropologe ins Getümmel stürzen, sich unter all die Feiernden begeben, beobachten, Gespräche führen, mal ein Bier mittrinken.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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