Jungfische halten Plastik für Futter
Umweltschützer und Forscher warnen schon lange: Die Weltmeere verkommen zur Plastikmülldeponie. Bereits 9,1 Millionen Tonnen Kunststoff jährlich landen direkt oder über Flüsse eingetragen in den Ozeanen, Tendenz steigend. Sollte sich diese Entwicklung so fortsetzen, wird es bis zum Jahr 2050 mehr Plastik im Meer geben als Fische, rechnete erst kürzlich die Ellen-MacArthur-Stiftung in einer Studie vor.
STUDIE GEFÄLSCHT !
Dieser Artikel wurde im Juni 2016 veröffentlicht. Wie sich im Dezember 2017 herausgestellt hat, sind die Resultate der Studie von den Autoren gefälscht worden.
Von allen Umweltgefahren und Problemen, die der Kunststoffabfall in Gewässern mit sich bringt, ist eine weitgehend unsichtbare Gefahr besonders brisant: Mikroplastik. Per Definition sind es Partikel kleiner als fünf Millimeter. Sie entstehen etwa durch Abrieb beim Treiben in Flüssen und vor allem durch die UV-Strahlung des Sonnenlichts.

Oona Lönnstedt
Fischlarve mit Plastikpartikeln im Magen
Polystyrol etwa, aus dem vom Joghurtbecher über Fleischverpackung bis zu Schaumstoff zahlreiche Produkte erzeugt werden, wird unter UV-Licht rasch porös, und auch andere Kunststoffe zerfallen mit der Zeit in immer kleinere Teilchen. Einen nicht unbeträchtlichen Anteil bilden auch Kunstfaserreste aus Textilien und Mikrogranulate, die immer häufiger in Hygiene- und Kosmetikartikeln enthalten sind.
Wachsendes Problem, wenig Wissen
All das sammelt sich im Meer, die höchsten Konzentrationen finden sich in flachen Küstengewässern. Dass Plastikmüll marine Ökosysteme gefährdet, steht wissenschaftlich längst außer Zweifel. Konkrete Untersuchungen über Auswirkungen auf Fische, Muscheln und andere Meeresbewohner gibt es hingegen noch kaum.
Die Studie
„Environmentally relevant concentrations of microplastic particles influence larval fish ecology“, Science, 02.06.2016
Eine wichtige Grundlagenuntersuchung lieferte jetzt ein Forscherteam um die schwedische Meeresbiologin Oona Lönnstedt von der Universität Uppsala. Die Wissenschaftler konnten zum ersten Mal zeigen, dass Mikroplastikverschmutzung die gesunde Entwicklung von Fischen gefährdet, nämlich vom Beginn ihres Lebenszyklus an, bereits im Ei und als Larve.
Dazu sammelten die Biologen Barschembryos und Larven aus der Ostsee. Der Europäische Barsch, an sich ein Süßwasserfisch, lebt gerade in der Ostsee auch im Brackwasser der Küstenregionen.
In mehreren Laboraquarien wurde die Barschbrut unterschiedlichen Konzentrationen von Partikeln des weitverbreiteten Polystyrol ausgesetzt. „Das waren auch sehr hohe Konzentrationen, wie man sie in manchen Küstenregionen aber leider tatsächlich in freier Natur vorfindet“, sagt Lönnstedt.
Verhaltensauffällig
Neben hochbelasteten Bedingungen wuchsen andere Barsche in durchschnittlich belastetem Wasser auf, eine Kontrollgruppe durfte in unbelastetem Wasser heranwachsen.
Schon zu Beginn der Entwicklungsphase war augenfällig, dass der Einfluss des Mikroplastik bereits den Bruterfolg der Embryonen senkte – es schlüpften deutlich weniger Larven. Diese waren auch kleiner, entwickelten sich langsamer, hatten häufiger Missbildungen und verhielten sich weniger aktiv, berichten die Forscher.
„Abgesehen von der geringeren Überlebensrate hat uns überrascht, dass Larven im belasteten Wasser abnormales Verhalten zeigen“, sagt Lönnstedt. So suchten Fischlarven mit Polystyrol-Partikel im Körper auch hauptsächlich Plastikteilchen zum Fressen, anstatt ihr natürliches Futter, frei schwimmendes Tierplankton wie Wasserkrebse in ähnlicher Größe. „Das ist das erste Mal, dass man bei Tieren festgestellt hat, dass sie bevorzugt Kunststoff fressen – wirklich ein Anlass zur Sorge“, konstatiert Peter Eklöv, Mitautor der Studie.
Sie wittern keine Gefahr
Alarmierend fiel auch der „Survival-Test“ in einem Versuchsbecken mit Hechten aus. Fischlarven können nahende Räuber riechen und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Die mit Kunststoffpartikel belasteten Barschlarven scheinen diese Fähigkeit vermindert oder verloren zu haben, sie landeten viermal so häufig in einem Hechtmaul wie ihre Artgenossen aus unbelastetem Wasser.
Diese Laborversuche lassen sich nicht 1:1 auf natürliche Bedingungen im Meer übertragen, aber sie verdeutlichen, welche nachhaltigen Folgen Mikroplastik auf die Entwicklung der Fischbestände haben kann, schreiben die Autoren.
Lönnstedt: „Wenn andere Arten in ihren frühen Lebensstadien ähnlich durch Mikroplastik betroffen sind und das zu einer erhöhten Sterblichkeitsrate führt, könnte die Auswirkungen auf die Gewässerökologie tiefgreifend sein.“ Eine vorsichtige Formulierung für eine alarmierende Erkenntnis.
Thomas Azade, science.ORF.at