Wie der „Hobbit“ zum Zwerg wurde

Vor 13 Jahren wurden auf der indonesischen Insel Flores Überreste einer ausgestorbenen Menschenart entdeckt. Neue Fundstücke zeigen: Die Ahnen dieses Vormenschen verwandelten sich in rasantem Tempo zu Zwergen. Doch warum sind sie so schnell geschrumpft?

Die Aufregung war groß, als Homo floresiensis im Oktober 2004 der Weltöffentlichkeit präsentiert wurde. Kein Wunder, neue Menschenarten finden Paläontologen nicht alle Tage. Ein Spitzname für das Neomitglied der menschlichen Ahnenlinie war schnell gefunden: „Hobbit“ - denn die in der Liang-Bua-Höhle entdeckten Knochen wiesen auf einen außergewöhnlich kleinen Vormenschen hin. Der Homo floresiensis war offenbar nur einen Meter groß und sein Gehirn nicht größer als eine Orange.

Der Fund warf Fragen auf: Von wem stammt der Zwerg von der Insel Flores ab? Und handelt es sich überhaupt um eine eigenständige Art?

Frau hält das Schädelmodell des Homo floresiensis in Händen

Reuters

Homo floresiensis vulgo „Hobbit“ war ein Winzling

Letzteres zogen nicht wenige Wissenschaftler in Zweifel. Der „Hobbit“, so ihre Deutung, sei schlicht ein kranker Homo sapiens gewesen, ein Gendefekt habe ihn zum Zwergen gemacht - und vor allem sein Gehirn so klein wie das eines drei Monate alten Säuglings. Erst vorletztes Jahr erschien wieder eine Studie, die sich für diese These stark machte. Diesmal wollten Forscher im Skelett des Flores-Menschen Anzeichen eines Down-Syndroms gefunden haben.

„Hobbit“ war nicht krank

Diese Streitfrage ist nun ein für alle Mal geklärt. Letztes Jahr wurden Paläontologen auf der Insel Flores erneut fündig. In Mata Menge, etwa 70 Kilometer von der Höhle in Liang Bua entfernt, gruben sie deutlich ältere Knochen des „Hobbit“ aus - ein Unterkiefer-Fragment und sechs Zähne. Diese sind noch fragiler als die 2003 entdeckten Skelettteile. „Als ich die Knochen das erste Mal sah, dachte ich, sie müssen von einem Kind stammen“, sagt der japanische Anthropologe Yousuke Kaifu.

Scans mit einem Computertomographen zeigen jedoch: Zumindest der Kiefer stammt von einem erwachsenen Mann. Der „Hobbit“, resümiert Kaifu nun im Fachblatt „Nature“, war kein kranker Homo sapiens, sondern eine eigenständige Menschenart. Eben eine außergewöhnlich kleine.

Kieferknochen von Homo floresiensis

Kinez Riza

In Mata Menge entdeckt: Kiefer des Flores-Menschen

Das Alter der neu entdeckten Knochen beziffern Wissenschaftler in einer zweiten Studie mit rund 700.000 Jahren. Nachdem Homo floresiensis laut aktuellen Messungen vor 60.000 bis 100.000 Jahren auf der Insel Flores ausstarb, ergibt sich eine erstaunlich lange Vorgeschichte, deren Ablauf noch zu klären wäre. Im Prinzip könnte sich der „Hobbit“ aus archaischen Vormenschen wie dem Homo habilis oder einem Vertreter der Gattung Australopithecus entwickelt haben.

Die waren auch nicht besonders groß, höchstens 1,20 Meter, das Problem an dieser Deutung ist jedoch: In diesem Fall müssten die Vorfahren des „Hobbit“ Afrika bereits vor zwei Millionen Jahren verlassen haben. Und dafür gibt es keinerlei Belege.

Geschrumpfter Homo erectus

Daher neigen die Wissenschaftler eher Modell Nummer zwei zu. Demnach ist der „Hobbit“ ein Nachfahre des Homo erectus, der vor einer Million Jahren in der gleichen Region, etwa auf Java, gelebt hat. Nun ist Homo erectus mit 1,65 Metern Größe und einem Hirnvolumen von 850 Kubikzentimetern schon ein ziemlich großgewachsener Hominide. Wenn die Datierungen der Knochenfunde stimmen, muss dieser innerhalb von nur 300.000 Jahren zum Zwergen geschrumpft sein - der Länge nach um ein Drittel, das Hirnvolumen gar um die Hälfte.

Ist das innerhalb so kurzer Zeit möglich? Im Prinzip ja, schreiben die Forscher. Ähnliche Inselverzwergungen kenne man auch von anderen Säugetierarten, etwa von Elefanten, gleichwohl sei das Evolutionstempo bemerkenswert. Was die möglichen Ursachen betrifft, beschränken sich die Wissenschaftler auf Lehrbuchhinweise. Zwergformen hätten unter den eingeschränkten Lebensbedingungen auf Inseln einen Selektionsvorteil. Soll heißen: Wer kleiner ist, muss weniger essen und bekommt daher bei Hungersnöten weniger Probleme.

Durch Tsunami angespült?

Wie kam Homo erectus überhaupt auf die Insel Flores? „Gute Frage“, sagt der an den Untersuchungen beteiligte Anthropologe Gert van den Bergh. Dass Homo erectus imstande war Boote zu bauen, hält der niederländisch-australische Forscher für unwahrscheinlich. Eher denkbar sein, dass die Vorfahren des „Hobbit“ einst durch einen Tsunami auf der Vulkaninsel angespült wurden.

„Während der Weihnachtsfeiertage 2004 löste ein Erdbeben im Indischen Ozean einen verheerenden Tsunami aus. Damals wurden noch eine Woche später Überlebende aus dem Meer gefischt - 60 Kilometer von der Küste entfernt. Unter anderem eine Schwangere, die sich an einen Baumstamm geklammert hatte. Gut möglich, dass so etwas auch in Urzeiten passiert ist.“ In Ermangelung archäologischer Spuren wird man diese Hypothese wohl nie überprüfen können. Belegt ist immerhin: Die Region ist tektonisch seit Jahrmillionen aktiv. Tsunamis waren dort keine Seltenheit.

Robert Czepel, science.ORF.at

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