Gemüse aus der „Klimazucht“

Viele denken an Gentechnik, wenn es darum geht, ertragreichere oder schmackhaftere Pflanzen zu züchten - das US-amerikanische MIT folgt einem anderen Weg. Indem man das Umfeld gezielt verändert, sollen Gemüse, Obst und Kräuter in jeder Hinsicht verbessert werden.

Caleb Harper arbeitet an der Open Agriculture Initiative des MIT Media Lab. Im Interview mit science.ORF.at erklärt er, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen könnte.

science.ORF.at: Was macht die Open Agriculture Initiative?

Caleb Harper: Wir wollen das Klima demokratisieren! - was ich damit meine, ist Folgendes: Manche sagen zum Beispiel, die besten Erdbeeren kommen aus Mexiko. Aber das stimmt nicht, sondern die besten Erdbeeren kommen aus jenem Klima, das den besten Geschmack, die schönste Farbe und die richtige Konsistenz hervorbringt - das ist die epigenetische Information, an der wir interessiert sind.

Ich bin darauf gekommen, als ich normalen Salat gegessen habe, der aber übermäßig süß geschmeckt hat. Ich wollte herausfinden, warum. Und habe etwas ziemlich Altbekanntes herausgefunden: Pflanzen unter Stress haben biochemische Abwehrmechanismen, und dieser Salat hatte versucht, sich biochemisch gegen Trockenheit zu wehren.

Das bedeutet, wenn ich denn Stress codieren und bestimmen könnte, dann kann ich die Reaktion der Pflanze bestimmen. Und solche Klimarezepte - z.B. viel CO2, Luftfeuchtigkeit, etc. - können Pflanzen dazu bringen, mehr Protein oder andere Stoffe zu produzieren.

Das heißt, sie bedrängen die Pflanzen auf gewisse Weise und untersuchen dann, wie sich das in der Biochemie niederschlägt?

Wir haben zwei Sets von Daten: Wir sehen uns einerseits das Klima und die Mikroben an, die das Umfeld der Pflanze bilden. Und dann nach der Ernte machen wir eine Gaschromatografie und analysieren, welche Stoffe in welchen Konzentrationen vorhanden sind.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 10.8. um 13:55.

Dann trainieren wir damit unsere Modelle für Vorhersagen. Vor kurzem haben wir angefangen mit einer Gruppe von Experten für Künstliche Intelligenz in San Francisco zu arbeiten – sie helfen uns herauszufinden, welche Faktoren wir ändern könnten, um noch bessere Ergebnisse zu erzielen.

Welches Potential liegt da verborgen?

Mir war früher nicht klar, dass zum Beispiel die Produktion vieler Impfstoffe auf Pflanzen angewiesen ist. Wir machen gerade Versuche, bei denen wir die Tabakpflanze in kontrolliertem Klima wachsen lassen, um mehr von dem Protein zu produzieren, das man für den Ebola-Impfstoff braucht. Eine Menge unserer Medikamente kommen aus Pflanzen. Man hat dann angefangen sie zu synthetisieren, weil es in der Natur nicht genügend davon gibt.

Und das funktioniert für alle Inhaltsstoffe – also von pharmakologischen Wirkstoffen über Süßstoffe bis hin zu verschiedensten Geschmäckern?

Ja, ich arbeite auch mit Spitzenköchen zusammen – die sind daran interessiert, ganz einzigartige Geschmäcker herzustellen. In einem Restaurant der Zukunft bekommen Sie dann fünf Tomaten, die zwar alle gleich aussehen, aber eine ist scharf, eine süß, eine bitter...

Die Köche wollen einfach mit diesen Geschmacksvariationen spielen, machen das zu einem künstlerischen Unterfangen und wollen uns damit überraschen. Aber es ist natürlich auch für große Hersteller interessant, wir haben zum Beispiel auch Gespräche mit einem Getränkehersteller, der sein Produkt ganz natürlich erzeugen will.

Wenn schon die Wirtschaft daran interessiert ist, gibt es dann auch die Möglichkeit, dass manche sich ihre Anbaurezepte patentieren lassen?

Ja, es gibt da eine Entwicklung - die sehr leise passiert - dass man Klimarezepte patentieren kann. Wenn wir ein kontrolliertes, synthetisches Klima schaffen, um einen bestimmten Geschmack zu erzielen, dann ist das patentierbare Information. Ich kämpfe aber dagegen an: All meine Hardware, Software und Daten sind open source, frei zugänglich. Weil ich damit ein Gemeingut schaffen für dieses Feld will.

Wir haben etwa einen „Food Computer“ kreiert, einen kleinen Behälter, in dem wir ein synthetisches Klima schaffen. Die Bauanleitung haben wir der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Die Leute können damit spielen – wenn sie dann stolz auf Ihre Tomaten sind, können sie quasi im Gegenzug ihre Daten teilen und ihre „Klimarezepte“ hochladen. Und so könnten schnell jede Menge Daten produziert werden. Es kostet derzeit etwa 1.500 Dollar sich so eine Box zu bauen, aber wir wollen auch bald ein Set herausbringen, das es einfacher macht.

Wir kultivieren Pflanzen seit mehr als zehntausend Jahren – gab es noch gar keine Experimente dieser Art – selbst wenn es alte Bauernweisheiten sind - oder war es einfach früher nicht möglich, die Details ausreichend zu kontrollieren?

Wir haben jede Menge anekdotische Information, aber wir müssen vieles erst verstehen. Wir haben etwa mehrere Basilikumpflanzen im exakt selben Umfeld wachsen lassen, nur bei einem Chitosan - also quasi nach alter Weisheit Käfer zerrieben - und in die Erde getan, weil das Basilikum dann in Abwehr mehr von seinem ätherischen Öl produziert, das für uns den starken Geschmack produziert. Das Chitosan in die Umwelt einzubringen, war genug.

Aber sogar vor 15 oder 20 Jahren war das meistens eher Pseudowissenschaft, weil es einfach zu viele Variable gab, und nicht genügend Rechenleistung, all diese Information zu verarbeiten. Die ganze landwirtschaftliche Forschung fand an Agrarinstituten statt und nicht an Technologie-Universitäten – jetzt kommen diese beiden Welten zusammen. Viele Leute sagen heute „biology is the new digitial“.

Was heißt das?

Wir sprechen oder scherzen viel darüber, Essen herunterladen zu können. Ich weiß nicht, ob Sie den alten Willy Wonka-Film kennen: Er schickt einen Schokoriegel pulverisiert durch die Luft, und auf der anderen Seite setzt er sich wieder zusammen. Könnten wir nicht Daten senden, und das Ganze dann lokal erzeugen? Dann müssen wir die Produkte nicht um die ganze Welt schiffen, wir erzeugen kein CO2, wir verlieren keine Qualität - all die dummen Dinge, die wir jetzt tun....

Wird uns der Food Computer jemals ernähren können?

Nein, mit so einem kleinen Behälter werden wir niemals genug Nahrung bzw. Kalorien erzeugen können. Aber wir können vieles lernen oder spezialisierte Pflanzen anbauen. Also ich kann mir vorstellen, dass sie in ferner Zukunft so ein Ding zu Hause haben. Und Sie bekommen ein Klimarezept, um eine Arznei wachsen zu lassen, die vielleicht selten ist oder auf Sie zugeschnitten.

Aber könnte man auch riesige klimakontrollierte Räume schaffen?

Ja natürlich, das würde auch den Preis senken, und daran arbeiten wir auch. Ich glaube, viele Farmen werden unterhalb der Erde sein, 90 Prozent des Sonnenlichts sind für die Pflanzenzucht nicht wichtig.

Aber dieses zusätzliche Sonnenlicht heizt Glashäuser unheimlich auf, es ist viel billiger zu heizen und LED-Licht zu nutzen, als ein Klimahaus zu kühlen. Es gibt schon unter London in alten U-Bahntunnels so eine Art Farm. Kurzum 30 bis 40 Prozent unserer Ernährung könnten irgendwann aus Heimzüchtungen oder zumindest urbanem Umfeld kommen. Aus unserer Nähe.

Ist das eine Alternative zu genetisch modifizierten Pflanzen?

Ich glaube, es ist eine sehr emotionale Debatte. Wir bieten eine neue Art der Landwirtschaft neben solchen technologisierten Versionen und sehr traditionellen Ansätzen. Die digitale Landwirtschaft. Wir versuchen nämlich genauso, das alte Wissen zu erhalten oder zu verstehen. Die meisten Bauern sind um die 65, und es kommt keine nächste Generation nach.

Wir vermissen dann, was ich die „schönen Augen eines Farmers“ nenne, diesen Blick, der weiß, dass einer Pflanze vielleicht Kalium oder sonst etwas fehlt. Wir arbeiten auch mit Software, die zum Beispiel erkennen soll, wann ein neues Blatt sprießt, wann etwas reif ist. Vielleicht können wir so die „schönen Augen der Farmer“ ein bisschen erhalten, wenn wir genügend Daten sammeln.

Isabella Ferenci, Ö1 Wissenschaft

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