Wie Musiktherapie das Trauma lindert

Mehr als eine Million Menschen sind allein im vorigen Jahr aus Syrien und Afghanistan vor Krieg, Gewalt und Verfolgung nach Europa geflüchtet. Viele sind traumatisiert, wie kann man ihnen helfen? Etwa durch Musik - sie setzt dort an, wo die Sprache nicht weiterkommt.

Kinder greifen zuallererst immer zu den Lärmmachern: Gewittergeräusche, Donnern, Rauschen, Trommelschläge - das macht ihnen einfach Spaß, erzählt Thomas Stegemann vom Institut für Musiktherapie an der Universität für Musik und Darstellende Künste in Wien.

In der Therapie sind diese Instrumente vor allem wichtige Werkzeuge: „Damit kann man zum Beispiel Wut ausdrücken, man kann auch darstellen, wie sich Kopfschmerzen anfühlen“, erklärt der Psychiater.

Waldteufel, Thundertube oder Kokiriko: Lautsein als Therapie

Spielen öffnet die Seele

Die Musik ersetzt nicht nur Worte, sie unterstützt auch bei der herkömmlichen Gesprächstherapie. Wer einen Tisch voller Instrumente vor sich hat, der greift schnell zu und fängt an zu spielen - und wenn Kindern oder Erwachsene spielen, dann kommen sie in einen „Möglichkeitsraum“, wie es der Psychiater nennt. Wer spielt, der entflieht der Enge seiner Probleme und kann die Welt ein bisschen anders betrachten – der Patient öffnet sich.

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtet heute auch Wissen aktuell, 6.7.2016, 13.55 Uhr.

Zudem lenkt die Musik einfach ab: Gerade traumatisierte Menschen wie solche mit Fluchterfahrung kann das Spiel auch sehr erleichtern, weil es ihnen erlaubt einmal abzuschalten. Viele haben „Flashbacks“, sie erleben traumatische Ereignisse immer wieder neu, erklärt Stegemann. Sie können sich nicht von ihren Ängsten oder Problemen distanzieren: „Das heißt sie können überhaupt nicht runterkommen und sind in ständiger Alarmbereitschaft.“

Lärm und Harmonie

Es gibt allerdings bei der Musiktherapie nicht nur laute Instrumente. Die Sansula, eine Art Daumenklavier, zeichnet sich etwa durch besondere Harmonie aus. „Die Sansula hat einen ganz warmen Klang“, erklärt Stegemann. „Sie ist so gestimmt, dass man mit anderen Instrumenten auch gut dazu spielen kann“.

Sansula für schöne Melodien

Das soll ermöglichen, schnell und ohne große Vorkenntnisse gemeinsam mit anderen zu musizieren. Anders als bei der „Kunstmusik“ geht es dabei nicht um hohen Anspruch, der ja auch mit Druck verbunden ist, sondern darum, in einem Moment gemeinsam mit anderen etwas Schönes zu schaffen - das kann Menschen helfen sich verbunden zu fühlen, auch wenn sie vielleicht alleine und weit weg von zu Hause sind.

Erfolgserlebnis

Die Musiktherapeuten und Musiktherapeutinnen sorgen dafür, dass das Konzept auch in der Praxis funktioniert: Schwertkämpfen mit tönenden Röhren sind zum Beispiel bei Kindern sehr beliebt. Dabei wählen die Therapeuten „richtig“ tönende Röhren aus, damit aus dem Spielkampf schnell etwas Konstruktives entstehen kann. Kindern, die als verhaltensauffällig gelten, kann die Musiktherapie sogar helfen zu entdecken, dass sie auch positive Aufmerksamkeit erregen.

Rhythmus und Melodie: Ö1 probiert das spontane Zusammenspiel

Bei den geflohenen Kindern und Jugendlichen, mit denen Stegemann unter anderem in einem Pilotprojekt im Wiener Integrationshaus arbeitet, hat sich das schon öfter gezeigt. Oft reichen einfachste Instrumente aus, die man gleich bedienen kann - und plötzlich herrscht für ein paar Sekunden Harmonie. Und vielleicht sogar ein Moment Seelenruhe.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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