„Eine Universität ist kein Supermarkt“

Der britische Hochschulsektor habe sich dramatisch verändert, kritisiert die Literaturwissenschaftlerin Marina Warner: Angebot und Nachfrage würden die Forschung dominieren - wie in einem Supermarkt. Der „Brexit“ werde diese Situation verschlimmern, vor allem in den Geisteswissenschaften.

Sie war sechs Jahre alt, als sie die Geschichten von „Tausend und einer Nacht“ zum ersten Mal las. Seit damals ist Marina Warner von mystisch-mythologischen Erzählungen fasziniert und hat zahlreiche literaturwissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema verfasst. Der britischen Öffentlichkeit ist die „Mythographin“ jedoch auch aus einem anderen Grund bekannt. Vor zwei Jahren kündigte Marina Warner ihre Stelle an der Universität Essex und legte ihre Professur nieder.

Marina Warner

Marina Warner

Marina Warner ist Professorin für Englisch und Kreatives Schreiben an der Birbeck University of London.

Kürzlich war sie beim 21. Weltkongress der Internationalen Gesellschaft für vergleichende Literaturwissenschaften in Wien zu Gast. Im Interview mit science.ORF.at spricht sie über Hochschulmanager, das Problem mit Privatunis und die Folgen von Studiengebühren.

science.ORF.at: Sie haben die Fakultät für Literatur-, Film- und Theaterwissenschaften der Universität Essex vor zwei Jahren verlassen. Was waren die Gründe für Ihre Kündigung?

Marina Warner: Ich habe nicht freiwillig gekündigt, ich wurde dazu gedrängt, indirekt zumindest. Ich hatte bereits einige Forschungsvorhaben zugesagt, sollte dann aber gleichzeitig sehr viel mehr lehren. Der Druck, der heute von Seiten der Universitätsleitung aufgebaut wird, ist enorm, vor allem gegenüber jüngeren Wissenschaftlern. Und dagegegen wollte ich protestieren. Denn die Jungen müssen publizieren, um überhaupt die Chance auf eine Festanstellung zu bekommen. Wenn sie lehren müssen, können sie nicht forschen. Ein Teufelskreis.

Die Universität Essex ist relativ jung, sie wurde 1964 gegründet. Inwiefern hat sich die Hochschule seit damals verändert?

Essex wurde als „unhierarchische“ Universität gegründet, die sich den „neuen“ Fächern widmen sollte: Soziologie, politische Philosophie oder eben vergleichende Literaturwissenschaften. Seit ein paar Jahren gibt es ein neues Management. Und diese Menschen respektieren die Geschichte der Institution nicht. Sie wollen nicht, dass die Uni von ihren alten Stärken profitiert, sondern es soll alles neu und glänzend sein.

Forschung zu Menschenrechten und politischer Theorie war eine dieser Stärken. Der Bau des „Internationalen Zentrums für Demokratie und Konfliktlösung“ wurde 2013 jedoch wieder abgeblasen. Ein Zeichen?

Damals war mir das noch nicht so klar, aber es war ein offensichtliches Zeichen. Denn anstatt das Demokratie-Zentrum zu bauen, hat die Uni eine Business-School eingerichtet. Essex hat in diesem Bereich keine Forschung, auf der man aufbauen könnte. Und es gibt tausende andere Business-Schools. Aber das Uni-Management ging davon aus, dass Wirtschaftsfächer notwendig sind, um im Wettbewerb mithalten zu können.

Die Geistes- und Sozialwissenschaften stehen also unter Druck?

Den neoliberalen Marketingmanager der Gegenwart, die die britischen Universitäten übernommen haben, sind die Ideale der universitären Wissenschaft fremd. Sie schämen sich auch nicht dafür und tun nicht so, als ob es sie interessieren würde. Für sie kommt es auf die Zahlen an. Es geht nicht um wissenschaftliche Erfolge, sondern um Angebot und Nachfrage, wie in einem Supermarkt.

Wie reagieren die Studierenden auf diese Entwicklungen? Auch wenn die Universitäten in England öffentlich sind, zahlt man Studiengebühren.

Die Gebühren sind hoch, 9.000 Pfund pro Jahr und da sind Unterbringung, Verpflegung und andere Kosten nicht inkludiert. Viele müssen Schulden machen für das Studium. Interessanterweise sind die Studierenden deswegen aber nicht engagierter bei der Sache. Einige behandeln die Uni mehr wie eine Mitgliedschaft in einem Fitnesscenter. Sie haben das Gefühl, dass sie nur kommen müssen, wenn sie Lust haben, denn sie bezahlen ja dafür. Mir ist auf jeden Fall noch nie ein Student begegnet, der mehr lernen wollte, weil er dafür bezahlt hat.

Warum ist der Aufwand in der Lehre dann so dramatisch gestiegen?

Auch wenn nicht alle immer da sind, wir haben insgesamt wesentlich mehr Studierende. Das ist eine Entwicklung, die ich prinzipiell sehr positiv finde. Das Problem ist nur, dass wir immer weniger wissenschaftliches Personal haben. Neuanstellungen gibt es fast ausschließlich im administrativen Bereich. In meinem Fach ist das besonders dramatisch. Denn ein Teil der Lehre besteht aus „kreativem Schreiben“. Das kann man in Großgruppen nicht unterrichten. Das wäre aber sehr wichtig. Denn einen Text richtig zu lesen lernt man erst, wenn man sich mit dem Schreiben an sich auseinandersetzt.

Viele Forschungsprojekte sind auf internationale Fördergelder angewiesen. Wir wird es mit den Geistes- und Sozialwissenschaften nach dem Brexit weitergehen?

Der Brexit war politisch gesehen eine feige Entscheidung. Die Folgen sind schwer einzuschätzen, aber verlässt Großbritannien tatsächlich die Europäischen Union, dann wird das für unser Forschungsfeld negative Konsequenzen haben. Viele Projekte, die von den britischen Universitäten nicht finanziert wurden, konnten wegen europäischer Förderungen verwirklicht werden.

Haben Sie noch Hoffnung, dass es keinen Brexit geben wird?

Die habe ich. Viele Akademiker und Wissenschaftler unterstützen eine Kampagne, mit der wir versuchen unsere Förderungen zu retten, genauso wie die internationalen Beziehungen und die Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften. Ein Fach wie vergleichende Literaturwissenschaften ist ohne länderübergreifende Kooperationen einfach nicht denkbar.

Interview: Marlene Nowotny, Ö1 Wissenschaft

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