Seeanemonen gegen Schwerhörigkeit

Proteine von Seeanemonen könnten bei der Behandlung von Schwerhörigkeit helfen. Eine Studie an Mäusen zeigt, dass beschädigte Haarzellen im Innenohr nach einer Behandlung mit den Eiweißen wieder heilen.

Studie:

Die langen, dünnen Fangarme von Seeanemonen (Actinaria) haben auf den ersten Blick kaum Ähnlichkeit zu Säugetieren oder gar Menschen. Dennoch haben sie etwas mit uns gemeinsam: Seeanemonen benutzen sogenannte Haarbündel an ihren Tentakeln zum Aufspüren von Beute. In der Hörschnecke des Innenohrs von Wirbeltieren und Menschen befinden sich ähnliche Zellen, um Schallwellen wahrzunehmen. Einzelne Zellen dieser Bündel, sogenannte Haarzellen, dienen dazu, akustische Reize in Nervenaktivität umzuwandeln.

Seeanemonen als Vorbild

Die fingerähnlich angeordneten Fortsätze dieser Zellen (Stereozilien) sind über Proteinfäden, sogenannte „Tip-Links“, verbunden. „Werden die Stereozilien überreizt (zum Beispiel durch zu laute Musik), zerreißen die Verbindungen aufgrund starker mechanischer Scherkräfte. Säugetiere können eine solche Beschädigung kaum wieder gut machen“, so Glen Watson, Forscher an der University of Louisiana at Lafayette gegenüber science.ORF.at. Eine Schallempfindungsschwerhörigkeit kann die Folge sein. Eine solche Beschädigung kann meist weder mit Medikamenten noch operativ behandelt werden.

Seeanemonen können ihre vibrationssensiblen Haarzellen nachbilden, die ihre Fangarme umgeben. Diese Fähigkeit war der Anlass für die Studie. Gemeinsam mit zwei Kollegen entdeckte Watson einen Proteincocktail im körperumhüllenden Schleim der Anemone, mit dessen Hilfe die Tiere die geschädigten Zellen innerhalb weniger Minuten reparieren. Diese „regenerativen Proteine“ heilen dabei die zerstörten Verbindungen zwischen den Härchen.

Ob bei dem Regenerationsprozess gänzlich neue Zellen entstehen oder ob sie „nur“ wiederaufgebaut werden, könne Watson derzeit nicht mit Sicherheit sagen. „Ein Bestandteil der regenerativen Anemonen-Proteine ‘hilft‘ anderen Proteinen dabei beschädigte Verbindungen neu zu falten, was dafür spricht, dass sie lediglich wieder aufgebaut werden. Ein zweiter Bestandteil vermag hingegen zerstörte Proteinfäden abzubauen, was dafür sprechen würde, dass kaputte Verbindungen erst zerstört und dann ersetzt werden“, so Watson.

Der Wissenschaftler vermutet, „dass es vom Grad der Zerstörung abhängt, ob die Tip-Links aufgebaut, oder gänzlich erneuert werden.“ Jedenfalls konnte das Team beweisen, dass eine Besserung durch die Behandlung mit Anemonen-Proteinen eintritt.

Tests an Säugetieren erfolgreich

Da für den Aufbau der verbindenden Proteinfäden Kalzium wichtig ist, versuchten die Forscher extrahierte Hörschnecken von Mäusen in einem kalziumarmen Bad derart zu beschädigen, wie es in natura bei Lärm der Fall sein kann. „Die Verbindungen wurden durch den fehlenden Puffer stark geschädigt, sodass die Stereozilien ungeordnet und gespreizt angeordnet waren. So ähnlich wie unsere Zellen nach einem zu lauten Konzert aussehen“, so Watson.

Nach Behandlung mit den „regenerativen Proteinen“ der Seeanemone, zeigten sich die beschädigten Sinnesorgane deutlich erholt. Bereits nach einer Stunde standen die Stereozilien wieder geordnet und aufrecht, was für eine reparierte Verbindung zwischen den Härchen spricht.

Seeanemonen-Behandlung

Ob ein Bad mit Seeanemonen in Zukunft eine Therapie für Schwerhörige darstellen kann, bleibt abzuwarten: “Wie eine Behandlung aussehen könnte, können wir derzeit noch nicht vorhersagen“, so Watson. Als nächstes fände es der Forscher „ausgezeichnet“, ein Experiment an lebenden Mäusen durchzuführen, um die Realisierbarkeit einer Behandlung nach einem akuten oder altersbedingten Hörschaden zu testen.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

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