Warum Frauen auf dem Vormarsch sind

Seit dem Vorjahr werden bei den Aufnahmetests der Medizinunis nicht nur Wissen und Intelligenz überprüft, sondern auch soziale Fähigkeiten. Liegt es daran, dass Frauen nun erfolgreicher abschneiden? Nein, sagt Martin Arendasy, Psychologe und Entwicklungsleiter der Tests.

„Bewerber, die insgesamt gut bei dem Test abgeschnitten haben, haben das auch beim Teil ‚Soziales Entscheiden‘ getan“, sagt Arendasy gegenüber science.ORF.at. „Es gibt da keine relevanten Geschlechtsunterschiede.“

Der Spezialist für psychologische Diagnostik und Methodik von der Universität Graz widerspricht damit gängigen Klischees. Doch woran liegt dann der Trend, dass immer mehr Frauen ein Medizinstudium beginnen dürfen – 2013 noch waren nur 48 Prozent der erfolgreichen Testabsolventen weiblich, heuer sind es bereits 56 Prozent?

Einheitliches Verfahren seit vier Jahren

Zur Erinnerung: Seit 2006 gibt es Aufnahmeverfahren an Österreichs Medizinunis. Sieben Jahre lang waren die Tests bzw. Auswertungsmethoden in Wien, Graz und Innsbruck unterschiedlich. 2013 einigten sich die drei Standorte dann auf ein gemeinsames Aufnahmeverfahren für die Diplomstudien Human- & Zahnmedizin (MedAT), das seit 2014 auch an der neuen Medizinfakultät in Linz verwendet wird.

Die Hauptkritik an den zuvor angewandten Verfahren war ihre Chancenungleichheit. Frauen etwa schnitten überproportional schlechter ab als Männer, Deutsche besser als Österreicher. „Die Wahrscheinlichkeit, eine Testaufgabe richtig zu beantworten, hing damals nicht nur von der persönlichen Fähigkeit und der Aufgabe ab, sondern auch von der Gruppenzugehörigkeit“, sagt Martin Arendasy.

Wenn man davon ausgeht, dass Intelligenz über diese (und andere) Gruppen gleich verteilt ist, muss also irgendetwas an diesen Tests verbesserungswürdig gewesen sein, wie auch eine damalige Studie nahelegte.

Testteilnehmer beim Aufnahmetest für das Medizinstudium in einer riesigen Halle am 3. Juli 2015 in Graz

Meduni Graz

Teilnehmer beim Aufnahmetest für das Medizinstudium im Juli 2015 in Graz

Frauen stark in Biologie, Männer in Physik

Der von ihm und seinem Team entwickelte MedAT sei hingegen fair gegenüber allen Gruppen, betont der Psychologe. Die Zahlen geben ihm Recht. So gut wie jedes Jahr treten 60 Prozent Frauen zu den Aufnahmeverfahren an. Der Anteil erfolgreicher Frauen hat sich seit 2013 deutlich erhöht, wenn man die Vorgängertests vergleicht, sogar noch deutlicher (in Wien waren es 2006 etwa nur 41,5 Prozent).

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 18.8., 13:55 Uhr.

Am neuen, im Vorjahr eingeführten MedAT-Testteil „Soziales Entscheiden“- bei dem überprüft wird, wie man in Alltagssituationen Entscheidungen trifft, die auch auf andere Auswirkungen haben - liegt dieser Trend jedenfalls nicht, betont Arendasy. „Der Effekt liegt nur bei 0,01 Prozent.“ Auch in den drei anderen Testteilen „Wissenstest“, „Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten“ (jeweils 40 Prozent des Gesamtinhalts) und „Textverständnis“ seien die Unterschiede zwischen Männern und Frauen gering.

Das treffe zumindest auf die Gesamtwerte der einzelnen Kategorien zu, nicht aber auf Untereinheiten. So besteht der Wissenstest aus Fragen zu einer Reihe von naturwissenschaftlichen Fächern. Frauen haben eher bei Biologie die Nase vorne, Männer hingegen eher bei Physik und Mathematik. Womit man wieder bei Klischees angelangt ist, die in der Wirklichkeit aber oft auch eine Entsprechung haben können.

Zusammensetzung der Stichprobe entscheidet

Das betrifft auch die Vorstellung, dass Mädchen oder junge Frauen fleißiger lernen. Die immer professioneller werdenden Vorbereitungskurse und -materialien für die Aufnahmetests könnten von Frauen also effizienter benutzt worden sein. „Wenn, dann wirkt sich das aber eher auf den Wissensteil aus. Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten kann man nur begrenzt lernen“, sagt Arendasy.

Letzteres ist nur Spekulation, so der Psychologe. Sicher hingegen sei, dass die Zusammensetzung der Stichprobe – heuer traten mehr als 12.000 Bewerber und Bewerberinnen österreichweit an – entscheidend für die Erfolgsquoten einzelner Gruppen sei. Diese ändere sich jedes Jahr und somit könnte 2017 die Aufholjagd von Frauen auch schon wieder vorbei sein.

Eine wirklich befriedigende Antwort, warum der Anteil erfolgreicher Frauen in den vergangenen drei Jahren um acht Prozent gestiegen ist, gibt es also nicht. Überprüfen kann man die Resultate der Aufnahmeverfahren nicht, denn die Universitäten veröffentlichen die Detailergebnisse nicht. Eines aber ist sicher, der Aufnahmetest wird weiter entwickelt, so Martin Arendasy. Nächstes Jahr neu: Emotionserkennung.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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