Flugreisen: CO2-Kompensation ist keine Lösung

Flugreisen sind für Wissenschaftler unumgänglich. Universitäre Einrichtungen haben dadurch einen großen ökologischen Fußabdruck zu verantworten. Deshalb bieten sie CO2-Kompensationssysteme an. Aber sind sie mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein?

„Ich habe einige internationale Projekte geleitet und bin wahrscheinlich pro Jahr einmal rund um die Erde geflogen“, meint Christoph Kueffer von der ETH Zürich im Interview mit science.ORF.at.

Gerade als Umweltwissenschaftler befindet er sich in einem Dilemma: „Einerseits ist klar, dass der CO2-Ausstoß und das Reisen mit dem Flieger ein großes Problem für die Umwelt darstellen und ein Teil unserer Arbeit besteht darin, darauf hinzuweisen.“ Andererseits sei es aber notwendig zu reisen und andere Wissenschaftler zu treffen. „In der Umweltwissenschaft und in der Ökologie sind wir besonders darauf angewiesen, weil wir an Problemen in echten Ökosystemen draußen in der Natur arbeiten. Wir müssen reisen, aber genau das wollen wir eigentlich verhindern“, so Kueffer.

Was bringt Kompensation wirklich?

Nicht nur an der ETH ist man sich dieses Zwiespalts bewusst. An der Universität für Bodenkultur in Wien wird versucht, die akademischen Reisen so gering wie möglich zu halten und wenn möglich durch Videokonferenzen zu erstzen. Manche Flüge sind dennoch nötig. Die dadurch verursachten Belastungen versucht man hier durch verschiedene Klimaschutzprojekte auszugleichen. „Die BOKU bietet zumindest ein System an, wie man Flugreisen kompensieren kann. Das ist aber natürlich der letzte Ausweg“, so Helga Kromp-Kolb vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit.

Nicht nur Wissenschaftler und Studenten, sondern auch verantwortungsbewusste Privatpersonen und ganze Firmen können hier für ihre Umweltsünden „büßen“. Durch einen CO2-Rechner wird bestimmt, wie viele Tonnen CO2 durch die jeweilige Strecke ausgestoßen werden, und ein Geldbetrag festgelegt, der dann an ein Projekt gespendet wird. Es wird in Aufforstungs- und Kompostierungsmaßnahmen in Äthiopien, Costa Rica und Nepal investiert, die dafür sorgen sollen, dass das Treibhausgas gebunden wird.

Bei einem einfachen Flug von Wien nach New York werden laut CO2-Rechner pro Person rund 1,5 Tonnen CO2 ausgestoßen. Die Kompensation dafür kostet 35 Euro - und kommt einem Wiederaufforstungsprojekt in Äthiopien zugute, Zeithorizont: 30 Jahre. Bis dahin, so der Plan, soll das Projekt zum Nachwachsen von insgesamt 30 Hektar Wald führen. Rechnet man mit 200 Personen pro Flug und vier Flügen täglich nach New York, verursacht das bereits eine Belastung von 1.200 Tonnen CO2. Ist das Ziel des Aufforstungsprojektes also nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

„Die Kompensation als Lösung des Klimaproblems zu sehen, ist ohnehin eine Illusion. Darum soll es nicht gehen“, so Kromp-Kolb gegenüber science.ORF.at, „Es ist eine Zwischenlösung, die aber gerade im akademischen Bereich, glaube ich, durchaus Sinn macht.“

So ähnlich sieht es auch Kueffer, gibt sich damit aber nicht zufrieden: „Das Problem der Kompensationsmechanismen ist zunächst einmal, dass man damit die „low hanging fruits“ abholt - also dass man natürlich dort investiert, wo man am billigsten CO2 einsparen kann.“ Das sei kurzfristig gut - besser als gar nichts - aber hieße natürlich, dass man die langfristigen Probleme nicht anpackt.

Technische Innovationen als Lösung?

Ein weiteres Problem ist laut Kueffer, dass diese Mechanismen nicht die volle Kompensation der Flüge einberechnen, sondern nur den CO2-Ausstoß. Dass eine Flugreise auch auf fossile Treibstoffe angewiesen ist, deren Gewinnung an sich wiederum umweltschädlich ist, wird damit außer Acht gelassen. “Das größte Problem ist für mich aber, dass dieser Kompensationsmechanismus nichts dazu beiträgt, das System an sich zu verändern.“ Statt kleine Geldbeträge in Klimaschutzprojekte zu stecken, schlägt er vor, mehr Geld zu berechnen und in Forschung zu investieren.

Helga Kromp-Kolb sieht das anders: „Alles, wodurch man versucht, den derzeitigen Lebensstil unserer Zivilisation aufrecht zu erhalten - nur mit anderen Energien oder mit saubereren Methoden - ist, glaube ich, zum Scheitern verurteilt. Es ist eine falsche Richtung, wenn man das versucht. Insofern bin ich skeptisch gegenüber Investitionen in technologische Innovationen.“ Laut der Klimaforscherin brauche es vielmehr ein Wirtschaftssystem, das nicht auf Wachstum ausgelegt ist, das sei viel „dringender, als zu versuchen, saubere Flugzeuge zu erzeugen.“

Fazit: Vermeiden statt kompensieren

Dass das gar nicht so leicht ist, erfährt Christoph Kueffer gerade am eigenen Leib. Im Januar 2016 startete er einen Selbstversuch: Er will ein Jahr lang nicht fliegen. „Man hat Angst - wie beim Arzt vor der Spritze - und dann hat man es gar nicht gespürt“, meint der Wissenschaftler.

Dennoch sei das Nichtfliegen mit Nachteilen verbunden. Einerseits ist der administrative Aufwand des Zugreisens größer, andererseits riskiere man eher, nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Ich bin eben nicht mehr über den Kontinent hinaus gereist und das heißt zum Beispiel, dass ich Partnerschaften und Mitautorenschaften für Publikationen verliere“, so Kueffer.

„Einen Flug konnte ich deshalb auch nicht verhindern, d.h. dass ich nur 80 bis 90 Prozent meines Fliegens reduziert habe.“ Persönlich sei das natürlich eine Niederlage, aber es gehe nicht darum, dass Leute gar nicht mehr fliegen und „irgendwie stur und moralisch sind und andere genauso weiterfliegen. Sondern es geht darum zu zeigen, dass jeder seine Flüge um 70 bis 80 Prozent reduzieren kann.“

Aufmerksamkeit schafffen

Er hofft durch sein Selbstexperiment zumindest an der ETH eine Diskussion ins Rollen zu bringen und Aufmerksamkeit zu schaffen. „Ob das gelingt, weiß ich nicht. Im Moment ist meine Erfahrung, dass mein Selbstversuch von allen immer positiv bewertet wird.“

Bewusstsein zu schaffen, ist auch für Helga Kromp-Kolb entscheidend: „Es hat auch etwas mit der Wissenschaftskultur insgesamt zu tun - weil es wie in der Geschäftswelt und in der Politik einfach cool ist zu sagen ‚morgen bin ich in Peking und nächste Woche in Rio de Janeiro’“, so Kromb-Kolp, davon müsse man sich verabschieden.

Alexa Lutteri, science.ORF.at

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