Dummheit – eine unendliche Geschichte

Dummheit zeigt sich vielfältig: in Vorurteilen, in Talkshows, sogar im Elfenbeinturm der akademischen Welt. Mit der unendlichen Geschichte der Dummheit haben sich auch viele Philosophen befasst - und sind ihr zum Teil selbst verfallen.

In seiner Studie „Dummheit. Eine unendliche Geschichte“ bezeichnet der Soziologe Werner van Treeck die Dummheit „als das Andere der Vernunft, als das Rätselhafte, Störanfällige, Unbeherrschte in der Welt“.

Für van Treeck ist die Dummheit der Urzustand, in den wir hineingeboren werden. Dummheiten begleiten uns seit der frühen Kindheit; das Mängelwesen Mensch muss sich mit verschiedenen Facetten der Dummheit im Verlauf seines Lebens auseinandersetzen. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich sprach von einer „anerzogenen Dummheit“ - „jene durch Erziehung zu Vorurteilen herbeigeführte Dummheit, die leider massenhaft auftritt“. Als „harter, nicht spaltbarer Kern“ - so der französische Literaturwissenschaftler und Semiotiker Roland Barthes - „zieht die Dummheit jeden in ihr Händeklatschspiel“.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmen sich auch die Ö1 Dimensionen: Die Macht der Dummheit. Eine unendliche Geschichte, 7.9., 19:05 Uhr.

Eine weit verbreitete Form der Dummheit ist die von Robert Musil so benannte „ehrliche Dummheit“, Sie ist schwer von Begriff, arm an verbaler Ausdruckskraft und ungeschickt in ihrer Anwendung. Wesentlich ist das Element der Wiederholung, Widersprüche werden nicht in Betracht gezogen. Immanuel Kant bezeichnete in seinem 1764 publizierten Text „Versuch über die Krankheiten des Kopfes“ den Dummen als „stumpfen Kopf, Tropf, Einfaltspinsel, Narr, Enthusiast und Schwärmer“. Für ihn - wie für die Generation der Aufklärer - war die Dummheit ein geistiges Defizit, das man bekämpfen musste.

Teil der eigenen Festung

Im Gegensatz zu Kant vertritt der französische Philosoph Clément Rosset in seinem Buch „Das Reale. Traktat über die Idiotie“ die Auffassung, dass die Dummheit keineswegs „verschlafen, unempfindlich und mumifiziert ist“. Der Dumme verhält sich vielmehr aktiv, flexibel, umsichtig und verausgabt sich nach allen Seiten. Ähnliche Eigenschaften ortete der 2015 verstorbene Philosoph André Glucksmann: „Die Selbstsicherheit der Dummheit ist verblüffend“, notierte er, „Sie hat die Festigkeit des Granits, sie ist hart und bruchfest“.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der kam der französische Philosoph Alain Roger in seinem Buch „Bréviaire de la bêtise“. Dort zeichnet sich die Dummheit als eine „dünkelhafte Selbstgefälligkeit“ aus, die sich in dem Satz „Ich mache, was ich will!“ ausdrückt. Das Ich verschanzt sich in seinem Charakterpanzer und pflegt darin seine aus Vorurteilen, Klischees und Allgemeinplätzen zusammengesetzte Privatideologie.

Es ist jene Welt, die Platon im Höhlengleichnis beschrieben hat, wo die im Dunkel der Höhle verweilenden Menschen die Wahrheit nur in Form von Schatten erblicken. Was zählt, ist die „Doxa“ - die Meinung, das Vorurteil; sie dominiert die Welt des Alltäglichen.

Dummer Rassismus: Von Hegel bis Schokogetränke

Die „Doxa“ ist ein beliebtes Motiv der Werbemaschinerie, die Konsumgüter anpreist. Als Beispiel für eine besonders dumme Werbung wählt Alain Roger ein Werbeplakat für das Schokoladengetränk „Banania“.

Man sieht einen senegalischen Soldaten, mit einem Gewehrkolben und Gamaschen, der offensichtlich das Getränk genießt. Er sieht heiter und selbstzufrieden aus, strahlt über beide Backen. Für Alain Roger ist diese Darstellung ein Musterbeispiel eines jahrzehntelangen Rassismus, der sich aus dem Kolonialismus ableitet. Das Werbeplakat transportiert die weit verbreiteten Vorurteile „vom einfachen glücklichen Neger, der ausgesprochen dumm, verfressen und sexuell besonders aktiv ist“.

Diese diskriminierenden Vorurteile finden sich auch bei dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der in seinen 1837 publizierten „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ folgendes rassistische Vorurteil formulierte: „Der Neger stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden. Bei den Negern ist das Charakteristische gerade, dass ihr Bewusstsein noch nicht zur Anschauung irgendeiner festen Objektivität gekommen ist.“

Die letzten Tage der Menschheit

Die vereinfachende „ehrliche Dummheit“ ist der Ausgangspunkt für gefährliche Ausprägungen der kollektiven Dummheit, die sich in Form eines religiösen oder ideologischen Fanatismus artikulieren. Wie rasch sich die kollektive Dummheit ausbreitet und das Alltagsleben bestimmt, hat Karl Kraus in seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“ gezeigt, wo er die monströse Begeisterung für den Ersten Weltkrieg, die alle Bevölkerungsschichten erfasste, mit satirischen Mitteln darstellte.

Sogar ein Pastor fungierte dabei als Propagandist der Kriegsmaschinerie, wie das Zitat zeigt: „Und schauet um euch: Glänzende Leistungen des deutschen Tatengeistes reihten sich wie die Perlen einer schimmernden Schmuckkette aneinander. Er schuf sich das Wunderwerk des U-Bootes. Er stellte jenes märchenhafte Geschütz her, dessen Geschoß bis in die Ätherregionen des Luftmeeres aufsteigt und Verderben über mehr als hundert Kilometer in die Reihen des Feindes trägt.“

Vom Ersten Weltkrieg zu Donald Trump

Dass die kollektive Dummheit auch Philosophen nicht verschonte, zeigt das Beispiel der Kriegsbegeisterung des Philosophen Georg Simmel. Wie viele andere Kollegen verfiel er zu Beginn des Ersten Weltkriegs ebenfalls in einen kollektiven Rausch und sparte nicht mit pathetischen Floskeln: „Es scheint sicher, dass der Soldat, mindestens solange er in lebhafterer Aktion ist, eben dieses Tun als ungeheure Steigerung, in unmittelbarerer Nähe zu seiner flutenden Dynamik empfindet“, schrieb Simmel.

Literaturhinweise

Achim Geisenhanslüke: Dummheit und Witz, Wilhelm Fink Verlag

André Glucksmann: Die Macht der Dummheit, DVA

Robert Musil: Über die Dummheit, Reclam Verlag

Clément Rosset: Das Reale. Traktat über die Idiotie, edition suhrkamp

Alain Roger: Bréviaire de la bêtise. Editions Gallimard

Avital Ronell: Dummheit, Brinkmann und Bose

Werner van Treeck: Dummheit. Eine unendliche Geschichte, Reclam

Ein noch gefährlicheres Ausmaß an Dummheit präsentiert sich in der Gestalt des US-amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Der Moderator Joe Scarborough berichtete von einem Gespräch zwischen einem außenpolitischen Experten und Trump, der während des Gesprächs drei Mal die Frage stellte: „Wenn wir atomare Waffen haben, warum können wir sie dann nicht einsetzen?“

André Glucksmann hatte diese einzigartige Form der Dummheit bereits vorausgesehen: „In ihrer höchsten Aktualität erweist sich die Dummheit als die einzig mögliche Ursache für einen Dritten Weltkrieg. Was sonst könnte die atomaren Gegner dazu verführen, aufeinander loszugehen, da die verhängnisvollen Folgen allen gut bekannt sind?“

Rezept gegen die Dummheit: Selbstdenken

Gegen die Dummheit wurden im Verlauf der Kulturgeschichte immer wieder Aufklärungsfeldzüge geführt - mit der Absicht, den Menschen zur Mündigkeit zu verhelfen. Ein bis heute gültiger Ratschlag, die Dummheit zu bekämpfen, stammt von Immanuel Kant. Er empfahl „das Selbstdenken“ und forderte die Menschen auf, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, um ideologische oder religiöse Scheuklappen abzulegen.

Dieser Aufruf zur Mündigkeit fand jedoch wenig Beachtung. Der englische Schriftsteller Alexander Pope - ein Zeitgenosse von Immanuel Kant - war da wohl realistischer. Sein Befund lautete: „Die Dummheit hat ihr altes Recht noch immer/ Denn als geborene Göttin stirbt sie nimmer.“

Nikolaus Halmer, Ö1 Wissenschaft

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