Nachwuchs ohne befruchtete Eizelle

Spermien und Eizellen verschmelzen: So will es die Natur bei Säugetieren, wenn neues Leben entstehen soll. Britische Forscher haben nun mit Mäusen eine Alternative entwickelt – eine Kombination von Jungfernzeugung und künstlicher Befruchtung.

Der deutsche Naturforscher Karl Ernst von Baer hat sie 1827 zum ersten Mal beschrieben: die Eizellen von Säugetieren. „Seit damals herrscht sein Dogma, wonach sich die Tiere ausschließlich aus Eizellen entwickeln können“, sagt Tony Perry gegenüber science.ORF.at. „Wir fordern dieses Dogma nun heraus“, freut sich der Embryologe von der University of Bath.

Gemeinsam mit Kollegen aus Großbritannien und Deutschland hat er die neue Methode soeben in einer Studie beschrieben. Ausgangspunkt ist dabei die sogenannte Parthenogenese – die Jungfernzeugung: Woran Katholiken bei ihrer Gottesmutter Maria glauben, kommt in der Natur gar nicht so selten vor. Manche Pflanzen und weibliche Tiere können sich sozusagen jungfräulich fortpflanzen, ohne von einem männlichen Artgenossen befruchtet zu werden. Dazu zählen Fadenwürmer, Krebse, Schnecken und sogar einige Fisch- und Vogelarten.

Brot ist nicht Teig, Embryo nicht Eizelle

Säugetiere fehlen in der Aufzählung: Zwar kann man auch bei ihnen eine künstliche Parthenogenese herbeiführen – die Eizellen beginnen sich zu teilen –, aus dem entstehenden Embryo entwickeln sich aber keine lebensfähigen Wesen. Es fehlt ihnen schlicht der Input der männlichen Spermien. Genau dieses Problem haben die Forscher um Tony Perry nun bei ihrer Studie mit Mäusen umschifft.

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Und zwar indem sie die – nicht lebensfähigen – parthenogenetischen Embryonen mit Spermien befruchteten. Zwischen dem Zustand „Eizelle“ und dem Zustand „Embryo“ liegen zwar nur 13 Stunden an Entwicklung, die Unterschiede seien aber eklatant. „Es ist, wie wenn man Teig in einen Ofen legt. Schon nach wenigen Minuten wird er zu Brot und unterscheidet sich komplett vom Teig. Genauso ist es auch beim parthenogenetischen Embryo, der ganz anders ist als die Eizelle“, so Perry.

Dennoch entwickelten sich diese Embryonen nach der Befruchtung genauso wie bei der von der Natur vorhergesehenen Art. Das trifft zumindest auf jenes Viertel zu, bei dem es überhaupt zu einer Weiterentwicklung kam – der Mäusenachwuchs kam gesund zur Welt –, beim Rest war das nicht der Fall. Genetisch unterschieden sich die jungen Mäuseriche nicht von Vergleichstieren, die von denselben Eltern stammten und auf natürlichem Weg entstanden waren. Allerdings hatten sie unterschiedliche „DNA-Schalter“, korrekt gesagt: epigenetische Merkmale.

Krebsforschung und Quelle für Stammzellen

Bleiben die Fragen: Wozu das alles? Warum diese neue Methode, wenn die „alte“, die natürliche doch um so vieles besser funktioniert (zur Erinnerung: die Erfolgsquote der neuen liegt bei 24 Prozent)? „Das ist Grundlagenforschung, bei vielen Forschungserfolgen in der Vergangenheit gab es keinen unmittelbaren Nutzen – wir sollten wegkommen von der Erwartung unmittelbarer Verwertbarkeit“, antwortet Tony Perry.

Um dann aber doch auf zwei Richtungen zu verweisen, in die die Reise gehen kann. Erstens könnte die Forschung die Entwicklung von Krebs besser erklären: Denn so ähnlich wie bei der natürlichen Befruchtung aus spezialisierten (Ei- bzw. Spermien-) Zellen unspezialisierte werden, aus denen sich ganze Organismen entwickeln, sei es auch bei vielen Krebszellen. Ein besseres Verständnis der natürlichen Reproduktionsvorgänge könne deshalb auch die Krebsforschung beflügeln.

Zum anderen könnten parthenogenetische Embryonen von Menschen eine Quelle für embryonale Stammzellen sein – und zwar eine ethisch nicht umstrittene, da sich aus ihnen ohnehin keine Lebewesen entwickeln können.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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