„Landkarte“ der Epigenetik

Welche Gene in den Zellen zu bestimmten Zeitpunkten aktiv sind, entscheidet die Epigenetik. Auf Basis des bisher gesammelten Wissens haben Wiener Forscher nun eine umfassende Epigenom-Karte von Blutzellen gezeichnet.

Im „Human Genome Project“ wurde mit der 2001 abgeschlossenen vollständigen Entschlüsselung der menschlichen DNA das erste Kapitel geschrieben. Inzwischen haben sich zahlreiche Wissenschaftler inklusive mehrerer Mitarbeiter des Forschungszentrums für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien unter dem Namen „International Human Epigenome Consortium“ (IHEC) zusammengeschlossen, um ein weiteres anzuschließen.

Seit 2011 arbeiteten die Forscher an „Landkarten“, die zeigen, welche Gene zu welchem Zeitpunkt in bestimmten Zellen aktiv sind. In insgesamt 41 Fachartikeln präsentierten sie nun ihre Ergebnisse zu 2.100 Zelltypen im ganzen Körper. Die CeMM-Forscher haben sich vor allem an der Kartierung der epigenetischen Veränderungen im Blut beteiligt.

Wie eine hügelige Landschaft

Wie alle Zelltypen haben auch Blutzellen ihr eigenes, individuelles Epigenom, das während der Zellteilung vererbt und weitergegeben wird, jedoch auch auf Umwelteinflüsse reagiert. „Wie Zellen quasi stabil ihre Identität annehmen, also wie etwa Herz-oder Gehirnzellen ihr Leben lang eine solche bleiben“, ist eine der großen Fragen in der biologisch-medizinischen Forschung, erklärt Christoph Bock vom CeMM.

Berglandschaft Vergleich Epigenetik

CeMM

Am besten darstellen ließen sich diese Entwicklungswege als Flüsse, deren Lauf sich danach richtet, wo das Wasser am leichtesten in Richtung Tal fließen kann. Den höchsten Berg bilden die Stammzellen, die sich potenziell in alle Zelltypen ausdifferenzieren können - denen also der Weg in alle möglichen Täler noch offen steht. Von dort ausgehend wird die epigenetische Topographie immer vielfältiger. Bock: „Man kann das am besten wie eine hügelige Landschaft visualisieren, in deren Zentrum ein großer Berg steht, von dem aus sich Flüsse in alle Richtungen bilden, die dann verschiedene Täler füllen“.

Eines dieser Täler repräsentiert die Blutzellen. Da die Forscher auch im Zuge des von der EU großzügig geförderten internationalen „BLUEPRINT“-Projekts im Verständnis ihrer Ausbildung mittlerweile sehr weit gekommen sind, konnte man jetzt quasi eine „finale Karte“ davon zeichnen. Obwohl es noch viel Potenzial zur Verfeinerung gebe, „sind die wichtigsten Punkte eingezeichnet“, zeigt sich Bock angesichts der aktuellen Publikation seines Teams im Fachblatt „Cell Stem Cell“ überzeugt.

Mögliche Umprogrammierung

Derart detailliert seien die nunmehrigen Karten allerdings bei weitem noch nicht für alle untersuchten Zelltypen. Neben dem Blut verstehe man die Embryonalentwicklung momentan am besten. Weniger hochauflösend seien die Karten für die Entwicklung von Gehirnzellen oder der Leber- oder Hautzellen. Laut Bock habe man aber viel Vorarbeit geleistet, damit die Analyse von Zellen aus anderen Organen einfacher wird. Damit dem Buch des Lebens rasch zusätzliche Seiten hinzugefügt werden, setzte man mit der nunmehrigen Veröffentlichungsserie stark auf „Open Science“ - also auf die freie Verfügbarkeit der Erkenntnisse.

Nachdem der Fokus in den vergangenen Jahren stark auf dem Lesen und Kartieren des Epigenoms lag, „wollen wir uns in Zukunft stärker fragen, warum sich etwas so entwickelt. Eine sehr wirkungsvolle Methode ist es hier, das Epigenom nicht zu lesen, sondern es zu schreiben. Das heißt, wir verändern die Eigenschaften in Zellen und schauen dann, wie sich diese ‚Täler‘ verändern“, sagte der Bioinformatiker Christoph Bock, der für diese Forschungsarbeit 2015 einen „Starting Grant“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) zuerkannt bekam. Im Endeffekt gehe es darum, das Epigenom von Leukämiezellen so umzuprogrammieren, dass sie ihren „Krebscharakter“ verlieren.

science.ORF.at/APA

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