Klimaschutz: „Wir haben keinen Tau“

Bürger spielen Weltpolitik: Letzten Freitag trafen einander 40 Menschen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um eine simulierte Klimakonferenz abzuhalten. Fazit: Selbst äußerst hohe CO2-Steuern reichen nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.

Beim letztjährigen Klimagipfel in Paris hat die Staatengemeinschaft beschlossen, dass die Temperaturerhöhung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bis zum Jahr 2100 zwei Grad nicht übersteigen soll. Der Schönheitsfehler daran: Es wurde nur das Ziel beschlossen. Wie man das umsetzen soll, ist unklar. Es gibt keinen offiziellen Fahrplan, der die Erreichung des Ziels sicherstellt.

Die Welt im Kleinformat

Was die Weltpolitik bislang verabsäumt hat, haben letzten Freitag 40 engagierte Bürgerinnen und Bürger nachzuholen versucht. Man traf sich im Impact Hub, ein Projektzentrum im siebten Wiener Gemeindebezirk, um einen Maßnahmenkatalog zu finden, Handlungsanweisungen für die Umsetzung des Pariser Abkommens.

Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete auch „Wissen aktuell“, 5.12., 13:55 Uhr.

Der Ansatz war ein - im Wortsinn - spielerischer: Die Teilnehmer trafen sich, um das World Energy Negotiation Game zu spielen - ein vom MIT entwickeltes Verhandlungsspiel, das die politische Wirklichkeit simuliert.

Das Setting: Die Teilnehmer schlüpfen in die Rollen von internationalen Interessengruppen. Hier sitzen NGOs und UNO, Delegierte der Agrar-, Industrie- und Energiebranche - und nicht zuletzt Politiker aus den USA und der EU, aus China, Indien und Russland an einem Tisch, um die Energie- und Klimapolitik für die nächsten 80 Jahre zu bestimmen.

World Energy Negotiation Game - Beratungen der Gruppen im Seminarraum

ORF/Czepel

Erste Beratungen der Delegierten

Knalleffekt gleich zu Beginn: Die Regierungen erklären sich unisono zur Einführung einer saftigen globalen Emissionssteuer bereit, 100 Dollar soll eine emittierte Tonne CO2 kosten. Was umgerechnet auf die Wirklichkeit bedeuten würde, dass sich ein Flug von Wien nach New York und retour um 400 Dollar verteuern würde. Bei den Heizkosten gäbe es ebenfalls empfindliche Preissteigerungen.

Auch andere Delegierte verbreiten gleich zu Beginn Aufbruchsstimmung, das Bevölkerungswachstum wird gedrosselt, ebenso die Abholzung der Tropenwälder, für nachhaltige Energien gibt es großzügige Förderungen, die Ölindustrie indes wird kräftig zur Kasse gebeten.

Software berechnet Klimapolitik

Dann stoppt Christoph Mandl, Energie-Policy-Experte und Leiter des Experiments, die erste Verhandlungsrunde - und wirft eine Simulationssoftware namens En-ROADS an. Dabei handelt es sich um ein vom MIT entwickeltes Weltmodell, das das derzeit verfügbaren Wissen zu Klima, Umwelt, Konsum und Demografie in digitaler Form bündelt. Mit En-ROADS kann man testen, was die beschlossenen Maßnahmen für das Klima im Jahr 2100 bedeuten würden. Die Software wurde etwa von der Obama-Regierung verwendet, um die Konsequenzen ihrer Umweltpolitik abzuschätzen.

Christoph Mandl drückt den Knopf. Resultat: Trotz großen Engagements vieler Interessengruppen (ausgenommen die Energiebranche, die agiert noch eher konservativ) wird das Pariser Klimaziel klar verfehlt. Bleibt es dabei, wird die Temperatur bis Ende des Jahrhunderts um 2,8 Grad steigen.

Screenshot Programm En-ROADS

Screenshot/Mandl

En-ROADS: Die Weltmaschine in Aktion

Stille. Lange Gesichter. Dann sammeln sich die Delegationen und bereiten die zweite Verhandlungsrunde vor. Es ist noch genug Zeit, um ein herzeigbares Ergebnis zu erreichen …

„Wicked problem“: Keine klare Lösung

Man muss kein Pessimist sein, um anzunehmen, dass die Verhandlungen in Wirklichkeit mit realen Politikern und ihren realen Zwängen, seien sie nun ökonomischer oder ideologischer Art, deutlich zäher ausgefallen wären.

Erstens, weil die Erfahrung eine deutliche Sprache spricht: Die bisherigen Klimakonferenzen liefen allesamt wenig ruhmreich ab, manche endeten als Farce und selbst die offiziell erfolgreichen, wie etwa jene in Paris, warfen wenig Greifbares ab.

Was, zweitens, nicht oder nicht nur der Kurzsichtigkeit der Politik geschuldet ist. Denn der Klimawandel gehört laut Sozialwissenschaft zur Klasse der „wicked problems“ - solche vertrackten Probleme besitzen keine eindeutige oder endgültige Lösung im Sinne von wahr oder falsch. Lösungen sind hier immer vorläufig, sie orientieren sich an gutem oder schlechtem Handeln. Und was gut oder schlecht ist, hängt sehr vom Standpunkt der Betrachter ab.

Womit nicht gesagt ist, dass das Klimawandelproblem per se unlösbar wäre. Es ist nur sehr schwer lösbar. Wie in der politischen Praxis bisher eindrücklich unter Beweis gestellt wurde.

Audio: Stimmen der Delegierten zum Verhandlungsspiel

Das World Energy Negotiation Game wurde in den letzten Jahren schon einige Male mit amerikanischen Studenten durchgespielt. Dies ist nun der erste Versuch in Europa - in einer Hinsicht handelt es sich dabei sogar um eine Premiere, sagt Christoph Mandl gegenüber science.ORF.at.

„Die amerikanischen Experimente sollten vor allem zeigen, wie stark man an welchen Wirtschafts- und Umweltparametern drehen muss, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Früher oder später haben die Studenten dann die Stellschrauben in En-ROADS bis zum Maxiumum gestellt, um die Erwärmung entsprechend zu drosseln. Wir haben unsere Teilnehmer angewiesen, ihre Rolle als Delegierte ernst zu nehmen. Unser Ansatz ist sicher realitätsnäher.“

Harte Verhandlungen

Im Wiener Impact Hub bemühen sich zumindest einige, von dieser Vorgabe nicht abzurücken. Vor allem die Vertreter der Ölfirmen und Energiekonzerne (unter ihnen befindet sich tatsächlich ein Spieler aus dieser Branche) machen es den anderen nicht leicht. Sie wollen, Zitat, eine „realistische“ Umstellung der Energiebranche in Richtung Nachhaltigkeit, schrittweise, im Laufe von Jahrzehnten.

Die Vertreter der NGOs massieren derweil die Delegierten mit Argumenten, die Vertreter der Populationsgruppe (UNO und Konsorten) fordern lautstark „Visionen als Realität“ ein. Schließlich gibt die Industrie nach und bietet drei bis vier Prozent Steigerungen bei der Energieeffizienz an - pro Jahr wohlgemerkt. „Das ist ein extrem hoher Wert“, kommentiert Mandl. Und etwas leiser: „Vermutlich nicht machbar.“

World Energy Negotiation Game - Christoph Mandl

ORF/Czepel

Christoph Mandl präsentiert die aktuellen Berechnungen

Gut sieht es mittlerweile auch in der Landwirtschaft aus. Fleischkonsum ist die Ausnahme, die Aufforstung schreitet voran, CO2- und Methanausstoß sinken im Gegenzug beträchtlich. Auch das Bevölkerungswachstum nähert sich dem Wendepunkt, ab 2050 neigt sich die Kurve wieder nach unten. Planet Erde, so scheint es, hat zumindest hier in dieser kleinen experimentellen Gegenwelt Chance auf Erholung.

Nach zwei weiteren Verhandlungen spuckt En-ROADS das neueste Ergebnis aus. Das Ziel ist fast erreicht: 2,2 Grad Erwärmung bis 2100. Im Seminarraum brandet kurz Applaus auf. Optimismus macht sich breit: Eine Runde ist noch zu absolvieren, das muss zu schaffen sein …

Tricksen nicht möglich

In manchen Klimamodellen des Weltklimarats IPCC kommt eine Größe vor, die in Fachkreisen „negative Emissionen“ genannt wird. Damit sind Technologien gemeint, mit denen man der Atmosphäre aktiv CO2 entzieht und sie in unterirdischen Speichern einlagert. Leider gibt es diese Technologien noch nicht. Und es ist bis heute völlig unklar, ob es jemals gelingen wird, das Klimaproblem auf diese Weise zu bekämpfen.

Das hat freilich die Delegierten auf den (echten) internationalen Klimakonferenzen nicht davon abgehalten, sich auf solche Methoden zu berufen, um den status quo der aktuellen Maßnahmen zu beschönigen. So, wie die Staatengemeinschaft derzeit agiert, können die Pariser Klimaziele nur mit „negativen Emissionen“ erreicht werden. Das CO2-Budget - es verbleiben 800 bis maximal 900 Gigatonnen - ist, je nach weiterem Verlauf, in 15 bis 20 Jahren aufgebraucht. Alles was darüber hinaus in die Atmosphäre gelangt, bedeutet: mehr als zwei Grad.

Der deutsche Politikwissenschaftler Oliver Geden hält eine derartige Vorgehensweise für unredlich - und die eingesetzten Modelle für „dubios“. Er ist nicht der einzige Klimaexperte, der diese Ansicht vertritt.

Dieser Trick ist mit der Software En-ROADS nicht möglich. In diesem Modell findet nur das Eingang, was heute technologisch machbar ist. Selbst die politischen Maßnahmen sind mit einem Minimalrealismus versehen, mehr als 200 Dollar Karbonsteuer kann man pro Tonne CO2 nicht eingeben - schlicht deshalb, weil dieser Wert ohnehin schon an, vermutlich sogar jenseits der Grenze des politisch Machbaren liegt.

World Energy Negotiation Game - verhandelte Parameter auf Flipcharts

Christoph Mandl

Das finale Verhandlungsergebnis: Ein vollständiger Konsens wurde nicht erreicht

Im Laufe der Verhandlungen testen die Teilnehmer des World Energy Negotiation Game ihre Verhandlungspositionen mittlerweile systematisch aus. Der Computer läuft heiß, die Software berechnet immer neue Konstellationen. Eine Erkenntnis: CO2-Steuern haben einen Lenkungseffekt, der sich im Laufe der Zeit abnützt. Wenn Emissionen teuer sind, steigt die relative Wirksamkeit anderer Faktoren im Weltmodell, Landnutzung und Konsum etwa, natürlich auch die Energieversorgung.

Die wechselweise Abhängigkeit der Faktoren spiegelt sich auch im Sozialen wider: Eine Lösung des Klimawandelproblems ist nur dann möglich, wenn alle an einem Strang ziehen. Schert nur eine Gruppe unter den Verhandlern aus, scheitert das gesamte Unternehmen. Auch diese Eigenschaft gehört zur Attributliste der „wicked problems“.

Hier und jetzt handeln

Im Wiener Impact Hub ist die letzte Verhandlungsrunde absolviert, die Einstellungen wurden ein letztes Mal nachgebessert, selbst die hartnäckigen Energieversorger haben sich noch ein wenig bewegt.

Christoph Mandl tippt die finalen Parameter ein - sie würden, das ist allen klar, die Weltökonomie grundlegend verändern; hin zu nachhaltigem Wirtschaften, hin zu sanftem Konsum und einem bescheidenen Lebensstil, auch in den reichen Industrieländern.

Dann das Rechenergebnis: 2,2 Grad bis 2100. Das Resultat hat sich, zumindest was die Temperatur betrifft, nicht verändert.

Der Optimismus weicht betretenem Schweigen. Alle sind überrascht - alle, bis auf Mandl. Er kennt das Modell und weiß, warum es sich, je näher man dem Pariser Klimaziel kommt, jedes zusätzliche Zehntelgrad nur unter größter Anstrengung abtrotzen lässt. Die Ursache dafür ist die Trägheit des Klimasystems. Es komme nicht darauf an, Maßnahmen kontinuierlich bis zum Jahr 2100 zu setzen, sagt Mandl, sondern hier und jetzt. „Was wir jetzt an Emissionen in die Atmosphäre pusten, ist auch in 80 Jahren noch dort.“

„Agieren blauäugig“

Das Ziel wurde zwar nur knapp verfehlt, aber es wurde verfehlt. Und das trotz der Tatsache, dass die Beteiligten ganz offensichtlich guten Willens waren; bereit, deutlich mutiger und konsequenter für die Umwelt einzutreten, als es bislang in der wirklichen Welt der Fall war. In letzterer, das soll nicht verschweigen werden, gibt es Ausnahmen: Dänemark etwa hat in den letzten Jahren mit seinen klimapolitischen Ankündigungen Ernst gemacht. Dort sind die Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 um 25 Prozent zurückgegangen.

Das Beispiel Dänemark ist für Mandl denn auch Grund, weiterhin an die Machbarkeit der internationalen Klimaziele zu glauben - es sei schwierig, gleichwohl nicht völlig unmöglich. Das knappe Scheitern im Spiel verbucht er als Erkenntnisgewinn: „Es zeigt, wie blauäugig wir uns auf internationaler Ebene über Ziele verständigen. Ohne auch nur einen Tau zu haben, wie wir die Ziele durch Handlungen realisieren - und was das konkret bedeutet.“

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: