Auf Kriegspfad mit dem Winnetou-Bild

Naturverbunden, tapfer und edel: So hat Karl May die „Indianer“ beschrieben. Sein Bild beeinflusst den deutschen Sprachraum bis heute. Indigene Künstler aus Nordamerika halten nun dagegen – und machen sich über die Klischees von Winnetou und Co. lustig.

Der Anlass für eine historische und germanistische Spurensuche: Der deutsche Privatsender RTL versucht den – mittlerweise etwas verblassten – Hype um den Häuptling der Apachen zu reanimieren. Zu den Weihnachtsfeiertagen zeigt er drei Neuverfilmungen von Winnetou.

“Leggins mit roten Zierstichen“

„Er war gekleidet wie sein Vater, nur dass sein Anzug zierlicher gefertigt war. Seine Mokassins waren mit Stachelschweinborsten und die Nähte seiner Leggins und des Jagdrocks mit feinen, roten Zierstichen geschmückt. Sein Gesicht war fast noch edler als das seines Vaters und die Farbe ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch.“

Undatierte Aufnahme des deutschen Autors Karl May

dpa

Undatierte Aufnahme von Karl May

So beschreibt Old Shatterhand seinen zukünftigen Blutsbruder Winnetou, als er ihn zum ersten Mal trifft. Und fährt prophetisch fort: „Ich fühlte, dass er ein guter Mensch sei und außergewöhnliche Begabung besitzen müsse.“

Für Karl May war Old Shatterhand das Alter Ego, ein Lehrer aus Deutschland, der in den Südwesten der USA ausgewandert ist und hier nun zahlreiche Abenteuer zu bestehen hat.

Deutsch-indianische Blutsbrüderschaft

In der Figur des Winnetou zeichnet Karl May den Archetypen seines Indianerbildes: Immer tapfer, hilfreich und gut reitet er auf seinem Iltschi mit der Silberbüchse bewaffnet durch die Prärie. Die Apachen selbst zeichnet May als „edle Wilde“: Angehörige einer vormodernen Kultur, die sich der Zweckrationalität des „weißen Mannes“ nicht erwehren können. Der weiße Mann bringt die Eisenbahn, dezimiert die Büffel und verführt mit Feuerwasser – da steht selbst der rechtschaffene Old Shatterhand auf verlorenem Posten.

Warum dieses Bild im Deutschland der 1890er Jahre, als May die Romane geschrieben hat, so überaus populär war? „Die Deutschen haben sich den Ureinwohnern Nordamerikas verbunden gefühlt“, sagt die Germanistin Nicole Perry. „Deutschland gilt ja als ‚verspätete Nation‘, weil es erst sehr spät – im Jahr 1871 - zur Nation wurde. Sie kämpfte im Vergleich mit älteren Nationen wie Frankreich oder England um die eigene kulturelle Identität. Und darin gründete die Phantasie, dass die Deutschen und die indigenen Nordamerikaner Blutsbrüder sind.“

So wie „The Sound of Music“

Nur so lasse sich der enorme Erfolg von Karl May erklären. Schon die Erstauflage der Winnetou-Trilogie verkaufte 400.000 Stück. Die Gesamtauflage seines Werks liegt heute bei über 100 Millionen. „Weltberühmt“ ist Winnetou allerdings in erster Linie im deutschen Sprachraum. In Nordamerika ist er hingegen fast unbekannt. Eine Situation, die so ähnlich ist wie bei „The Sound of Music“, nur umgekehrt.

Ö1 Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 30.12., 19:05 Uhr.

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Das Musical rund um die Familie Trapp aus den 60er Jahren hat das Österreich-Bild in Nordamerika nachhaltig geprägt, hierzulande kennt es kaum jemand. Nicole Perry: „Das ist genau das Gleiche. Jeder Österreicher, den ich kenne und nach ‚Sound of Music‘ frage, verdreht die Augen und lacht ein bisschen drüber. Das ist wie bei den Ureinwohnern in Amerika, die ich kennengelernt habe, die sagen das Gleiche über Winnetou von Karl May: ‚So denken die Deutschen über uns? Was soll das denn?‘“

Pierre Brice, steht 2003 im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt am Main vor einem Poster, das ihn als Winnetou zeigt

dpa/dpaweb/dpa/Alexander Rüsche

Pierre Brice, 2003 im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt vor einem Poster, das ihn als Winnetou zeigt

Nur Künstler kennen heute May in Nordamerika

Eine Frage, die sich die kanadische Germanistin schon mit 17 Jahren gestellt hat. Damals besuchte sie als Austausch-Schülerin die Karl-May-Festspiele in einer deutschen Kleinstadt. Ein weißer Schauspieler gab Winnetou, rot geschminkt, mit langen Haaren und Federschmuck und einem kräftigen „Howgh“ auf den Lippen.

Eine Praxis, die man auch aus den Winnetou-Filmen der 60er Jahre mit Pierre Brice kennt und die nun fortgesetzt wird: In der Neuverfilmung von RTL spielt der albanische Schauspieler Nik Xhelilaj den Häuptling der Apachen. Wie darin mit den Klischees der „edlen Wilden“ umgegangen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist, wie heutige Angehörige der First Nations – so bezeichnen sich nun die Ureinwohner Kanadas – mit Karl May umgehen. Den allermeisten ist der deutsche Autor völlig unbekannt. Es gibt aber einige Künstler, die mit seinen Stereotypen arbeiten und neu interpretieren.

Filme zerschnipselt und neu zusammengesetzt

Nicole Perry hat diese Aneignungen untersucht. Heute ist sie Germanistin an der Universität Auckland in Neuseeland und liest mit ihren Studierenden Handke, Freud und Schnitzler. Bis vor einem halben Jahr war sie noch in Österreich und hat hier im Rahmen eines FWF-Stipendiums zu Karl May geforscht.

Einer der indigenen Künstler, auf die sie gestoßen ist, ist Ehren Thomas. Unter seinem Künstlernamen Bear Witness versucht Thomas die stereotypen Darstellungen Karl Mays zu unterwandern – indem er etwa die romantische Welt der Winnetou-Verfilmungen mit gewalttätigen Computerspielen kollidieren lässt. In einem Video zerschnipselt er Filmseqenzen und schneidet sie neu zusammen: Uschi Glas als unschuldige Halbschwester Apanatschi trifft dabei auf den „rotköpfigen Ringer“ eines bekannten Prügel-Videospiels, die sanfte Titelmusik der 60er-Jahre Filme auf Rhythmen des Pow Wow Step – einer Kombination von zeitgenössischem Hip Hop, Dubstep und Elementen traditioneller First-Nations-Musik.

Old Shatterhand (Wotan WIlke Möhring, l.) und Winnetou (Nik Xhelilaj)

RTL / Jens Koch

Auch die Neuverfilmung könnte mit Stereotypen hantieren: Old Shatterhand (Wotan WIlke Möhring) und Winnetou (Nik Xhelilaj)

Humorvoll gegen Klischees

Ein anderer indigener Künstler ist Darryl Nepinak: Er hat den deutschen 60er Jahre Schlager „Zwei Indianer aus Winnipeg“ humorvoll zu einem Video umgestaltet, das Klischees umdreht. Statt der Konversion zum christlichen Glauben, die Karl May bei einigen seiner Romanfiguren als Weg zum persönlichen Heil nahelegt, werden bei ihm zwei eher belämmert aussehende Deutsche im „Sebastian Schweinsteiger See“ quasi getauft und zu „Indianern“.

Nepinak, Thomas und andere Künstler verbindet bei ihren Arbeiten vor allem eines, sagt Nicole Perry: Humor. „Sie verwenden das Material aus dem deutschen Sprachraum, zeigen wie klischeehaft viele Bilder sind, und machen darauf aufmerksam, dass man sie selbst fragen könnte, wenn es um ‚Indianer‘ geht. Nach dem Motto: ‚Vielleicht sollten sie mit uns reden, statt solche Klischees noch im Kopf zu haben.‘“

Peinlicher Überschwang

Dass auch die indigenen Künstler nicht frei von Stereotypen sind, hat Daryll Nepinak nach der Fußball-WM in Deutschland 2006 gezeigt, so Perry. Der bekennende Fußballfan habe bei dem darauffolgenden Filmfest in Berlin bei einer Diskussion seiner Begeisterung Ausdruck verliehen, indem er „Ich liebe Deutschland, ich liebe die Deutschen“ schrie – und dabei den Hitlergruß machte.

Wie die Germanistin Nicole Perry versichert, habe es sich dabei nicht um eine künstlerische Intervention oder Provokation gehandelt, sondern tatsächlich um Unwissenheit. „Das ist, was Nepinak von der deutschen Kultur kennt. Und das ist vergleichbar damit, was die Deutschen von den Ureinwohnern Nordamerikas kennen - Klischees.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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