Gendermedizinerin Kautzky-Willer

Männer und Frauen werden zum Teil anders krank: Den Unterschieden geht die Gendermedizin nach. Alexandra Kautzky-Willer war Österreichs erste Professorin für Gendermedizin – und ist nun zur Wissenschaftlerin des Jahres 2016 gewählt worden.

Mit der Auszeichnung des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten wird vor allem die Vermittlungsarbeit von Alexandra Kautzky-Willer gewürdigt. Die Ehrung wurde ihre heute, Montag, in Wien überreicht.

Ziel: Mündige Patienten und Patientinnen

Kautzky-Willer sieht es als „klaren Bildungsauftrag der Universitäten und der einzelnen Professorinnen und Professoren, Wissen weiterzugegeben“, wie sie im Gespräch mit der APA erklärte.

Ö1 Sendungshinweise

Kautzky-Willer war Gast im Ö1 Mittagsjournal, 9.1., 12:00 Uhr.

Am 11.1., 14:05 ist Kautzky-Willer in Von Tag zu Tag zu Gast.

Dies sei vor allem im Medizinbereich von Bedeutung, denn „nur gut aufgeklärte, mündige Patienten können wirklich mitarbeiten“. Für Erfolge in der Therapie sei „dies immer wichtiger“.

Wenn man Sinn und Ziel einer Therapie nicht verstehe, werde man die verschriebenen Tabletten nicht nehmen, den Lebensstil nicht ändern, usw. „Das muss in der Medizin insgesamt sicher noch besser vermittelt werden“, sagte Kautzky-Willer.

Kautzky-Willer vor einem Schaukasten der Meduni Wien

APA - Herbert Neubauer

Kautzky-Willer vor einem Schaukasten der Meduni Wien

“Wesentliche Fortschritte“ der Gendermedizin

Ausgehend von ihren Spezialgebieten Hormone und Stoffwechsel hat sich die 1962 in Wien geborene Internistin zunehmend der geschlechtsspezifischen Medizin zugewandt und wurde Anfang 2010 zur ersten Professorin für Gendermedizin in Österreich an der Meduni Wien bestellt - 2014 zog die Meduni Innsbruck nach.

Auszeichnung seit 1994

Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten vergibt seit 1994 jährlich den Titel des Wissenschaftlers des Jahres. Er zeichnet damit nicht die wissenschaftliche Qualität der Preisträger aus, sondern ihre Fähigkeit, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit verständlich vermitteln zu können.

In den vergangenen Jahren habe es „wesentliche Fortschritte“ bei der Beachtung des Faktors „Geschlecht“ gegeben: Im Medizinstudium sei Gendermedizin fix im Lehrplan integriert, es gebe viele Aktivitäten im Bereich postgraduelle Ausbildung, etwa den europaweit ersten Universitätslehrgang für Gendermedizin und ein Diplom der Ärztekammer für Gendermedizin.

Unterschiede auf allen Ebenen

Gendermedizin befasst sich mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Männern und Frauen in allen Bereichen der Gesundheit - von der Vorbeugung über die Diagnostik bis zur Behandlung.

„Diese Unterschiede finden sich in allen Organen und Organsystemen, auch in der Zellebene. Natürlich bewirken die Sexualhormone massive Unterschiede, beeinflussen aber nicht nur die Fortpflanzung, sondern sind auch für Energiehaushalt, Stoffwechsel, Immunsystem, Herz-Kreislauf-System usw. mit verantwortlich. Sie sind neben den genetischen Unterschieden die Ursache, dass bestimmte Krankheiten in bestimmten Lebensabschnitten viel häufiger auftreten“, erklärte Kautkzy-Willer gegenüber der APA.

Dazu kommen auch noch Unterschiede im Lebensstil von Frauen und Männern, und das erklärt die verschiedenen Häufigkeiten von Krankheiten. Frauen haben etwa massiv mehr Autoimmunerkrankungen, sind aber weniger anfällig für Infektionskrankheiten. Männer bekommen früher und häufiger Diabetes und Herzinfarkt.

Kautzky-Willer im Foyer des ORF-Funkhauses

Ö1 - Joseph Schimmer

Kautzky-Willer im ORF-Funkhaus

Aufholbedarf in der Forschung

Diese Unterschiede seien nunmehr bekannt – noch aber habe die Forschung auf Seiten der Frauen starken Aufholbedarf, meinte Kautkzy-Willer im Ö1 Mittagsjournal. Im Gegensatz zu früher „werden mittlerweile zwar alle Medikamente an Männern und Frauen getestet. Aber speziell in den frühen Studienphasen immer noch zu wenig.“

Insgesamt seien Frauen in der Medizin schlechter dran, so Kautkzy-Willer. Sie würden öfter fehlerhaft diagnostiziert, weil Testverfahren primär auf Männer ausgelegt sind. Auch ihre Frühsymptome würden später erkannt.

„Es müsste andere Grenzwerte von Biomarkern für Frauen gesucht werden – etwa beim Herzinfarkt.“ Gendermedizin sei in allen Bereichen relevant, betonte Kautkzy-Willer - auch in der Kardiologie, wo sie ihren Anfang nahm: „Frauen haben nach einem akuten Herzinfarkt noch immer ein höheres Sterberisiko.“

Keine rosa bzw. hellblaue Pillen

Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sollten in Zukunft stärker beachtet werden, meint die Gendermedizinerin – auch bei Medikamenten. In den Beipacktexten etwa könnte stehe, wie sie geschlechtsspezifisch anzuwenden sind. „Und wenn es Frauen nehmen, gibt es Unterschiede, ob sie sich vor oder nach der Menopause befinden, oder in der ersten oder der zweiten Zyklushälfte“, so Kautkzy-Willer gegenüber der APA.

Dass es deshalb in Zukunft geschlechtsspezifische Medikamente geben wird - eine rosa Pille für die Frau und eine hellblaue für den Mann – glaubt Kautkzy-Willer nicht. Aber bereits im Beipacktext werde es etwa den Hinweis geben, welche Nebenwirkungen häufiger bei Frauen zu erwarten sind.

Genereller Wunsch der frisch gebackenen Wissenschaftlerin des Jahres: mehr öffentliche Förderung der Gendermedizin. „Der Bereich wird von der Pharmaindustrie nicht so gefördert, weil das einen deutlichen Mehraufwand bedeuten würde. Eine stärkere öffentliche Finanzierung wäre nötig, damit wir auch Langzeitstudien machen können – mit großen Personenzahlen und einem ausgeglichenen Verhältnis von Männern und Frauen.“

science.ORF.at/APA

Mehr zu dem Thema: