Ethischer Leitfaden für Miniorgane

Seit einigen Jahren werden aus Stammzellen organähnliche „Organoide“ gezüchtet. Damit lassen sich z.B. Krankheiten erforschen und Medikamente testen. Forscher präsentieren nun einen Wegweiser für einen verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technik.

Jürgen Knoblich, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien, hat mit Kollegen vor einigen Jahren erstmals „Minihirne“ aus menschlichen Stammzellen im Labor hergestellt und damit nicht nur bei Wissenschaftlern für Aufsehen gesorgt. Weltweit wurden mittlerweile Darm-, Nieren-, Bauchspeicheldrüsen-, Leber und Netzhaut-ähnliche Organoide in Reagenzgläsern gezüchtet.

An ihnen kann man studieren, wie sich menschliche Organe normalerweise entwickeln und was der Grund von Störungen ist. „Neuartige Substanzen und Therapien können durch diese Technologie sehr viel schneller an menschlichem Material getestet werden“, heißt es in einer Aussendung des IMBA. Vielleicht kann man damit in Zukunft sogar Ersatzteile für eine Transplantation bereitstellen. Jedenfalls erwarten die Autoren, „dass die Organoid-Technologie Einfluss auf die ethischen Dimensionen im gesamten Innovationszyklus in der biomedizinischen Forschung hat“.

Alternative zu Tierversuchen

So könnte man die Technologie „als die lange erwartete Alternative zu Tierversuchen ansehen“, so die Forscher im Artikel. Es gebe jedoch Einschränkungen: Noch sind die Organoide viel kleiner als ihre natürlichen Entsprechungen, es fehlt ihnen an Blutgefäßen zur Sauerstoffversorgung, dem Anschluss an Nervenbahnen und ein Immunsystem.

Außerdem kann man sie nur isoliert betrachten und nicht ihr Wechselspiel mit anderen Organen. Für manche Untersuchungen mag dies ausreichen, bei anderen werden weiterhin Tierversuche nötig sein, meinen die Forscher. Die Organoid-Technologie könne Tierversuche daher nur teilweise ersetzen, und sei eher als Ergänzung zu sehen.

Bedarf nach Zellen steigt

Für die Herstellung von Organoiden braucht man wiederum menschliche Zellen, seien es embryonale Stammzellen, Körperzellen, die in einen ursprünglicheren Zustand versetzt werden (induzierte pluripotente Stammzellen), oder die Ausgangszellen von Organen (adulte Stammzellen). Der Bedarf nach solchen werde also steigen, so die Wissenschaftler, was insbesondere bei den ethisch umstrittenen Stammzellen aus Embryonen zu bedenken ist.

Letztlich stammen diese Zellen freilich immer von einem bestimmten Individuum, was zum Beispiel bei Minihirnen zum nächsten Problem führen könnte: Untersuchungen daran könnten nämlich Rückschlüsse auf die geistigen Eigenschaften einer Person möglich machen.

Medikamententest ohne Risiko

Tests an Organoiden würden aber auch den jeweils ersten Versuch am Menschen bei neuen Medikamenten und Therapien die Schärfe nehmen. Diese sind ethisch „herausfordernd“, weil das Risiko und der Nutzen nie komplett abschätzbar sind, schrieben die Forscher. Bringen neue Wirkstoffe und Behandlungen bei Organoiden die gewünschte Wirkung, ohne sie zu schädigen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie das auch bei „echten Menschen“ tun.

Knoblich und seine Kollegen plädieren für einen konstruktiven, interdisziplinären Dialog zu ethischen Problemen im Zusammenhang mit der Organoid-Technologie, der nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Patienten, Politiker, Ärzte und die Öffentlichkeit einbezieht. „Nur so können wir verantwortungsbewusste Innovation und langfristige Akzeptanz dieser spannenden Technologie gewährleisten.“ Diesen Dialog führt das IMBA am 5. April mit einem Bioethik-Symposium, bei dem grundlegende Fragen der Stammzell- und Organoid-Forschung diskutiert werden sollen.

science.ORF.at/APA

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